Christoph Heinemann: Wolfgang Niersbach versuchte heute Berichte zu entkräften, sein Deutscher Fußballbund habe die Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland gekauft. Inzwischen hat der frühere DFB-Generalsekretär Horst Schmidt, seinerzeit Vizepräsident im WM-Organisationskomitee, kurz "OK", die Beschaffung der Dreyfus-Millionen für die FIFA als "Alleingang des Kaisers" dargestellt. Beckenbauer erklärte am Abend, er werde den vom DFB eingesetzten externen Prüfern Rede und Antwort stehen. - Vor der Sendung haben wir Sylvia Schenk erreicht, die Leiterin der Arbeitsgruppe Sport bei Transparency International. Ich habe sie gefragt, ob Wolfgang Niersbach sie überzeugt habe.
Sylvia Schenk: Er hat mich insofern überzeugt, als man ihm angemerkt hat, wie schwer ihm das alles fällt, dass er sich selber offensichtlich ärgert, nicht alle Informationen zu haben, die man braucht, um den Sachverhalt wirklich darlegen und dann auch beurteilen zu können. Und er hat ja ehrlich auch eingestanden, dass seine Informationspolitik gegenüber den Präsidiumskolleginnen und Kollegen und auch sein Krisenmanagement nicht so das Allerbeste war.
Heinemann: Und in der Sache?
Schenk: In der Sache sind einfach noch zu viele Fragen offen, die er anscheinend selber gar nicht beantworten kann. Es bleiben die Fragen an Dr. Zwanziger, und das von der FIFA, was ich gelesen habe, war auch etwas kryptisch. Die haben gesagt, ein solcher Vorgang entspricht nicht unseren Verfahren und unseren Prozessen. Aber sie sagen nicht, ein solcher Vorgang hat nicht stattgefunden. Also da sind noch viele Fragen offen.
"Möglicherweise hat die FIFA Cash gebraucht"
Heinemann: Den Vorgang wollen wir noch mal so erklären: Das Organisationskomitee des DFB zahlt der FIFA 6,7 Millionen, damit die FIFA dem Organisationskomitee für die WM 170 Millionen Euro zahlt. Statt des mittellosen Komitees habe dann der französische Geschäftsmann Robert Louis-Dreyfus die Summe überwiesen. Klingt so ein bisschen wie die Legende zum Märchen, oder?
Schenk: Es klingt so ein bisschen, wenn es wirklich so gewesen wäre, als ob die FIFA Geld gebraucht hätte. Da war ja kurz zuvor im Jahr 2001 die ESL, der damalige Fernsehrechte-Händler der FIFA, Pleite gegangen. Da waren finanzielle Turbulenzen bei der FIFA. Das habe ich noch mal im Internet nachgelesen. Das war so. Möglicherweise hat sie Cash gebraucht. Das wäre eine mögliche Erklärung, aber ist natürlich im Moment auch ein Stück weit Spekulation. Möglicherweise hat sie Cash gebraucht und hat gesagt, okay, demnächst nehmen wir ja alle viel ein, wenn die Weltmeisterschaft stattfindet, könnt ihr mir praktisch eine Vorauszahlung geben, die wir später verrechnen.
Heinemann: Aber die FIFA sagt ja, das stimmt gar nicht. Jetzt liegt der schwarze Peter wieder beim DFB.
Schenk: Es liegt bei denen, die damals verantwortlich gehandelt haben.
Heinemann: Unter anderem Herr Niersbach.
Schenk: Na ja, der war nicht für die Finanzen zuständig.
Heinemann: Aber im Organisationskomitee drin.
Schenk: Ja, da waren viele drin, und er war offensichtlich in einen Teil der Gespräche nicht eingebunden. Wenn da Vier-Augen-Gespräche oder Sechs-Augen-Gespräche ohne ihn stattgefunden haben und er darüber nicht informiert wurde? Es nutzt ja jetzt nichts, alles Herrn Niersbach zuzuschieben. Dadurch werden wir auch nicht schlauer. Ich möchte wissen von Horst. R. Schmidt, der war damals Generalsekretär des DFB, ich möchte wissen von Dr. Zwanziger, der war Präsident des DFB, insofern Vorgesetzter von Herrn Niersbach zum damaligen Zeitpunkt und als Vizepräsident im OK für die Finanzen zuständig und er hat die Anweisung zusammen mit Horst R. Schmidt 2005 unterschrieben, ich möchte von denen wissen, was sie damals gefragt haben, welche Informationen sie von damals haben. Dann wird es vielleicht ein gesamtes Bild aus dieser Zeit.
"Es gibt Personen, die mehr wissen müssen und bisher nichts gesagt haben"
Heinemann: Wolfgang Niersbach ist ja heute nicht der Balljunge des DFB, sondern der Präsident. Hat ein Chef, der die entscheidenden Fragen zu einem möglichen Skandal nicht beantworten kann - Sie haben das selber gerade eben zugegeben -, hat der seinen Laden im Griff?
Schenk: Ich brauche hier erstens nichts zuzugeben. Ich versuche nur, mich in diesem Wirrwarr von Informationen zurechtzufinden. Und wenn er keine Antworten bekommt, kann er auch die entscheidenden Fragen nicht beantworten. Das haben wir ja auch in Wirtschaftskreisen und anderswo von Zeit zu Zeit mal, dass man an bestimmte Personen nicht ran kann. Es ist ja nicht so, dass Horst R. Schmidt und dass der Dr. Zwanziger die Untergebenen von Herrn Niersbach sind.
Heinemann: Niersbach ist der Präsident des DFB. Das heißt, wenn der Präsident seinen Leuten sagt, hört mal, Freunde, recherchiert da mal, dann muss er doch Antworten bekommen.
Schenk: Von wem denn? Von einem Zwanziger, der seit Jahren einen Krieg gegen Herrn Niersbach führt? Wie soll er denn da Antworten kriegen?
Heinemann: Gibt es keine Akten, kein Archiv beim DFB?
Schenk: Das weiß ich doch nicht. Ich weiß doch nicht, welche Akten von dem OK heute noch da sind und was in denen drinsteht. Sie können ja jetzt nicht mich verantwortlich machen, wenn ich das nicht klären kann. Ich habe jetzt nur die Aussage von Herrn Niersbach. Ich habe keine Anhaltspunkte zu sagen, das war alles gelogen. Ich weiß nicht, ob Sie da Anhaltspunkte haben. Dann sagen Sie die bitte. Ansonsten stelle ich fest, dass es Personen gibt, die mehr wissen müssen und die bisher nichts gesagt haben.
Heinemann: Ich stelle Ihnen deshalb die Frage, weil Sie bisher im Verlauf des Gesprächs eher die Schuld der FIFA in die Schuhe geschoben haben.
Schenk: Nein, nein! Ich schiebe keine Schuld. Ich sage nur, dass die FIFA klären muss, und die bisherige kryptische Antwort der FIFA heute auch noch nicht zur Erhellung beigetragen hat. Wenn die FIFA sagt, wir haben alles geprüft, es gab eine solche Überweisung über die Finanzkommission 2002 - es sollen ja zwei Überweisungen gewesen sein, eine 2002 von Louis-Dreyfus an die Finanzkommission und dann eine zweite 2005 vom Organisationskomitee über die Finanzkommission der FIFA zurück an Louis-Dreyfus. Die zweite scheint belegt zu sein 2005. 2002 sagt die FIFA, es entsprach nicht unseren damaligen Prozessen. Das heißt aber nicht, es hat nicht stattgefunden. Da hätte ich erst mal eine klare Aussage von der FIFA. Vielleicht wissen die es auch noch nicht, vielleicht klären die gerade. Dann können wir die weiteren Fragen stellen.
"Ich halte es für fatal, jetzt mit Unterstellungen zu arbeiten"
Heinemann: Die FIFA sagt ja, dass grundsätzlich irgendwelche Vorausleistungen damals nicht Usus waren.
Schenk: Ja!
Heinemann: Insofern haben die sich geäußert. Also es bleibt dabei: Einer von den beiden sagt nicht die Wahrheit. - Wenn wir uns jetzt mal die Finanzierung angucken: Es gab Banken, es gab den DFB, es gab die Bundesregierung. Das heißt, das Organisationskomitee hätte sich an vielen Stellen Geld leihen können. Stattdessen der mittlerweile verstorbene Adidas-Chef. Würzt diese Finanzquelle noch das allgemeine Geschmäckle der ganzen Affäre?
Schenk: Er war 2002 meines Wissens schon nicht mehr Adidas-Chef, sondern nur bis 2001, nur dass wir da wirklich korrekt bleiben. Dass das Ganze so oder so ein Geschmäckle hat, weil Sachen unklar sind, ist ja völlig unbestritten. Aber da müssen wir jetzt einfach mal warten, ob sich das noch weiter erhellen lässt.
Heinemann: Insofern war das heute sicherlich kein Befreiungsschlag für Wolfgang Niersbach?
Schenk: Befreiungsschlag war es nicht. Das wird er selber aber von Anfang an gewusst haben. Wenn man nicht lückenlos alle Details darlegen kann, dann ist es kein Befreiungsschlag. Aber es war eben ein erster Schritt, mal das zu erklären, was er, so wie er es dargestellt hat, weiß. Jetzt kann man unterstellen, er weiß mehr. Das will ich nicht unterstellen, weil ich das für fatal halte, in einem solchen Zeitpunkt und in einer solchen Sache mit Unterstellungen zu arbeiten. Insofern muss man abwarten, was sich weiter klärt.
Heinemann: Sylvia Schenk von Transparency International. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.