Krieg in Nahost
Fußball als Friedensstifter und Konfliktherd

Seit dem 7. Oktober und dem Angriff der Hamas auf Israel ist in der Region nichts mehr wie es vorher war. Das gilt auch für den Fußball. Private Initiativen wollen den Fußball als verbindendes Element nutzen. Die Verbände sehen das anders.

Von Marion Sendker |
Kinder spielen Fußball beim "Hauptstadt Club" in Ostjerusalem.
Der "Haupstadt Club" trainert in einem Hinterhof in Ost-Jerusalem. (Marion Sendker)
Fußballtraining in einem Hinterhof in Ost-Jerualem: Der Rasenplatz ist klein und von hohen Mauern umgeben. Hier trainieren Kinder des “Hauptstadt Clubs” – jeden Nachmittag.
Ihr Trainer, Abdullah Al-Saidawi, war früher Spieler im Nationalteam und will heute Nachwuchstalente ausbilden – für die Zeit nach dem Krieg. "Alle Clubs sind geschlossen, die Spieler im Ausland. Es fühlt sich nicht gut an, dass es keinen Fußball mehr gibt. Aber das ist Palästina, es gibt immer ein Problem. Ich konzentriere mich auf die Kinder, die kleinen Spieler."
Training beim Hauptstadtclub: Trainer Abdullah Al-Saidawi spricht zu den Kindern.
Abdullah Al-Saidawi, Trainer beim "Hauptstadt Club" spricht zu den Kindern. Die Trainingsbedingungen haben sich seit dem Angriff der Hamas verschlechtert. (Marion Sendker)
In dem Moment betritt ein Mann den Hinterhof: schicker blauer Anzug, weißes Hemd, glänzende Schuhe. Sein Sohn spiele hier, sagt er und setzt sich auf einen Plastikstuhl am Spielfeldrand. Die Bedingungen fürs Training hätten sich seit dem 7. Oktober verschlechtert: "Die religiösen jüdischen Leute kommen manchmal und machen, sagen wir mal so: dumme Sachen mit den Kindern. Sie haben versucht, hier rein zu kommen, also haben wir die Tür zu gemacht. Sie denken, alle Palästinenser hassen sie. Aber wir hassen sie nicht. So ist das Leben – Frieden ist so schwer zu bekommen."

Israelische Nationalmannschaft spielt nur noch im Ausland

Auch der israelische Fußball ist seit dem 7. Oktober nicht mehr derselbe: Die Nationalmannschaft kann nur noch im Ausland spielen, wie vor ein paar Tagen gegen Frankreich. Die Partie fand in Ungarn statt. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen durften nur wenige Fans ins Stadion.
Ähnlich leise und leer werden die Ligaspiele ausgetragen, erzählt Eden, eine junge Israelin, die im Fanshop von Hapoel Tel Aviv arbeitet: "Viele Fans kommen nicht mehr zu den Spielen. Sie sind aber nicht wütend. Sie sind traurig. Eigentlich ist das ganze Land traurig."
Die Fans wüssten, dass es mit denen – gemeint ist die Hamas – keinen Frieden geben könne. Den Krieg findet Eden aber auch sinnlos. Wichtiger sei es doch, auf das zu schauen, was verbinde: Fußball. "Wir haben Fans und Spieler aller Konfessionen, aller Religionen – Araber, Juden. Fußball ist letztendlich etwas, das neutral und einigend sein sollte."

Palästinensischer Fußballverband sieht Sport als strategisches Ziel

Auf höchster Ebene sieht man das anders: Laut dem Palästinensischen Fußballverband, PFA, ist der Sport ein strategisches Ziel: Seit dem 07.10. wurden demnach fast 60 palästinensische Stadien und Fußballplätze zerstört und mehr als 300 Spieler getötet. Davon abgesehen würden die Siedlungspolitik Israels und eingeschränkte Bewegungsfreiheit durch
Checkpoints im Land den Spielbetrieb massiv erschweren. Der PFA hat sich bei der Fifa beschwert und hofft nun auf eine Untersuchung.
Der israelische Fußballverband, IFA, hält die Vorwürfe für haltlos. Und Probleme wie mit den Checkpoints könnten gelöst werden – wenn sich die Einstellung des PFA ändere, sagt der IFA-Sprecher, Shlomi Barzel: "Seit 2015 wiederholt der PFA falschen Behauptungen. Die FIFA weist sie immer wieder zurück. Leider will der PFA will keine Versöhnung, sondern das Gegenteil. Auch wenn sie uns nur Schaden zufügen wollen: Unsere Hand ist immer für den Frieden ausgestreckt."

PFA lehnt Freundschaftsspiel während des Kriegs ab

Seit knapp zehn Jahren lädt die israelische Seite das palästinensische Team zu einem Freundschaftsspiel ein. Auch jetzt, während des Krieges. Dima Said, Sprecherin der PFA, lehnt ab: Fußball dürfte nicht missbraucht werden. "Während die Rechte der Palästinenser täglich verletzt werden, würde so ein Spiel die falsche Botschaft senden. Wir sind offen für Sport als Brücke zum Frieden. Aber wir brauchen bedeutungsvolle Aktionen, die eine Verpflichtung zur Gleichheit, Gerechtigkeit und ein Ende der Besatzung zeigen, bevor wir so eine symbolische Geste annehmen können."
Während der Spitzenfußball in gegenseitigen Anschuldigungen feststeckt, gibt es private Fußball-Initiativen, die einen anderen Weg gefunden haben.
Eine davon heißt "Gute Nachbarn" und entstand vor neun Jahren in dieser Straße in Jerusalem: Auf der einen Seite leben Palästinenser, auf der anderen Israelis. Kinder aus der Nachbarschaft treffen sich einmal pro Woche. Es geht nicht darum, einen Dialog oder Verständnis aufzubauen, sondern um das, was verbindet: Fußball. Die Trainings werden von Inter Mailand unterstützt.

"Wir benutzen Fußball, um Werte zu vermitteln"

Nebenbei kriegen die Kinder auch ein bisschen Sprachunterricht, sagt der Initiator, David Maeir-Epstein: "Wir benutzen Fußball, um Werte zu vermitteln, um zu zeigen, dass Israelis und Palästinenser auf derselben Seite stehen können, dass Du nicht denkst, wenn Du Arabisch hörst, es heißt: „Töte die Juden“, oder wenn Du Hebräisch hörst, dass es ein Soldat oder die Armee ist."
Das Projekt habe sich bis zur Palästinensischen Autonomoiebehörde im Westjordanland herumgesprochen, sagt David Maeir-Epstein – und sei dort nicht gut angekommen.
Ein Grafitti in Tel Aviv mit dem Satz "Bring them home" erinnert an die israelischen Geiseln der Hamas.
Ein Grafitti am Bloomfield-Stadium in Tel Aviv erinnert an die israelischen Geiseln der Hamas. (Marion Sendker)
Auch Dima Said vom Palästinensischen Fußballverband ist skeptisch: "Wir müssen zuerst die Wurzeln des Konflikts angehen. Solche Projekte können oberflächlich nach Hoffnung aussehen, aber auch dazu beitragen, dass die ungerechte Situation normalisiert wird."
David Maeir-Epstein von "Gute Nachbarn" stört sich nicht an der Kritik. Es gehe ja nicht darum, den Nahost-Konflikt zu lösen, sondern vor Ort miteinander auszukommen. Und um das zu schaffen, sei der Fußball das beste Mittel.