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Fußball-Profis in der Coronakrise
Tarifvertrag als Lösung?

Wenn Verträge von Profifußballern auslaufen, enden sie normalerweise am 30. Juni. Doch wie gehen Spieler mit diesem Vertragsschluss um, wenn die Spielzeit wegen der Corona-Pandemie noch läuft? Ein Tarifvertrag könnte in solchen Fällen für Vereine und Spieler verbindliche Regeln schaffen.

Von Thorsten Poppe |
Ultras bezeichnen das Spiel im Waldstadion die Commerzbank-Arena als Corona Arena |
Da auch die Arbeitsplätze von Profikickern auf dem Spiel stehen, weil den Vereinen die Einnahmen wegbrechen, könnte ein Tarifvertrag hier Rechtssicherheit schaffen. (HMB Media/ Heiko Becker)
Der 30. Juni ist einer der wichtigsten Tage im deutschen Fußball. An diesem Tag endet offiziell das Spieljahr – weshalb auch viele Verträge von Profi-Fußballern am 30.06 enden. Was in normalen Zeiten kein Problem ist, führt in der Coronakrise zu Schwierigkeiten. Denn es gibt Streit darüber, was mit den auslaufenden Verträgen passiert, sollte die Bundesliga bis in den Juli hineinspielen.
Spielerberater Jörg Neblung hat in den Verträgen seiner über 40 Profi-Fußballer geblättert, die er mit seiner Agentur betreut – und ist zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen: "Da steht dieses Datum drin, und dieses Datum ist bindend. Da ist Vertrag Vertrag. Es gibt in meinen Augen keine Option, dieses Datum auszuhebeln, sofern der Spieler nicht selber in irgendeiner Form einwilligt, länger für den Verein über das Ende seines Arbeitsvertrages hinaus tätig zu sein. Die FIFA kann da eigentlich nur eine Empfehlung geben, und sie muss das international gleichschalten."
Jörg Neblung
Jörg Neblung: "Das ist Vertrag Vertrag" (Deutschlandradio / Jessica Sturmberg)
Kaum Erfahrungswerte mit Krisen
Was für den Spielerberater eindeutig ist, sehen manche Experten anders. Thomas Hoeren lehrt an der Universität Münster Sportrecht, und sieht durch die Corona-Pandemie eine regelrechte Ausnahmesituation.
Deshalb kommt er auch zu einer anderen Bewertung als Spielerberater Neblung, was das Vertragsende am 30.06. angeht: "Da mögen Spielerberater erzählen, das wäre fix. Es ist aber in der jetzigen Zeit überhaupt nichts fix. Es gilt der Grundsatz: Wegfall der Geschäftsgrundlage, und der besagt, dass man in Krisenzeiten Verträge anpassen muss, und auch Laufzeiten dann später enden. Das heißt kein Spieler wird zum 30.06. so einfach gehen können!"
Die komplett unterschiedliche Auslegung der Vertragsenden von Fußballprofis zeigt, dass es für den aktuellen Fall keine Erfahrungswerte gibt – und dass es notwendig ist, eine Regelung zu finden. Die dann auch in allen Ligen praktikabel und umsetzbar ist. Doch momentan kann der organisierte Fußball diese Frage nicht beantworten.
Auch deshalb kommt eine andere, ältere Idee ins Spiel, die für solche Fälle verbindliche Regeln schaffen könnte. Vor allem für die Vereine und die Spieler: Der Tarifvertrag. Und der regelt nicht in erster Linie das Gehalt, sondern vor allem die Arbeitsbedingungen einer gesamten Branche. Ausgehandelt wird er zwischen Arbeitnehmern und den Arbeitgebern, in dem Fall also Spieler und Vereine.
Chance, den Profi-Fußball krisenfest zu machen
Ulf Baranowsky vertritt als Geschäftsführer der Spielergewerkschaft VDV fast 1500 Profikicker, die von den Bundesligen bis runter zu den Regionalligen verteilt spielen. Für ihn ist die aktuelle Ausnahmesituation auch eine Gelegenheit für den Profi-Fußball, um eine solche Regelungen anzugehen: "Diese Pandemie bietet auch die Chance, den Fußball zukünftig krisenfester aufzustellen. Wir brauchen sicherlich eine strengere Lizenzierung, und bessere Sicherungsinstrumente. Wir brauchen aber auch tarifvertragliche Lösungen, um mehr Rechtssicherheit und Flexibilität zu schaffen. Das gilt beispielsweise für Kurzarbeitsregelungen, die nämlich über Tarifverträge passgenau gestaltet werden können."

Andere Wirtschaftsbereiche wie die Metall- und Elektroindustrie haben gerade einen Tarifabschluss durchgeführt, der die Beschäftigungssicherung während der Coronakrise in den Mittelpunkt stellt. Da auch die Arbeitsplätze von Profikickern auf dem Spiel stehen, weil den Vereinen die Einnahmen wegbrechen, könnte ein Tarifvertrag hier Rechtssicherheit schaffen.
Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der Vereinigung der Vertragsfußballer (VDV
Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der Spielergewerkschaft VDV (dpa / Jürgen Fromme / firo Sportphoto/VDV)
Ein solcher Vertrag könnte zum Beispiel festlegen, wie flexibel die Vertragslängen in einer Ausnahmesituation sind. So dass erst gar nicht die Frage aufkommt, wann die Laufzeit endet? Oder auch um eben die Beschäftigung während solch einer Krise zu meistern, wie zum Beispiel mit Hilfe der angesprochenen, passgenauen Regelungen für Kurzarbeit. Das weiß auch Spielerberater Jörg Neblung, der in der aktuellen Situation gerade viel mit seinen Klienten über Kurzarbeit oder Gehaltsverzicht spricht:
"Tarifverträge sind tendenziell eine gute Sache in Ligen mit wenig Umsatz. Wir haben da eine Zwei-Klassengesellschaft in Deutschland. Von daher halte ich die Umsetzung eines Tarifvertrages in den obersten beiden Ligen für illusorisch. In den unteren Ligen wären sie, als in der Restriktion des Deutschen Fußball-Bundes, des DFB, da würde so ein Tarifvertrag sicher Sinn machen. Sicherlich wäre das jetzt gerade in der Phase, wo eine große Unsicherheit bei Dritt- und Viertligisten herrscht, eine sehr gute Sache!"
"Man braucht für einen Tarifvertrag eine Gewerkschaft"
Zuspruch bekommt der Spielerberater in diesem Fall von Thomas Hoeren. Der Sportrechts-Experte von der Universität Münster sieht im Profi-Fußball noch hohen Entwicklungsbedarf in dieser Frage, auch weil die Spielergewerkschaft VDV bisher nicht alle Profis vertritt. Er ist zudem wie Neblung der Ansicht, dass solch ein Tarifvertrag zwar Verbindlichkeit schaffen könne, aber für die Bundesligen nicht in Frage komme.
"Man braucht für einen Tarifvertrag eine Gewerkschaft. Und eine Gewerkschaft, abgesehen von dem, was der VDV macht, gibt es nicht. Und VDV vertritt Spieler hauptsächlich aus der 3. Liga, und drunter. Also dass Profi-Fußballer eine eigene Gewerkschaft gründen, um einen Tarifvertrag zu verhandeln, ist fast unmöglich, wenn sie die egozentrische Struktur solcher Profispieler kennen!"
Tarifverträge im Profi-Fußball existieren unter anderem in England, Frankreich oder Spanien. Auch wenn sie bisher nicht auf eine solche Krise ausgelegt sind, zeigen sie, dass es durchaus möglich ist, verbindliche Regelungen für alle auch im Profi-Fußball zu schaffen.