So würden sich Reporter heute bereits vor dem Spiel Bonmots überlegen, "um möglichst wenig dem Zufall zu überlassen". Daran sei auch der zunehmende Druck im Journalismus Schuld, sagte Breuckmann im Deutschlandfunk. Besonders verärgerten ihn im Vorhinein ausgedachte Gags wie "die Niederlage ist bitter wie ein Glas Absinth zum Frühstück". "Ich mag das nicht, wenn das so geplant wird", so der frühere Fußball-Reporter im DLF-Interview.
Breuckmann sagte, er habe lediglich ein DIN-A4-Blatt mit dem Ergebnis seiner Vorbereitungen in die Reporterkabine mitgenommen. "Den Rest muss man im Kopf haben", so Breuckmann. Er beobachte auch, dass Fußball-Kommentatoren heute mehr redeten als früher. In den 70er-Jahren habe man sich entschuldigt, wenn man lauter geworden sei. Heute seien Emotionen zugelassen, sagte der Ex-Fußball-Reporter.
Das Interview mit Manni Breuckmann in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Heute Abend, 22 Uhr, beginnt die Fußball-WM in Brasilien. Das heißt, vier Wochen lang Fußball und vier Wochen lang Fußballübertragungen. Es ist nicht immer ein ganz leichter Job als Fußballkommentator und Reporter, und einer, der es jahrzehntelang gemacht hat, ist jetzt hier bei uns am Telefon. Manni Breuckmann hat lange fürs ARD-Radio als Fußballreporter gearbeitet. Schönen guten Morgen, Herr Breuckmann!
Manni Breuckmann: Guten Morgen!
Armbrüster: Herr Breuckmann, ist Fußballdeutsch eigentlich eine eigene Sprache?
Breuckmann: Fußballdeutsch ist bestimmt eine eigene Sprache. Es ist ja eine Fachsprache! Es geht ja um ein bestimmtes Fach, das Fußball spielen, das wird mit besonderen Worten beschrieben. Gelegentlich gibt es verbale Verirrungen. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass man am Stück reden muss, dass man schnell reden muss, dass man vielleicht auch mal versucht, Sprachbilder zu malen, und da rutscht dann schon mal der Pinsel aus.
Armbrüster: Gibt es da besonders schöne Beispiele, die Ihnen nicht aus dem Kopf gehen?
"Früher war wesentlich mehr spontan"
Breuckmann: Dieter Kürten hat mal gesagt, die ganze Stadt ist schwarz voller Menschen in Orange. Damit meinte er die holländischen Fans. Das fand ich besonders gut, habe ich nicht vergessen.
Armbrüster: Entstehen solche Sätze spontan in der Kommentatorenbox, oder macht man sich da als Reporter vorher ordentlich Gedanken drüber?
Breuckmann: Ich glaube, da gibt es eine Tendenz. Früher war wesentlich mehr spontan als heute. Früher war sowieso alles besser als heute, muss ich hier sagen als ehemaliger Kommentator. Aber dass man sich früher hingesetzt hätte und vor dem Spiel schon mal so die Bonmots aufgeschrieben hätte, die man unbedingt platzieren will, gab es nicht so. Ich glaube, das ist heute etwas stärker, hängt aber natürlich auch vom einzelnen Reporter ab.
"Man will möglichst wenig dem Zufall überlassen"
Armbrüster: Woran liegt das denn?
Breuckmann: Das liegt daran, dass man sicher gehen will, dass man möglichst wenig dem Zufall überlassen will. Das ist eine starke Tendenz, das hängt auch mit dem verstärkten Druck im Journalismus zusammen. Man will keine Fehler machen. Wer Fehler macht, das ist ganz schlecht, und deswegen muss alles hundertprozentig vorbereitet sein. Wahrscheinlich gibt es sogar ein paar Reporter, die würden es am liebsten aufzeichnen und dann Sachen rausschneiden.
Armbrüster: Wie haben Sie es denn gemacht? Wie muss man sich das vorstellen? Sind Sie mit einem Packen Papier in die Box gegangen, oder haben Sie, als Sie es ein paar Jahrzehnte gemacht haben, gesagt, ich kann das auch ganz ohne und setze mich einfach so ans Mikrofon?
"Die entscheidenden Sachen muss man im Kopf haben"
Breuckmann: Es gibt immer noch die alte Geschichte von Oskar Klose, einem Reporter, den man wahrscheinlich heute gar nicht mehr so richtig kennt. Der hat auf einer Zigarettenschachtel so ein paar Figuren gemalt und ein paar Wörter hingeschrieben, das reichte dann. Ich habe mir ein DIN-A4-Blatt gemacht und auf diesem DIN-A4-Blatt, da stand das Ergebnis meiner Vorbereitung. Aber für viel wichtiger habe ich es immer gehalten, dass das in meinem Kopf drin ist.
Und so viel Statistiken raushauen ist sowieso Quatsch, und man kann auch Pech haben. Ich saß da mal beim Finale 1998 zwischen Frankreich und Brasilien, und der Kollege Tom Beyer am Anfang dieses Finales machte eine große ausholende Handbewegung und haute mir seine Flasche Cola über diese vorproduzierten Notizen. Ich habe das heute noch. Ich habe es einigermaßen retten können, indem ich schnelle Wischbewegungen gemacht habe. Aber wichtig ist, dass man die entscheidenden Sachen im Kopf hat.
Armbrüster: Was ist mit komplizierten Spielernamen? Was ist zum Beispiel bei so Partien wie Nordkorea gegen China, wenn alle diese Namen irgendwie gleich klingen?
Breuckmann: Absolute Katastrophe! Deutsche Reporter haben die starke Tendenz, vorher dann zum nordkoreanischen Reporter zu gehen, falls es das jemals schon gegeben hat – glaube ich gar nicht; sagen wir mal einfach, der südkoreanische -, und zu fragen, wie der denn richtig ausgesprochen wird, der Spieler. Das interessiert, mit Verlaub gesagt, in Deutschland keine Sau!
"Emotionen sind offiziell zugelassen"
Und andere Nationen sind da vollkommen anders. Man kann auch mal Namen falsch aussprechen, nicht so schlimm. Bei großen international bekannten Fußballspielern ist das eine andere Geschichte, aber man muss nicht diese Sucht haben, jetzt alles, alles immer hundertprozentig korrekt in der jeweiligen Landessprache aussprechen zu können.
Armbrüster: Herr Breuckmann, Sie haben jetzt schon über die gute alte Zeit gesprochen. Wenn man sich alte Fußballspiele noch mal ansieht, dann merkt man schnell, dass im Fernsehen bei solchen Übertragungen früher viel weniger geredet wurde. Da waren nur ganz knappe Sätze, manchmal nur die Spielernamen zu hören, dazwischen lange Atmostrecken aus dem Stadion. Warum ist das heute mehr geworden? Warum wird heute so viel mehr geredet bei einer Übertragung?
Breuckmann: Das ist auch eine Frage, was modisch ist, was gerade angesagt ist. Ich habe das auch erlebt noch in den 70er-Jahren. Da hat man sich ja förmlich entschuldigt, wenn man mal etwas lauter geworden ist am Mikrofon. Heute ist das ganz anders. Emotionen sind offiziell zugelassen. Das hängt aber auch damit zusammen, dass das Ganze ein bisschen affirmativ geworden ist. Man will dieses wunderschöne Produkt, was man ja für ganz viel Geld gekauft hat, an vielen Stellen auch als glanzvolles Stück darstellen, manchmal auch, wenn es gar nicht so glanzvoll ist.
"Mich ärgern vorher ausgedachte Gags"
Das ist auch von Reporter zu Reporter sehr unterschiedlich. Ich sehe aber diese Tendenz und die Emotionen sind sowieso da. Das wird manchmal übertrieben, wenn da ein Zweitliga-Spiel so dargestellt wird, als wenn das ein WM-Finale wäre, aber im Grunde habe ich nichts gegen Emotionen. Mich ärgern wirklich nur – wir haben eben schon darüber gesprochen – so diese vorher ausgedachten Gags, diese Niederlage ist bitter wie ein Glas Absinth zum Frühstück oder so. Da weiß man, das ist dem jetzt nicht auf der Stelle eingefallen, und ich mag das nicht, wenn das so geplant wird.
Armbrüster: Was halten Sie denn von diesen Spieler-Interviews quasi unmittelbar nach Abpfiff noch auf der Rasenfläche?
Breuckmann: Das ist schlimmer deswegen geworden, weil viele Spieler erstens intelligent sind, zweitens Konflikte vermeiden wollen, das heißt nicht auf der Seite eins der "Bild"-Zeitung mit irgendeinem Spruch stehen wollen, und drittens auch entsprechende Rhetorikkurse besucht haben.
"Interviews am Spielfeldrand sind ein Albtraum"
Solche Interviews zum Beispiel mit Herrn Götze oder so sind für mich immer der absolute Albtraum gewesen und das ist auch nicht besser geworden. Da hat man schon mal lieber einen, der mal einen raushaut, aber die Zahl dieser Spieler lässt doch stark nach.
Armbrüster: Wir werden es wahrscheinlich in den kommenden vier Wochen häufiger erleben, solche Interviews, und sicher auch einige Höhe- und Tiefpunkte der deutschen Fußballsprache. Wir sprachen darüber mit Manni Breuckmann, lange Jahre ARD-Fußballreporter. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
Breuckmann: Danke! – Bitte schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.