Homosexualität im Fußball
Wie Nachwuchsleistungszentren mit Homophobie umgehen

Aus dem Gruppen-Coming-Out in der Fußball-Bundesliga wurde bisher nichts - noch immer gibt es keinen aktiven geouteten Profi. Das liegt wohl auch an den Strukturen im Nachwuchsbereich, wo sich erst langsam mit Homosexualität auseinandergesetzt wird.

Von Raphael Späth | 18.05.2024
Das Bild zeigt einen Ausschnitt von Fans in einem Stadion, sie halten ein Banner hoch, auf dem zu lesen ist: Football fans against Homophobia.
Bei einem Champions League-Spiel zeigten FC Bayern-Fans, dass Homo-Feindlichkeit im Fußball nicht akzeptiert werden darf. (imago sportfotodienst / imago sportfotodienst)
„Homofeindliche Sprache gehört zum Alltag – auch im Jugendsport“, erklärt der australische Wissenschaftler Erik Denison, der seit Jahren über Homosexualität im Sport forscht.
„Und da geht es in erster Linie nicht einmal darum, homofeindlich zu sein, es ist nicht Anti-Schwul. Jungs und Jugendliche benutzen diese Wörter, um andere zu erniedrigen und darauf anspielen, dass sie schwächer und verweichlicht sind, keine vollwertigen Männer.“
Auch in Deutschland haben wissenschaftliche Umfragen in den vergangenen Jahren gezeigt: Homofeindliche Sprache ist auch heute noch fester Bestandteil des Sportjargons.
„Und gerade im Fußballbereich dann noch mit dem Hintergrund, dass es sich nur um Männer oder Jungs handelt, das kommt dann noch hinzu, wird gerade dieses Thema natürlich tabuisiert.“

Aufklärung zu Homosexualität nicht verpflichtend für Nachwuchszentren

Carina Hueske arbeitet im Nachwuchsleistungszentrum des SC Freiburg. Seit 2020 ist sie dort als Pädagogin und Ansprechpartnerin unter anderem für Kinderschutz und Prävention verantwortlich.
„Als ich hierher kam, wurde das Thema noch gar nicht thematisiert. Zumindest innerhalb einer Präventionsveranstaltung war es noch kein Thema, so weit ich weiß. Und ich hatte mich auch mit vielen anderen NLZs dazu ausgetauscht. Und da war das tatsächlich bei ganz vielen so, dass das tatsächlich noch kein Thema war und sie sich auch noch nicht so damit auseinandergesetzt haben.“
Aufklärung oder Workshops zum Thema Homosexualität sind für die Nachwuchsleistungszentren nicht verpflichtend. In den Auflagen der Deutschen Fußball-Liga steht nur, dass „geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung […] im Fußball“ durchgeführt werden müssen. Wie genau, ist jedem Verein selbst überlassen.
„Die Ressourcen werden eigentlich weitestgehend nicht zur Verfügung gestellt“, sagt Christian Rudolph, der seit 2021 beim DFB für die Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt verantwortlich ist.
„Da geht es auch darum, dass man Zeit zur Verfügung stellt, also dass es ins Trainingskonzept mit aufgenommen wird und nicht als zusätzliche Belastung gesehen wird.“

Abwehrhaltung geht zurück, Frage nach Ressourcen bleibt

Diesen Eindruck bestätigt auch Lars Philipp vom Deutschen Fußballmuseum in Dortmund: „Ich glaube, dass es teilweise eine Abwehrhaltung dem Thema gegenüber gibt.“
Philipp leitet das Bildungsprogramm des Fußballmuseums und bietet dort Workshops zum Thema Homosexualität im Fußball an – für Schulklassen und Nachwuchs-Mannschaften.
„Ich glaube aber auch, dass es gerade beginnt, zu bröckeln. Also ich glaube schon, dass wir gerade eine positive Entwicklung sehen.“

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Anfang des Jahres war Lars Philipp Teil einer Multiplikator*innenschulung am DFB-Campus. Eine Schulung für die pädagogischen Vertreterinnen und Vertreter der Nachwuchsleistungszentren, um in Zukunft selbst Workshops zum Thema Homosexualität durchführen zu können.
„Mit den Menschen, mit denen ich gesprochen habe, waren die Feedbacks so, dass sie alles sehr sinnvoll finden und das auch machen wollen, aber in ihren Vereinen auch gewisse Hürden noch nehmen müssen.“
„Letztendlich entscheiden die Positionen, die die Ressourcen verteilen, inwiefern das thematisiert werden kann", erklärt Laura Bureck, seit 2015 pädagogische Leiterin im Nachwuchszentrum von Drittligist Arminia Bielefeld.
„In meinen Augen sollte es gewisse Auflagen geben, weil wir sehr frei in der Gestaltung sind. Und ich weiß, dass es teilweise auch so gehandhabt wird, dass diejenigen, die sich um die Präventionsarbeit innerhalb eines Vereins kümmern, gar nicht das Privileg haben, viele Stunden dafür zur Verfügung bekommen. Ich spinne rum: Wir sind U15-Trainer, sollen die schulische Begleitung machen, und aber auch noch die Präventionsarbeit und das Ganze in einem 20-Stunden-Vertrag. Das ist nicht möglich.“
„In meiner Beratungsarbeit mit der Kompetenz- und Anlaufstelle hatten wir auch einige Fälle, mit denen wir uns auseinandergesetzt haben, wo dann auch die Zuständigkeiten zum Teil nicht ganz klar sind“, erzählt Christian Rudolph vom DFB.
„An wen können sich die Eltern zum Beispiel werden? Wir haben auch große Abhängigkeiten. Die Spieler wollen schließlich auch mal Profi werden, dadurch haben wir eine große Abhängigkeit und wenig Beschwerdemechanismen.“

Auch Männlichkeitsbild sollte thematisiert werden

In Bielefeld hat Laura Bureck schon von Beginn an versucht, das Thema Homosexualität in die tägliche Arbeit mit den Nachwuchs-Talenten zu integrieren.
„Gleichzeitig finde ich es aber auch wichtig, nicht nur über das Thema Homosexualität, sondern auch über das Männlichkeitsbild generell zu sprechen. Weil die Homofeindlichkeit, die da herrscht, die resultiert auch aus diesem Männlichkeitsbild, der hegemonialen Männlichkeit, die im Fußball stark vertreten ist. Und hegemoniale Männlichkeit bedeutet zum Beispiel: Ein Mann muss stark sein, er muss dominant sein. Und alles, was davon abweicht, wie zum Beispiel auch Homosexualität, die mit weich sein und Weiblichkeit verbunden wird, wird dann herabgestuft.“
Bureck erzählt, dass nicht alle Jugendlichen begeistert sind, wenn Workshops zum Thema Homosexualität durchgeführt werden. In Bielefeld gab es seitens der jungen Spieler
„auch feindliche Haltungen und feindliche Aussagen, mit denen wir dann aber arbeiten. Wo es dann auch ganz wichtig ist, diesen Raum zu geben. Wenn wir die direkt immer abmoderieren würden und sagen: Das darfst Du hier nicht sagen, dann kommen wir nicht in den Diskurs und dann können wir das Ganze nicht an der Wurzel besprechen.“

Handlungsfähigkeit von Trainerpersonal fördern

Wie tief das Männlichkeitsbild und homofeindliche Sprache in der Fußball-Blase verankert sind, zeigt sich auch in Hamburg beim FC St. Pauli, eigentlich einer der Vorreiter-Vereine in Sachen Vielfalt im deutschen Profi-Fußball.
„Als ich vor sechs Jahren beim FC St. Pauli gestartet bin, gab es wie in vielen Vereinen das sogenannte Mädchenverbot in Internaten“, erzählt Stephanie Goncalves Norberto, die pädagogische Leiterin bei St. Pauli.
„Und wenn wir über Mädchenverbot sprechen, dann sprechen wir über ein sehr heteronormatives Denken. Und einerseits schränkt das aus pädagogischer Sicht natürlich junge Menschen in ihrer Sexualität ein und in der Entfaltung ihrer sexuellen Identität. Es suggeriert aber auch, dass es nur heterosexuelle Beziehungen geben kann. Und das war eine meiner Aufgaben, das zu hinterfragen und aufzubrechen.“
Werteorientierte Talententwicklung ist beim FC St. Pauli ein fester Bestandteil der Ausbildungsphilosophie. Trotzdem war auch in Hamburg homofeindliche Sprache Alltag.
„Es herrscht so ein bestimmter Humor und deswegen braucht es das Wissen und die Orientierung und die sogenannte Handlungsfähigkeit in Richtung Trainer*innen, dass jede einzelne sprachliche Feindlichkeit eine zu viel ist und direkt reagiert werden muss und nicht belächelt werden darf. Weil das ist unter anderem auch Teil des Problems.“
Beim FC St. Pauli werden durch Workshops und Sensibilisierungsschulungen deshalb vor allem das Betreuerteam angesprochen.
„Und aus diesen Workshops müssen Maßnahmen entwickelt werden und dadurch müssen Strukturen resultieren. Und das bedeutet: Wir müssen eine komplette Kultur infrage stellen. Und Kulturwandel ist bekannterweise nicht etwas, was sich von einem Tag auf den anderen ändert. Gleichzeitig muss allen bewusst sein, sowohl NLZ-Leitung, bis Sportdirektor*innen aber auch Trainer*innen, dass wir alle eine Aufgabe haben und einen Wirkungsbereich in diesem Thema.“

Umdenken in Nachwuchsleistungszentren

In vielen Nachwuchsleistungszentren hat in den vergangenen Jahren ein Umdenken stattgefunden, was den Umgang mit dem Thema Homosexualität angeht. Im NLZ des SC Freiburg, eines der sportlich erfolgreichsten Leistungszentren in Deutschland, wurde 2022 in Kooperation mit dem Deutschen Fußballmuseum erstmals ein Workshop für die jungen Spieler durchgeführt.
„Da hat man so ein bisschen gemerkt oder gespürt, wie die Jungs sich geäußert haben, dass das sehr wohl ein Thema ist, mit dem sich viele Jungs auseinandersetzen, aber niemals darüber reden“, erzählt Carina Hueske, die Pädagogin des SC.
„Also die Jungs haben auch gesagt: Hätten wir das Thema nicht eingebracht, dann würden sie sich miteinander eigentlich nicht darüber unterhalten.“
Carina Hueske war damals selbst überrascht, auf wie viel Ablehnung das Thema anfangs unter den Jugendlichen gestoßen ist. Im Workshop mit dem Deutschen Fußballmuseum haben einige Spieler das auch deutlich zum Ausdruck gebracht.
„Ich fand es ganz gut, wie auch die anderen Jugendlichen mit eingestiegen sind und gesagt haben: ‚Hey, Du, aber was ist denn jetzt dein Problem? Also ich fände es jetzt nicht schlimm, wenn Du auf Männer stehen würdest. Warum findest Du es schlimm, wenn es bei mir so wäre?‘ Also es gab dann schon viele Jungs, die sich dann auch anders positioniert haben, und es war spannend zu sehen, wie darüber diskutiert wurde.“

Homofeindlichkeit im Breitensport kaum thematisiert

Auch wenn solche Debatten in den Nachwuchsleistungszentren in Deutschland in den vergangenen Jahren immer häufiger geführt werden – im Breitensport ist das Thema Homosexualität im Fußball bisher kaum präsent. Das hat auch Wissenschaftler Erik Denison festgestellt.
„Es gibt einfach so einen großen Unterschied zwischen dem Profi-Fußball und dem, was wir auf den Bolzplätzen erleben. Und auch Studien in Deutschland haben gezeigt, dass nur ganz wenige Amateurvereine in Deutschland überhaupt irgendetwas gegen diese Verhaltensweisen tun.“
Sport treiben sollte für Kinder und Jugendliche eigentlich gut für die mentale Gesundheit sein. Wissenschaftliche Studien belegen aber: Vor allem queere Jugendliche leiden enorm unter homofeindlicher Sprache in Umkleidekabinen oder auf Sportplätzen. Deshalb findet Christian Rudolph vom DFB es enorm wichtig,
„dass wir im Jugendbereich auch qualifizieren. Und da meine ich jetzt zuallererst auch die Trainer*innen. Dass wir da auch einen Maßstab setzen, der dem Ganzen gerecht wird – nämlich der Verantwortung, die wir tragen, wenn wir die jungen Menschen im Fußball anleiten. Da geht es nicht nur um den Sport, sondern auch um das Pädagogische.“

Thematisierung im Breitensport auch in politischer Verantwortung

Christian Rudolph arbeitet deshalb an einem Workshop-Konzept, das in die Regional- und Landesverbände in ganz Deutschland getragen wird. Sein großes Ziel ist es, zukünftig auch im Breitensport Schulungen für Jugendliche und vor allem Betreuer*innen anzubieten. Wissenschaftler Erik Denison findet, dass das eigentlich schon längst Standard sein sollte.
„Das ist nichts Optionales. Wir sprechen hier über den Missbrauch von Kindern. Wir sprechen über ernsthaftes, schädliches Verhalten, unter dem Kinder leiden und die mentale Gesundheit langfristig schadet.“
Denison sieht dabei nicht nur den Sport, sondern auch die Politik in der Verantwortung:
„Am Ende des Tages wird sehr viel Sport in öffentlichen Einrichtungen betrieben. Auf Feldern oder in Schulen, die der Stadt gehören, den lokalen Regierungen. Deshalb ist es schlussendlich ein Problem der Politik, dass diese Verhaltensweisen in den öffentlichen Einrichtungen zum Alltag gehören. Deshalb muss die Politik Verantwortung dafür übernehmen, dieses Problem im Sport zu lösen. Weil der Sport es nicht von alleine machen wird. Das ist es, was sich ändern muss.“

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