Krieg im Nahen Osten
Wie die Ultras den Protest in der arabischen Welt prägen

Der Terrorangriff der Hamas auf Israel und die Militäroffensive Israels im Gazastreifen führen zu Demonstrationen gegen Israel, auch in Fußballstadien. In einigen arabischen Ländern verbirgt sich dahinter auch Kritik an den eigenen Regierungen.

Von Ronny Blaschke | 05.11.2023
Blick in eine Gruppe Ultras im Stadion, sie sind kaum zu sehen, um sie ist roter Rauch. Am Tribünenrand hängt ein Banner, auf dem African steht.
In zahlreichen arabischen Fußballstadien nutzen Ultras die Bühne, um sich Pro-Palästina zu positionieren. (picture alliance / ZUMAPRESS.com / Chokri Mahjoub)
Fußballfans aus der libyschen Stadt Bengasi bedecken ihre Tribüne mit einer riesigen Stofftapete. Darauf zu sehen sind sechs Widerstandskämpfer aus der arabischen Welt, die sich einst gegen die europäischen Kolonialmächte gestellt haben. Die Malerei enthält aber auch die Farben der palästinensischen Flagge. Dazu ein Spruchband: „Wir werden nicht niederknien, wir lassen uns nicht demütigen. Wir leisten das, was unsere Großeltern gegen die Besatzer geleistet haben.“
Die Ultras aus Bengasi wollen eine historische Linie bis in die Gegenwart ziehen, von den Freiheitskämpfern aus der Kolonialzeit bis zur angeblichen „Kolonialmacht Israel“.
Dieses Beispiel aus Libyen ist eines von vielen für die politischen Ausrufezeichen im Fußball, sagt der deutsch-syrische Fanexperte Nadim Rai, der arabische Quellen analysiert:
„Das ist eigentlich eine typische panarabische Darstellung. Das ist diese eine arabische Nation, und das sind die arabischen Freiheitskämpfer, und die sollen halt als Vorbild gelten. Das ist genau, was Hamas eigentlich mit diesem Angriff bezwecken wollte, und zwar, dass halt Palästina wieder auf die Tagesordnung kommt.“

Banner eines vermummten Kämpfers

Die Proteste sind vielfältig: In der syrischen Hafenstadt Latakia riefen die rivalisierenden Erstligisten Hutteen und Tishreen zu einer pro-palästinensischen Kundgebung auf. In Tunesien entrollten Ultras von Africain Tunis das Konterfei eines vermummten Kämpfers. Bilder wie diese wecken Erinnerungen an den „Arabischen Frühling“ 2011. Damals hatten Ultras in Ägypten, Tunesien oder Marokko die Proteste gegen autokratische Herrscher mitgeprägt.
 „Ab dem Jahr 2011 war jedes Volk mit sich beschäftigt“, sagt Nadim Rai.

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„Jetzt ist es so, dass die das zur Seite getan haben, und sich auf ein Ereignis im ganzen Nahen Osten konzentrieren. Dieser Aktivismus von den Fans ist nicht abgeschafft worden, nachdem die ganzen Revolutionen im Nahen Osten stattgefunden haben, sondern der hat sich etabliert und wird jetzt gerade fortgeführt von den Fans.“

Kritik an der Zusammenarbeit mit Israel

Der Protest der Ultras im Nahen Osten kann unterschiedliche Folgen haben. In Ländern wie Syrien oder Libanon arbeiten die Eliten mit israelfeindlichen Terrorgruppen wie Hamas und Hisbollah zusammen. Dort entspricht die Art der pro-palästinensischen Fußballbotschaften, ohne den Terror der Hamas zu erwähnen, der Staatspropaganda. Doch in anderen Ländern sind die Umstände komplexer, sagt der Publizist René Wildangel, der sich seit vielen Jahren mit der Region beschäftigt:
„Gleichzeitig findet das in vielen Ländern statt, die ja gerade ihre Beziehungen mit Israel in den letzten Jahren zum Teil normalisiert haben, Teil dieser Abraham Accords waren, also ein Beispiel wäre Marokko. Und diese Abraham Accords, die geraten jetzt sehr unter Druck. Weil die Bevölkerung eben ihre eigenen Regierungen dafür kritisieren, diese engen Beziehungen mit Israel aufrechtzuerhalten.“
Ein Beispiel:  In der tunesischen Küstenstadt Gabès bedeckten die Ultras des Vereins Avenir Sportif ihre Tribüne mit einer riesigen Karikatur. Darauf zu sehen: Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi, der sich die Ohren zuhält. Und der jordanische König Abdullah II., der sich die Augen verdeckt. Ägypten unterhält seit 1979 diplomatische Beziehungen zu Israel, Jordanien seit 1994. Die tunesischen Ultras halten diese Beziehungen offenbar für Verrat an den Palästinensern.

Herausforderung für die Klub-WM

Nochmal anders ist die Lage im Iran, sagt René Wildangel, wo die Ablehnung Israels und die Förderung der Hamas seit langem eine Säule des Staates bilden: „Und wie weit da die Kluft ist zur iranischen Bevölkerung, das konnte man ja auch ganz eindrucksvoll in verschiedenen Stadien sehen, zuletzt im Azadi-Stadion, wo eine Schweigeminute für die Opfer in Gaza, also natürlich auch einseitig und für Palästina, abgehalten werden sollte, wo es ein riesiges Pfeifkonzert gab. Und das war eine ganz klare Absage an diese Regierungspropaganda.“
Wie geht es im Fußball der Region weiter? Im Dezember findet in Saudi-Arabien die Klub-WM statt. Das größte Land der Arabischen Halbinsel will sich als weltoffene Regionalmacht präsentieren, auch mit der WM-Bewerbung für 2034.
Doch es sei gut möglich, dass die Diskussion über den Nahen Osten auch in Saudi-Arabien eine Rolle spielen wird, sagt Robert Chatterjee, stellvertretender Chefredakteur des Fachmagazins „Zenith“, und er verweist auf den Klub Al Ahly aus Kairo, der als Sieger der afrikanischen Champions League an der Klub-WM teilnehmen wird:
„Und gerade die Fans von Al Ahly Kairo gehören ja mit zu den politischsten in der gesamten Region. Auch, wenn sie jetzt ja nicht mehr in den Stadien in Ägypten präsent sein dürfen. Sie sind ja verboten worden, gelten ja in Ägypten auch offiziell als Terrororganisation. Aber gerade bei solchen Veranstaltungen, da sind es Möglichkeiten für Al-Ahly-Fans, ja wieder ins Stadion zu gehen. Und ich kann mir gut vorstellen, dass dort auch etwas in den Fankurven passiert. Und ich bin nicht sicher, wie die Saudis damit umgehen.“
Saudi-Arabien gilt als ein neues Machtzentrum des Fußballs. Die geopolitischen Konsequenzen des Krieges dürften diese Entwicklung weiter überschatten.