„Für uns steht die Kultur an erster Stelle, der Fußball an zweiter. Wir wollen durch den Sport unsere Kultur zum Ausdruck bringen, wer wir sind, überall auf der Welt. Und gleichzeitig auch die Menschen in Australien aufklären, wie wichtig es ist, die ältesten Völker der Welt zu unterstützen.“ Das sagt Lawrence Gilbert. Er ist Gründungsmitglied und Vorsitzender des Australian Indigenous Football Councils (AIFC).
Viele Jahre lang hat er als Amateurfußballer und Nationalspieler Australien im Futsal vertreten. Seit ein paar Jahren versucht er durch seine Organisation, mehr junge Menschen mit indigenen Vorfahren an seinem Sport teilhaben zu lassen.
Indigene Einwohner Australiens im Fußball stark unterrepräsentiert
Variationen des Fußballspiels sind schon seit Jahrhunderten fester Teil der Kultur der Aborigines, die heute etwa vier Prozent der australischen Bevölkerung ausmachen. Trotzdem belegen aktuelle Zahlen: Von den knapp einer Million begeisterten Fußballspielerinnen und Fußballspielern in Australien haben nur 6.000 auch indigene Wurzeln – ein Anteil von gerade einmal 0,6 Prozent.
Deswegen unterstützt Gilberts Organisation indigene Gemeinden in Australien dabei, lokale Vereinsstrukturen zu etablieren. Er erklärt: „Wir sind direkt zu den Communities gegangen und haben das Spiel direkt in die Communities gebracht. Ich glaube, das war etwas sehr Neues für unsere Communities, das auch in unserem Sport zu erfahren: Sie sind es gewohnt, ignoriert zu werden. Obwohl wir ja auch Fußball spielen können und in diesem Sport existieren. Das haben wir schon oft bewiesen. Der Rest Australiens muss verstehen, dass es uns gibt.“
Bisher keine Kooperation mit Fußballverband
Schon mehrmals hat Gilbert auch versucht, eine Kooperation mit dem australischen Fußballverband Football Australia zu etablieren – bislang aber ohne Erfolg.
Gilbert führt aus: „Wir haben versucht, Football Australia zu überzeugen: Lasst uns Seite an Seite gehen. Wir zeigen euch, wie es funktioniert, damit ihr in Zukunft eigene Wege kreieren könnt für indigene Kinder, die Fußballer werden wollen. Leider haben wir dahingehend noch nichts erreicht. Das ist sehr enttäuschend, gerade jetzt, wo eine Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen hier stattfindet.“
Der australische Fußball-Verband hat vor ein paar Jahren selbst erste Schritte eingeleitet, um die Teilhabe indigener Menschen am Fußball zu erhöhen. Seit November 2021 gibt es eine unabhängige und ehrenamtliche Beratergruppe, die den Verband auf dem Weg zu mehr Teilhabe unterstützen soll.
Ex-Spielerin Menzies fordert Strategieentwicklung
Effektive Ansätze gab es bisher aber noch nicht, erzählt Karen Menzies, die in den 80er-Jahren die erste Nationalspielerin mit indigenen Vorfahren war: „Wir als Beratergruppe waren bisher nur damit beauftragt, bei neuen Richtlinien mitzuhelfen und unsere Meinung dazu abzugeben. Wir hatten also noch nicht wirklich die Möglichkeit, unsere eigentlichen Anliegen auch umzusetzen.“
Eine der größten Forderungen von Menzies: Mehr indigene Repräsentation in den Verbandsstrukturen: Mindestens ein festes indigenes Mitglieds soll es demnach im Präsidium von Football Australia sitzen, daneben müsse auch die Anzahl der indigenen Angestellten im Verband drastisch erhöht werden. Und sie fordert auch eine Studie darüber, wie der Fußball in den indigenen Communities gerade aussieht, um eine Strategie für mehr Teilhabe zu entwickeln.
Indigener Fußball-Verband strebt nach Selbstbestimmung
Mit einigen Mitgliedern der Beratergruppe des Verbandes gab es in der Vergangenheit auch schon Kontakt, eine Kooperation lehnt Gilbert aber ab: „Ich möchte ein Meeting mit dem Verbandspräsidenten und dem CEO. Und die haben noch nicht geantwortet, obwohl wir ihnen geschrieben haben. Wir sagen immer: Der Grund weshalb wir überhaupt existieren, ist, dass wir keine Berater sind. Wir sind Entscheidungsträger. Wir haben lange genug beraten, jetzt wollen wir auch die Entscheidungen treffen.“
Selbstbestimmung – das ist die große Forderung des indigenen Fußball-Verbandes. Erst im März hat sich Gilbert erneut in einem Brief direkt an Football Australia gewendet, dieses Mal auch adressiert an FIFA-Präsident Gianni Infantino. „Worum wir die FIFA bitten ist, uns zu unterstützen. Wir wollen, dass die Fördergelder direkt an die indigenen Organisationen gehen, damit sie selbst bestimmen können, was das Beste für ihre Völker ist“, sagt Gilbert.
Maori und Aborigines-Frauen Teil von FIFA-Beratergruppe
Die FIFA hat auf den Brief, genauso wie auch der australische Verband, noch nicht reagiert. Stattdessen richtete der Weltverband, ähnlich wie Football Australia, kurz vor der Weltmeisterschaft eine eigene Beratergruppe ein, bestehend aus drei Maori und drei Aborigines-Frauen. Auch Menzies ist Teil dieses Komitees. Sie unterstreicht: „Das ist das erste Mal, dass die FIFA ein solches kulturelles Beraterpanel eingerichtet hat. Um sicherzustellen, dass die Weltmeisterschaft kulturell inklusiv ist.“
Neben indigenen Motiven werden bei dieser Weltmeisterschaft auch die Namen der indigenen Völker, die früher das Land der WM-Spielorte bewohnt haben, auf allen FIFA-Kommunikationswegen genannt. Dazu wirbt die FIFA auch auf ihren Kapitänsbinden für mehr Anerkennung der indigenen Bevölkerung.
„Und vielleicht am medienwirksamsten ist die Inklusion der indigenen Flaggen in den Stadien. Das ist deshalb so bemerkenswert, weil die FIFA bis jetzt eigentlich immer nur eine Flagge pro Nation akzeptiert und anerkannt hat. Das ist also noch noch nie dagewesen: Dass die FIFA auch indigene Flaggen offiziell anerkennt“, sagt Menzies.
Planung für WM mit indigenen Teams in Eigenregie
„Ich glaube, die Symbolik ist fantastisch und wir begrüßen das auch. Aber das reicht bei Weitem nicht aus“, betont derweil der AIFC-Vorsitzende Gilbert. „Wir brauchen Unterstützung, wir wollen Kooperationen, Partnerschaften, wir wollen, dass unsere eigenen Nationen durch den Fußball unterstützt wird. Und das passiert momentan überhaupt nicht.“
Deshalb sucht Gilbert mit seinem Verband jetzt internationale Unterstützung: Im März hat der AIFC gemeinsam mit den neuseeländischen indigenen Verband der Maori ein Abkommen unterzeichnet. Das große Ziel: Eine Weltmeisterschaft bestehend nur aus den Teams indigener Völker.