Die politische Macht im Fußball verlagert sich Richtung Osten. Ein eindrückliches Symbol dafür ist das Lusail-Stadion, in dem am Sonntag das WM-Finale zwischen Argentinien und Frankreich stattfinden wird. Die Arena mit ihren fast 90.000 Plätzen wurde von einer chinesischen Unternehmensgruppe gebaut. Zudem wirkten chinesische Unternehmen an den Stahlkonstruktionen von zwei weiteren Stadien mit, erläutert der britische Sportökonom Simon Chadwick: „Die US-Präsidenten Donald Trump und Joe Biden wussten nicht wirklich, wie sie mit der Golfregion umgehen sollen. China füllt dieses Vakuum und war nun auch bei dieser WM auf subtile Weise sehr präsent. Erst vor kurzem sicherte sich Peking die Lieferung von katarischem Gas für einen Zeitraum von 27 Jahren. Doch es geht nicht nur um Energiequellen: China betrachtet die Golfregion als legitimes Netzwerk für Handelsbeziehungen.“
Deutlich wurde das rund um die WM: Chinesische Unternehmen lieferten hunderte Busse nach Katar, sie beteiligten sich am Bau der Containerdörfer für Fans und errichteten ein neues Solarkraftwerk westlich von Doha. Es war wohl auch kein Zufall, dass der chinesische Präsident Xi Jinping für eine seiner ersten Auslandsreisen seit Pandemiebeginn Saudi-Arabien wählte. Anfang Dezember erhielt er in Riad eine prunkvolle Bühne, ganz anders als Joe Biden, der im Juli eher distanziert empfangen worden war. In unterschiedlichen Runden tauschte sich Xi mit den Herrschern der Golfstaaten aus, auch mit dem katarischen Emir Tamim bin Hamad al-Thani.
Verhandlungsmasse gegen Europa
„In allen Golfstaaten ist China mittlerweile der wichtigste Handelspartner und hat die USA in den letzten Jahren abgelöst“, erklärt der Islamwissenschaftler Sebastian Sons, der sich seit langem mit der Golfregion beschäftigt. „China sieht sich nicht zwingend als Gegengewicht zu den Ansprüchen der USA in der Region, sondern eher als Partner in wirtschaftlicher Hinsicht. Eine große Rolle spielt hier das Neue-Seidenstraßen-Projekt, das sich ja weltweit erstreckt, in dem die Golfregion auch eine wichtige Rolle spielt.“
Der Fußball bietet dafür eine Bühne. Nach zahlreichen Skandalen hatten sich etliche westliche Sponsoren aus der Fifa zurückgezogen. Von den 14 Unternehmen, die aktuell rund um die WM werben, stammen nur noch fünf aus den USA und Europa. Alle andere haben ihren Sitz in Asien, davon zwei in Katar und vier in China. Die Volksrepublik bleibt im Fußball der größte Wachstumsmarkt. Und die Regierungen aus Katar und China wollen davon profitieren, sagt Sebastian Sons. „Und weil man vor allen Dingen nicht fürchtet, aufgrund der Menschenrechtssituation kritisiert oder bevormundet zu werden. Und das ist mit Sicherheit der große ,Vorteil‘ in Anführungszeichen, den diese Partnerschaft mit China hat. Dass es sich hier nicht um Menschenrechte dreht. Und das ist selbstverständlich anders in einer Zusammenarbeit mit Europa. Dementsprechend benutzen auch alle Golfstaaten diese mögliche deutlichere Hinwendung nach Asien als Verhandlungsmasse gegenüber den Europäern, um einen besseren Deal auszuhandeln und auch tatsächlich um Europa unter Druck zu setzen.“
DFB-Partner mit Katar und China eng vernetzt
In der Fifa-Logik wäre eine WM 2030 in China der nächste Expansionsschritt gewesen, doch die unabsehbaren Folgen der Pandemie dürften einer Bewerbung entgegenstehen. Die Asienmeisterschaft, die 2023 in China stattfinden sollte, wird nun in Katar ausgetragen. Peking wird trotzdem weiter Einfluss nehmen. Zum Beispiel bei der WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko. Und auch vier Jahre später: Dann könnte die WM 2030 in Saudi-Arabien, Ägypten und Griechenland stattfinden, in drei Ländern also, die für die Handelsrouten der „Neuen Seidenstraße“ von großer Bedeutung sind.
„Nichtsdestotrotz muss man sagen, dass man in Europa durchaus Gefahr läuft, Zugang zu den Golfmonarchien zu verlieren“, sagt Sebastian Sons. „Gerade weil man eben oftmals nicht wirklich eine nuancierte und teilweise sehr einseitige Politik betreibt, die nicht wirklich glaubwürdig wirkt. Wir haben das jetzt während der WM auch nochmal in den Debatten um Menschenrechte, um Doppelmoral, um Scheinheiligkeit erlebt. Das heißt, hier sehe ich tatsächlich auch noch in der näheren Zukunft stärkere Verwerfungen und einen höheren politischen Druck, auch klar zu definieren, wie und in welchem Bereich man mit den Golfstaaten zusammenarbeitet.“
Wegen des Korruptionsskandals im EU-Parlament dürften westliche Organisationen eher auf Distanz zu Katar gehen – und China könnte abermals in das Vakuum stoßen. Wie soll die Bundesrepublik reagieren? Der DFB-Partner Volkswagen ist eng mit dem katarischen Staatsfond QIA verbunden und er verkauft inzwischen jedes zweite seiner Autos in China. Der DFB-Ausstatter Adidas lässt in asiatischen Niedriglohnländern produzieren und kann in China mit dem Weltmarktführer Nike mithalten. Vorerst endet nun am Sonntag die WM-Profitmaschine im Lusail-Stadion, das von chinesischen Firmen erbaut wurde. Daher passt es symbolisch recht gut, dass die Arena auch auf einer katarischen Banknote abgebildet ist.