Reform des Jugendfußballs
Wie der Übergang vom Nachwuchs zu den Profis gelingen soll

Längst geht der Blick nicht mehr nach Deutschland, wenn es um eine Top-Nachwuchsarbeit im Fußball geht. Eine Studie im Auftrag des DFB und der DFL zeigt, dass Deutschland den Anschluss verloren hat. Die Verbände skizzieren Problemlösungsansätze.

Von Daniel Theweleit | 10.09.2023
Ein Fußballspieler dribbelt im Training zwischen Hütchen hindurch (Symbolbild)
Die Reform des Jugendfußballs beschäftigt den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und die Deutsche Fußball-Liga (DFL). Der Übergang vielversprechender Talente in den Profibereich soll künftig besser funktionieren. (imago sportfotodienst / imago sportfotodienst)
Es gibt eine lange Liste mit Themen, die Hannes Wolf bearbeiten muss, nachdem er jüngst als neuer Direktor Nachwuchs, Training und Entwicklung beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) vorgestellt worden ist. Niemand im Verband kann sich mehr der Erkenntnis entziehen, dass andere Nationen sportlich enteilen.
"England und Frankreich haben in dem U21-Bereich drei bis vier Mal so viele Spieler, die in den Profiligen eingesetzt werden wie wir. Das heißt, in der Breite fehlt uns die Spitze", lautet eine erste Bestandsaufnahme von Wolf.

Studie: Fußball-Deutschland hat "Anschluss an Spitze verloren"

Diese basiert auf einer Studie, die der DFB und die Deutsche Fußball-Liga (DFL) in Auftrag gegeben haben und die dem Deutschlandfunk vorliegt. Untersucht wurden die Karriereverläufe von 7.519 Spielern in unterschiedlichen europäischen Nationen.
Ein Hauptergebnis fasst Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter der DFB-Nationalmannschaften, so zusammen: "Die Key-Learnings aus dieser Studie waren, dass wir in der Nachwuchsförderung im Ländervergleich den Anschluss an die europäische Spitze verloren haben. Dass wir mit keinem Verein unter den Top Ten der Nachwuchsförderung sind. Das gilt vor allem für die Ausbildung von Topspielern."

Verhältnismäßig weniger Profi-Fußballer werden ausgebildet

Das ist ernüchternd, nachdem Nationen wie England noch vor wenigen Jahren bewundernd auf das deutsche System mit seinen mehr als 50 Nachwuchsleistungszentren geschaut haben. Die für Erst- und Zweitligaklubs zwingende Gründung solcher Ausbildungsabteilungen gelten als Fundament für die Erfolgsära mit dem Champions-League-Finale zwischen dem FC Bayern und Dortmund 2013 sowie dem WM-Titel 2014.
Doch inzwischen zeigen sich Schwächen im System. Gemessen an der Einwohnerzahl werden in Deutschland zum Teil erheblich weniger professionelle Fußballer ausgebildet als in Frankreich, England, Italien, Spanien und Portugal. Tendenz fallend.

Übergangsbereich zu Profis ist "die Königsdisziplin"

Und dabei fällt der Blick nun auf die schwierige Karrierephase nach der A-Jugend, wenn der Sprung in den Erwachsenenfußball gelingen soll, sagt Daniel Feld, der bei der DFL für die Talentförderung zuständig ist: "Man muss ganz klar sagen, dass der Übergangsbereich der kritischste Erfolgsfaktor ist in der Nachwuchsförderung und somit die Königsdisziplin."
Diese beherrschen andere Nationen besser. In Portugal und Spanien werden junge Spieler viel behutsamer an das Topniveau herangeführt. Nur acht Prozent der Profis debütieren hier in der der obersten Spielklasse, in Deutschland erleben 39 Prozent ihren ersten Profieinsatz in der Bundesliga.
Feld erklärt, eine erste Zeit als Profi auf den hinteren Plätzen eines Bundesligakaders mit punktuellen Einsätzen habe einen "tendenziell negativen Einfluss". Er ergänzt: "Wenn es allerdings andersherum ist, dass Spieler auf einem Niveau von 2., 3., vor allem auch 4. Liga regelmäßig Spielpraxis bekommen, wenn sie denn so weit sind, dass das einen unheimlich positiven Einfluss hat."

Der Titel Jugend-Bundesliga verleitet zum Höhenflug

Heißt im Klartext: Das, was so oft gefeiert wird, also die Durchlässigkeit vom NLZ direkt ins Bundesligateam, ist eher eine Schattenseite. Spieler werden in ihrer Entwicklung gehemmt, wenn sie zu schnell in den Profikader aufrücken. Doch oft fehlt die Bereitschaft der Talente, sich erstmal in der 3. oder 4. Liga durchzusetzen. Auch deshalb werden die U17- und U19-Bundesligen künftig nicht nur in einem neuen Format gespielt, sondern sie heißen auch gar nicht mehr Bundesliga.
Chatzialexiou, Sportlicher Leiter der DFB-Nationalmannschaften, begründet das so: "Spieler kommen aus der Junioren-Bundesliga hoch und wundern sich dann, wenn sie irgendwie mal in der Regionalliga oder in der 3. Liga spielen und glauben, seit vier Jahren Bundesligaspieler gewesen zu sein. Das ist ein Kopf-Thema. Das ist etwas, was Spieler beschäftigt. Wir haben auch Spieler befragt und genau diese Rückmeldungen bekommen."
Oft stecken die Talente am Ende ihrer Jugendzeit in einer schwierigen Lebenslage. Sie träumen von großen Karrieren, haben manchmal ungeduldige Berater und Eltern. Nach mehreren Jahren im NLZ des FC Bayern oder von Eintracht Frankfurt erstmal einen Vertrag bei Viktoria Köln oder dem SC Verl abzuschließen, fühlt sich an wie ein Absturz. "In Deutschland ist unser derzeitiges Mindset, die Spieler sofort in die Bundesliga zu holen. Und wenn jemand ein Debüt hat, dann sagen wir, er hat es geschafft", moniert Chatzialexiou.

Zweitvertretungen können Talente an Profibereich ranführen

Einen Ausweg bieten zweite Mannschaften, wie sie der SC Freiburg in der 3. Liga unterhält. Dort haben sich etwa die Nationalspieler Kevin Schade und Nico Schlotterbeck nach der U19 auf gutem Niveau an das körperlich intensivere Spiel der Profis gewöhnen können. Und sie waren durch eine enge Anbindung ans Bundesligateam ihrem eigentlichen Ziel immer nah.
Auch Bayern Münchens Thomas Müller oder Rodri von Manchester City, einer der derzeit besten Mittelfeldspieler der Welt, sind diesen Weg gegangen. In Spanien dürfen die zweiten Mannschaften der großen Klubs sogar in der zweiten Liga antreten, was der Ausbildung offenbar sehr zuträglich ist. Etliche deutsche Klubs haben ihre Zweitvertretungen hingegen abgeschafft. Ein Fehler, wie sich jetzt zeigt.

Gute Ausbildung ist nicht nur eine Frage des Geldes

"Wir sind gerade natürlich dabei, dort Lösungen zu finden. Das kann auf verschiedensten Leveln stattfinden. Das heißt, ich habe natürlich in allererster Linie den Club selber, der, der eine Strategie hat und dann alleinverantwortlich natürlich das meiste im Rahmen der Ausbildung bestimmt, auch. Und wir können als Verbände, als Liga versuchen, zusammen mit den Klubs dort Wege zu schaffen. Ob das wie in anderen Ländern U21 Wettbewerbe sind, ob das, ob das Ligen Strukturen sind, ob das Regularien sind, die man ändert, was Spielberechtigungen angeht, was eventuell Leihen angeht, speziell für diese Spieler.", sagt Daniel Feld, bei der DFL zuständig für die Talentförderung. Das klingt, als wäre noch viel zu tun.
Eine Erkenntnis der Studie macht allerdings Hoffnung: Eine gute Ausbildung funktioniert relativ unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Klubs. Kleine Vereine wie Atalanta Bergamo (Italien), Stade Rennes oder der FC Toulouse (beide Frankreich) werden als "Hidden Champions" der Ausbildung gefeiert. Deutsche Vereine fehlen auch hier unter den Top Ten.