Silvia Engels: Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin! Das war einer der Gesänge, den die frisch gebackenen deutschen Fußball-Weltmeister direkt nach dem Spiel in der Kabine anstimmten. Schon im Vorfeld war klar gewesen: Nur im Fall des Titels wollte sich das Team um Bundestrainer Löw auf der Fanmeile in Berlin feiern lassen.
Hätten sie das Finale verloren, wären sie stattdessen nach Frankfurt geflogen und von dort ganz ohne großen Empfang direkt in den Urlaub. Doch nun kommt das ganz große Programm. Berlin bereitet sich also auf den Empfang des Weltmeister-Teams vor. Zum insgesamt vierten Mal ging der Titel an Deutschland und 34 Millionen Menschen in Deutschland verfolgten das Finale am Fernseher, viele andere im Radio oder beim Public Viewing.
Wie bereitet man sich als Fußballreporter auf so ein Ereignis vor? Das fragte Jürgen Liminski gestern den langjährigen Radiokommentator Manfred Breuckmann.
Manfred Breuckmann: Wenn man das Spiel übertragen muss, im Radio oder im Fernsehen, dann ist das natürlich eine beeindruckende Zuschauer- und Zuhörerzahl. Da wird man noch ein bisschen präziser und bereitet sich noch länger vor, denn so ein Finale mit dieser riesigen Bedeutung, da kommt man sich selber auch ganz schön bedeutend vor, und es könnte ja sein, dass man in die Lage versetzt wird, diesen berühmten Satz "Deutschland ist Weltmeister" in den Äther zu rufen, und da bedarf es schon ganz gravierender Grundlagen.
"Ich habe noch keine schönere Weltmeisterschaft erlebt"
Jürgen Liminski: Sie haben schon viele Tourniere und viele Superlative gesehen. Haben Sie schon mal eine schönere Weltmeisterschaft erlebt?
Breuckmann: Habe ich nicht, muss ich wirklich sagen. Es hat ein paar Spiele gegeben, die waren ganz furchtbar, allen voran das Halbfinale, das die Argentinier gegen die Holländer bestritten haben. Das war so ein Zweckmäßigkeitsfußball, der nur auf das Ergebnis geschielt hat. Aber speziell in der Vorrunde, da waren einige Spiele dabei, da würde man in Bayern sagen, die waren vogelwild.
Da gab es zum Beispiel auch dieses 5:1 von Holland gegen Spanien, das ein großes Versprechen seitens der holländischen Mannschaft abgegeben hat, das dann hinterher aber nicht eingehalten wurde, und über das 7:1 der Deutschen gegen Brasilien, da müssen wir überhaupt nicht reden. Es gab einiges, das ein bisschen zäh war, aber vieles, das sehr ansehnlich und unterhaltsam gewesen ist.
Liminski: Die FIFA hat immer nur schöne Bilder gezeigt, die heile Welt sozusagen. Zuständig dafür war der Neffe von FIFA-Präsident Blatter, den die Spieler zum Teil mit eisiger Höflichkeit begrüßten, konnte man am Ende des Finales ja doch beobachten. An der FIFA prallt jede Kritik ab, sie verteidigt ihre heile Welt auf jeden Fall, ich würde mal sagen, verbissener und besser als Neuer, Hummels, Boateng, Kroos und die anderen das deutsche Tor. Wird auch die Kritik wegen Katar und Russland abprallen? Was meinen Sie?
Breuckmann: Wegen Russland wird die Kritik, denke ich mal, abprallen. Das ist ja eine große Schwierigkeit. Ich denke, wir können jetzt nicht hingehen und eine Liste mit 10 bis 15 Ländern machen, die unter unseren westlich geprägten demokratischen Vorstellungen geeignet sind, eine solche Fußball-Weltmeisterschaft auszutragen, oder Olympische Spiele. Da gibt es manche Grenzfälle, über die muss man diskutieren.
Was Katar angeht, da hoffe ich wirklich, dass sich da auch zum Beispiel die Korruptionsvorwürfe noch ein bisschen weiter verdichten werden, dass man endlich dazu kommt, diese Entscheidung, die bestimmt eine Fehlentscheidung gewesen ist, für das Jahr 2022 zu revidieren.
"Urs Siegenthaler ist ein ganz wichtiger Mann in Löws Team"
Liminski: Ein Wort zu den Vätern des Erfolgs. Man hört immer von der Krönung der zehn Jahre Arbeit. Natürlich steht da Jogi Löw in der ersten Reihe. Wer steht neben ihm?
Breuckmann: Da fällt mir als Erstes der Urs Siegenthaler ein. Das ist ein Schweizer, der wird als Scout bezeichnet, der ist aber viel mehr. Das ist ein Ratgeber, der hat einen Überblick über Spielsysteme, der kennt Spieler, der reist durch die Länder und der ist ein ganz, ganz wichtiger Mann in Jogi Löws Team.
Hansi Flick, den Co-Trainer, darf man natürlich auch nicht vergessen. Und dann all die Zulieferer sozusagen – im Zusammenhang mit Menschen ist das vielleicht ein unpassendes Wort -, die in den Vereinen und in den Verbänden seit dem Jahre 2000, seitdem man sich entschlossen hat, die Nachwuchsförderung auf vollkommen neue Beine zu stellen.
Liminski: Sie sagten eben, Jogi Löw ist einfach unangefochten jetzt. Er steht auf dem Zenit seiner Arbeit. Mehr geht in der Tat nicht. Was wird er jetzt Ihrer Meinung nach tun?
Breuckmann: Der Jogi Löw wird, so schätze ich mal, die nächsten zwei Jahre noch mitnehmen. Er kommt ja aus dem schönen badischen Land und die nächste Europameisterschaft, die ist ganz in der Nachbarschaft: in Frankreich. Ich kann mir schon aus diesem Grund nicht vorstellen, dass er sich das nehmen lassen wird. Man könnte natürlich immer sagen, auf dem Höhepunkt zurücktreten ist das Allergrößte. Wer weiß, was im Jahre 2016 bei der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich passiert.
Aber der Vertrag geht bis 2016. Der DFB-Präsident mahnt die Einhaltung an und ich denke, der Jogi Löw, der wird das machen, und dann wird man in diesen zwei Jahren einen Co-Trainer – man braucht ja einen neuen, nachdem Hansi Flick Sportdirektor jetzt wird beim Deutschen Fußballbund -, vielleicht sogar den Kollegen Tuchel, der im Augenblick ohne Verein ist, an die Aufgabe heranführen, dann demnächst irgendwann mal die Chef-Trainer-Eigenschaft zu übernehmen.
"Die Nationalmannschaft hat ein großes Reservoir"
Liminski: Letzte Frage, Herr Breuckmann. Beckenbauer hat nach dem Titelgewinn _90 gesagt, diese Mannschaft werde nicht mehr zu schlagen sein. Zwei Jahre später verlor diese Mannschaft gegen Dänemark. Nun hat die Löw-Elf noch Reserven, Reus, die Bender-Brüder. Ist diese neue Elf unschlagbar?
Breuckmann: Das ist ein großes Wort, das Sie jetzt gerade sehr gelassen ausgesprochen haben, und ich werde den Teufel tun, dieses Wort zu wiederholen. Man sollte im Fußball grundsätzlich keine Prognosen wagen, die über das nächste Jahr hinausgehen. Sicher ist, die Nationalmannschaft hat ein großes Reservoir. Sicher ist aber genauso, wenn zum Beispiel Miroslav Klose jetzt zurücktreten wird – der ist ja 36 Jahre alt -, dann brauchen wir einen neuen Mittelstürmer. Wir haben derzeit nur einen einzigen, der den richtigen Mittelstürmer geben kann. Das ist schon eine neue Aufgabe.
Aber ansonsten gibt es auch aufgrund der verbesserten Nachwuchsförderung sehr, sehr viele Spieler, die so nach und nach in dieses Team eingebaut werden können. Ich denke da zum Beispiel auch an Christoph Kramer, der es ja schon probiert hat, innerhalb eines Jahres vom Zweitliga-Spieler zum Startspieler in einem WM-Finale, leider gebremst durch ein Foul von zwei Argentiniern.
Engels: Manfred Breuckmann im Gespräch mit Jürgen Liminski.
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