Sarah Zerback: Freitag startet die Bundesliga, und spannender noch als die Frage, wer Meister wird, ist wohl, wie sich der Konflikt zwischen DFB und den organisierten Fußballfans weiterentwickelt. Die ärgern sich zunehmend über die Auswüchse des modernen Profifußballs, über Skandale und Korruption bei Verbänden, über ausufernde Transfersummen, zunehmende Kommerzialisierung – eine Entwicklung, die Teile der sogenannten Ultra-Bewegung aggressiv macht bis hin zu Gewaltexzessen in den Stadien, wie eben Millionen Fernsehzuschauer sie am Montag in Rostock mitverfolgen konnten. Mitten in dieser aufgeheizten Stimmung nun und kurz vor Anpfiff für die nächste Saison kommen jetzt überraschend versöhnliche Vorstöße, sowohl von DFB-Präsident Reinhard Grindel als auch von Boris Pistorius, dem ersten Innenminister, der vorgeschlagen hat, Pyrotechnik in bestimmten Bereichen des Stadions zu erlauben. Und ihn begrüße ich jetzt am Telefon, Boris Pistorius von der SPD, als Innenminister von Niedersachsen auch zuständig für den Sport dort. Guten Morgen, Herr Pistorius!
Boris Pistorius: Guten Morgen, Frau Zerback!
"Ein paar Gruppierungen, die unbedingt Pyrotechnik machen wollen"
Zerback: Pyrotechnik im Stadion also, ist das nun die Kapitulation vor der Ultra-Szene?
Pistorius: Nein, ganz im Gegenteil, Frau Zerback, es geht hier darum, dass wir einen Konflikt haben, der zu eskalieren droht, dass wir eine Situation in den Stadien und um die Stadien herum, die wir nicht gut finden können. Und Pyrotechnik gelangt ja nach wie vor ins Stadion, das kann ja nun keiner leugnen. Seit 30 Jahren gelingt es ja offenbar den Vereinen trotz Ordnungsdiensten nicht zu verhindern, dass Pyrotechnik unkontrolliert ins Stadion gelangt und, was noch schlimmer ist, unkontrolliert gezündet wird, mit Gefährdungen, die wir immer wieder erleben. Und die Idee ist jetzt, dass…
Zerback: Aber das klingt doch schon…
Pistorius: Die Idee ist jetzt einfach zu sagen: Wenn denn Pyrotechnik im Stadion ist und es gibt ein paar Gruppierungen, die unbedingt Pyrotechnik machen wollen, dann kann man ja vielleicht mal darüber nachdenken unter bestimmten, engen Voraussetzungen und klaren Auflagen, in abgegrenzten Bereichen Pyrotechnik zuzulassen, sodass andere nicht mehr gefährdet werden können. Aber Bedingung dafür ist natürlich, dass die entsprechenden Fan- und Ultra-Gruppen sich an Absprachen halten.
Pyrotechnik "nur noch in abgegrenzten Bereichen gezündet"
Zerback: Aber in meinen Ohren klingt das jetzt schon nach einem ziemlich großen Zugeständnis zu sagen, es ist nicht möglich zu kontrollieren, dass die Pyrotechnik nicht mit reinkommt, also erlauben wir sie. Müsste da nicht der logische Schritt sein zu sagen, wir tun alles dafür, dass sie eben gar nicht mit ins Stadion gelangt?
Pistorius: Beides ist richtig. Wir müssen sowohl dafür sorgen, dass Pyrotechnik, wenn wir denn diesen Versuch starten, nur noch in den abgegrenzten Bereichen gezündet wird, und das heißt auch, weiterhin Kontrollen derjenigen, die sonst ins Stadion gehen. Und…
"Es geht ja darum, mit den Ultra-Gruppen zu verhandeln"
Zerback: Aber wenn Sie nicht kontrollieren können, dass es reinkommt, wie wollen Sie kontrollieren, dass das nur in diesen bestimmten Bereichen passiert?
Pistorius: Weil wir Absprachen treffen müssen. Es geht ja darum, mit den Fangruppen, den Ultra-Gruppen darüber zu verhandeln: Seid ihr bereit, ihr seid in der Lage, Choreografien zu verabreden, Gesänge, Auswärtsfahrten, Feierlichkeiten, Demonstrationen, also werdet ihr ja wohl auch in der Lage sein, eine solche Absprache mit der anderen Seite auszuhandeln und dann dafür zu sorgen, dass sie eingehalten werden. Wenn das nicht klappt, wird der Versuch sofort beendet.
"Wir brauchen eine Weiterentwicklung im Fußball"
Zerback: Jetzt muss man ja fairerweise dazusagen, dass die Kommunikation, der Dialog zwischen Vereinen, Politik und Fußballgruppen in den vergangenen Jahren ja nicht besonders gut geklappt hat. Warum sind Sie so optimistisch, dass das jetzt anders wird?
Pistorius: Ich bin gar nicht besonders optimistisch. Ich sage nur, den Versuch ist es allemal wert, diesen Schritt zu machen. Und wenn es dann nicht funktioniert, wird es wieder eingestellt. Aber wir brauchen ja eine Weiterentwicklung im Fußball. Gewalt hat im Fußball nichts verloren und in anderen Bereichen auch nicht und ich kann auch mit Gewalt meine Kritik nicht äußern an Kommerzialisierung und dergleichen mehr. Aber Pyrotechnik gilt offenbar für einige als ein Teil ihrer Kultur. Ich habe dafür kein Verständnis, ich brauche das Zeug in den Stadien nicht, aber wenn es denn hilft zur Deeskalation, zur Beruhigung eines Teils der Szene und wenn es funktioniert – das ist die zwingende Voraussetzung –, nur wenn es wirklich funktioniert, dann kann man es nutzen.
"Alleiniger Definitionsanspruch, was guter und ehrlicher Fußball ist"
Zerback: Jetzt der Dialog, der eingeschlafene, den habe ich gerade angesprochen, Sie wollen ihn ja wiederbeleben. Sie planen für den 11.11. einen Fußballgipfel in Niedersachsen und laden da eben auch Ultras ein. Und auch der DFB will ja die Gespräche intensivieren. Da fragt man sich doch: Warum erst jetzt?
Pistorius: Nein, ich habe schon mal Gespräche geführt, von daher ist das bei mir gar nichts Neues. Und ich bin der Auffassung, dass wir kontinuierlich reden müssen miteinander. Bei diesem Fußballgipfel im November geht es übrigens nicht vorrangig um Gewalt und andere Erscheinungsformen, sondern da geht es einfach mal um genau diese Frage, die Sie in Ihrer Anmoderation auch angesprochen haben, nämlich: Wem gehört in Anführungsstrichen eigentlich der Fußball, woher kommt es, dass einige Gruppen einen alleinigen Definitionsanspruch für sich stellen, zu definieren, was guter und ehrlicher Fußball ist, was macht die Kommerzialisierung des Fußballs, die Zersplitterung der Spieltage in der Fernsehenübertragung? Darüber mal zu reden, denn da, aus diesem Bereich entstehen ja diese Konflikte und deswegen muss man darüber, glaube ich, mal reden. Auch mit denjenigen, die sonst keine Stimme haben, nämlich die Mehrheit der Zuschauer in den Stadien.
"Nicht fünf Prozent der Zuschauer, sondern alle gemeinsam"
Zerback: Also, es geht um die Deutungshoheit, wenn ich Sie da richtig verstehe?
Pistorius: Ja, es geht darum, dass wir uns wieder auf das besinnen, worum es eigentlich geht, nämlich um den Fußball auf beiden Seiten und dass man darüber schlicht und ergreifend mal sich austauschen muss, um deutlich zu machen: Nicht fünf Prozent der Zuschauer, die sich Ultras oder organisierte Fans nennen, haben am Ende die Organisationshoheit oder die Definitionshoheit, sondern alle gemeinsam, allen gemeinsam ist der Fußball wichtig.
"Immer wieder neue Maßnahmen versuchen"
Zerback: Wäre es da nicht Aufgabe der Politik, da die Vereine auch stärker in die Pflicht zu nehmen, das genau zu erreichen?
Pistorius: Das passiert ja über die Fanprojekte, die deutlich besser finanziert werden von Jahr zu Jahr, das passiert über die Dialoge, die die Innenminister haben mit DFB und DFL und damit auch mit den Vereinen, da passiert ja schon einiges. Aber das ist nun mal ein wirklich komplizierter Bereich und auch eine Entwicklung, die sich auch verändert hat. Darauf muss man stetig reagieren und das heißt, man muss auch immer wieder neue Instrumente und neue Maßnahmen versuchen.
"Dialog als Plattform für das, was wir zu tun haben"
Zerback: Und die organisierten Fans sehen diese Schritte wohl kritischer. Wir hatten unter anderem einen Fanbeauftragten gestern bei uns im Programm und da heißt es: Die Unzufriedenheit wächst und die Anliegen der Ultra-Szene werden eben nicht gehört in den letzten Jahren.
Pistorius: Na ja, wenn das so ist, dann ist das ja eine Geschichte, über die die Ultras, die das von sich sagen, in solchen Gesprächen ihre Position auch darlegen können. Das sollen sie ja dann auch machen. Und klar muss eben sein: Gespräche und Dialog sind die Plattform für das, was wir zu tun haben, aber nicht Gewalt und Ausgrenzung.
"Niemand ist wirklich zufrieden mit Kollektivstrafen"
Zerback: Und das richtige Signal ist es jetzt auch, sogenannte Kollektivstrafen nicht mehr zu verhängen, wie sie DFB-Präsident Reinhard Grindel jetzt vorschlägt?
Pistorius: Wenn ich das richtig verstanden habe, hat Herr Grindel das ja nicht als, wie soll ich sagen, dauerhafte Maßnahme vorgeschlagen, sondern zunächst mal auszusetzen und wieder eine Gesprächsebene herzustellen. Ich meine, wenn Sie mit Polizei sprechen und anderen, niemand ist wirklich zufrieden mit Kollektivstrafen, weil sie natürlich immer eine ganze Reihe von Leuten in Mithaftung nehmen, die nichts damit zu tun haben. Das Problem ist eben nur, dass, wenn Sie niemanden haftbar machen können wegen Rauchschwaden und anderem und nicht wissen, wer was gezündet hat oder wer wo Gewalt verübt hat, dann…
Zerback: Vermummung auch.
Pistorius: Ja, Vermummung im Stadion, die Skimasken und so weiter, das alles ist ein Problem. Und wenn man da nicht hinterkommt, dann sind Kollektivstrafen ein zwar wirklich scharfes Schwert, aber gleichzeitig eben auch die einzige Maßnahme. Und ich finde es gut, dass man jetzt hier den Versuch macht, wir setzen das aus, um erst mal wieder ins Gespräch zu kommen. Und dann muss man sehen, wie es weitergeht. Nur eins ist auch klar: Dialog ist keine Einbahnstraße, auch die Ultras, auch die Fangruppen haben eine Bringschuld.
"Zu klaren Verhaltensregeln kommen"
Zerback: Nur ganz kurz, Herr Pistorius, noch, habe ich Sie jetzt richtig verstanden, das klang nach einerseits-andererseits: Kollektivstrafen, ja oder nein?
Pistorius: So einfach ist es nicht. Ich bin nach wie vor dafür, Kollektivstrafen zu verhängen, wenn es keine anderen Möglichkeiten gibt, um Ruhe ins Stadion zu bringen. Aber ich mag Kollektivstrafen nicht und deswegen finde ich es richtig, es zu versuchen, sie vorübergehend auszusetzen und miteinander zu reden und dann zu klaren Verhaltensregeln zu kommen.
Zerback: Sagt Boris Pistorius, der Innenminister von Niedersachsen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Pistorius!
Pistorius: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.