Kopfverletzungen im Fußball sind ein sensibles Thema - und immer wieder steht der Fußball wegen des Umgang mit ihnen in der Kritik. Denn häufig werden am Kopf verletzte Spieler wieder auf das Feld geschickt. Das Risiko für Folgeschäden, wie etwa Demenz im Alter, steigt.
"Wenn man sich Kopfverletzungen anschaut, muss man sagen, dass Fußball kein Hochrisikosport ist. Das sind eher die Kollisionssportarten wie Rugby, American Football oder Eishockey", sagt Claus Reinsberger, Sportmediziner an der Universität Paderborn im Deutschlandfunk. Zwar gebe es im Fußball weniger Kopfverletzungen als in den genannten Sportarten, die Zahl der Zwischenfälle sei dennoch "beachtlich", so Reinsberger. "Deshalb ist dieses Thema sehr, sehr wichtig."
Protokoll ein wichtiger Schritt
Deshalb solle ein Bewusstsein für die Ernsthaftigkeit von Kopfverletzungen gebildet werden, so Reinsberger. Das Protokoll zum einheitlichen Umgang mit Kopfverletzungen, das alle Erst- und Zweitligisten Ende März unterschrieben haben und an dem er mitgearbeitet hat, sei dafür ein wichtiger Schritt.
In diesem Protokoll verpflichten sich die Clubs unter anderem zu einem neurologischen Baseline-Screening, bei dem der "Normalzustand" eines Spielers ermitteln werden soll. Im Spiel sollen kritische Szenen auch im Hinblick auf eine Verletzungen noch einmal per Video überprüft werden. Und auch in der Ausbildung von Trainern und Betreuern soll ein Bewusstsein geschaffen werden, wie mit Kopfverletzungen umzugehen ist. "Das geht dann weiter bis zur Anwendung verschiedener diagnostischer Maßnahmen und zur Anwendung eines Return-to-play-Protokolls, das sich an internationalen Standards orientiert", erklärt Reinsberger.
Umgang mit Kopfverletzungen ein "dynamischer Prozess"
Dass sich alle Mannschaften zu diesem Protokoll verpflichtet hätten, sei neu, sagt Reinsberger. Zudem "werden immer wieder viele Dinge aus der Wissenschaft in die Praxis übertragen. Das ist ein Thema, mit dem wir heute ganz anders umgehen, als noch vor fünf Jahren, weil immer wieder neue Dinge aus der Wissenschaft kommen, die dann möglicherweise in Änderungen der Leitlinien für den Umgang mit Kopfverletzungen münden. Das ist ein dynamischer Prozess."
So soll es Mitte Juni schon neue Leitlinien geben, so Reinsberger. "Auch da werden wieder einige Anpassungen kommen, die wir unmittelbar umsetzen werden. Das heißt, dieses Protokoll wird sich immer an den aktuellen Daten und internationalen Empfehlungen orientieren."
Bis allen bewusst sei, wie wichtig das Thema Kopfverletzungen sei, brauche es Zeit, meint Reinsberger. Die Selbstverpflichtung der Vereine durch das Protokoll sei aber ein erster Schritt. "Insgesamt geht es ja darum, dass wir nicht über eine bestimmte Maßnahmen sprechen, sondern es sind viele Maßnahmen, die an verschiedenen Stellen ansetzen. Und ich glaube, dass eben diese Bewusstseinsbildung nur dadurch geschieht, indem man an verschiedenen Stellen ansetzt und dann eben Schritt für Schritt weitergeht."
Zusätzliche Auswechslung nicht nötig
Die Idee einer zusätzlichen Auswechslung bei Kopfverletzungen sieht das Protokoll nicht vor. Da im deutschen Fußball bereits fünf Auswechslungen erlaubt seien, gebe es dafür keine Notwendigkeit, sagt Reinsberger. "Es ist durchaus so, dass man auch kurz vor Schluss noch eine zusätzliche Auswechslung hätte im Falle einer Verletzung", sagt er.
Diskussionen gibt es auch immer wieder um das Thema Kopfbälle. Hier müsse man differenziert vorgehen, sagt Reinsberger. "Die Diskussion wird leider sehr, sehr oft emotional geführt. Aber man muss hier ein paar Sachen unterscheiden."
Zwar seien Kopfbälle eine Risiko-Situation für Schädel-Hirn-Traumata, "allerdings nicht im Ball-Kopf-Kontakt, sondern im Rahmen von Kopfballduellen. Das heißt, durch Kontakt des Schädels mit einem anderen Körperteils, oder dem Pfosten, oder dem Boden." Dann sei man schon nicht mehr beim Thema Kopfball, sondern beim Thema Kopfverletzungen, bei denen das Protokoll greifen würde.
Kopfball nicht gleich Kopfball
Zudem sei Kopfball nicht gleich Kopfball. Es komme auf die Entfernung und die Geschwindigkeit des Balls an, erklärt Reinsberger. Und darauf, ob ein Spieler oder eine Spielerin auf ein Kofballduell vorbereitet sei, um den Aufprall abzudämpfen. "Das muss man differenziert betrachten. Deshalb würde ein Kopfballverbot bei Kindern und Jugendlichen nicht unbedingt die Situation bei den Erwachsenen lösen, wenn man Kopfballduelle zum Beispiel inkoordinierter durchführen müsste, weil man das eben vorher nicht trainiert hat. Hier geht es darum, das Kopfballspiel und vor allem das Kopfballtraining möglichst schonend und effektiv für das Gehirn zu machen."