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Fußball-WM in Katar
Das Nervenzentrum der WM

60.000 Zuschauerinnen waren beim WM-Eröffnungsspiel im Stadion. Und wahrscheinlich waren mehr Kameras auf sie gerichtet, als auf die Spieler. Denn der Gastgeber hat in allen Stadien genauestens im Blick. Gesteuert aus einem einzigen Raum in Doha.

Von Maximilian Rieger |
Blick in das Command and Control Centre in Doha
Blick in das Command and Control Centre in Doha (Deutschlandradio / Maximilian Rieger )
Der Raum, aus dem die Sicherheit der WM in Katar gesteuert wird, sieht aus wie ein riesiges Überwachungskino. Eine rund 20 Meter lange Leinwand zieht die Blicke auf sich. Statt Blockbuster flimmern hier Bilder von Überwachungskameras, es sind Spielfelder, Korridore und VIP-Räume der WM-Stadien zu sehen.
Bis zu 85 Operatoren sitzen an drei langen Schreibtischreihen vor der Leinwand und haben selber noch mindestens zwei Bildschirme vor der Nase. Willkommen im Command and Control Center in Doha – dem Gehirn der Weltmeisterschaft.

Temperatur, Energieverbrauch, Energieverbrauch

Alle acht WM-Stadien können von hier aus gesteuert und überwacht werden, sagt Niyas Abdulrahiman. Er ist einer der Verantwortlichen für den Einsatz von Technologie bei der Weltmeisterschaft. Und davon gibt es eine ganze Menge.
Die Operatoren können von hier aus die Klimaanlagen in den Stadien steuern, sie legen zum Beispiel auch fest, wie hoch die Temperatur auf dem Spielfeld ist. Sie können den Wasser- und Energieverbrauch kontrollieren. Herzstück sind aber natürlich die Energieverbrauch.

Totale Überwachung

Alle Räume sind mit Sensoren ausgestattet – wenn jemand unbefugt einen Raum betritt, wird im Kontrollzentrum ein Alarm ausgelöst. Per App können die Operatoren dann Sicherheitspersonal in den betreffenden Bereich schicken.

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Sie können aber auch selbst schauen. "Wir haben fast 15.000 Kameras angebracht, jedes Stadion hat ungefähr 2000. Es gibt keinen Bereich in den Stadien, der nicht überwacht ist. Jeder Raum, jede Ecke, sogar die Parkplätze und die Bereiche außerhalb, auf denen die Fans zum Stadion gehen. Es ist eine sehr umfassende Überwachung", erklärt Abdulrahiman.
Mit hochauflösenden Kameras können die Operatoren ganz nah auf einzelne Gesichter der Fans zoomen – eine Technologie, die auch in Bundesliga-Stadien zum Einsatz kommt.

Verdächtige werden sofort aufgespührt

Katar geht aber noch einen Schritt weiter – und nutzt künstliche Intelligenz. Am Eingang werden alle Fans durch diese Technologie gezählt – die Zuschauerströme sollen dadurch besser gesteuert werden. Aber das ist nicht der einzige Nutzen.
"Wenn man einen Verdächtigen hat oder eine spezielle Person sucht, können Sie das System mit einem Foto füttern und das System durchsucht die Bilder der Kameras, bis die Person gefunden wird. Mit der modernen Technologie reicht sogar eine Beschreibung wie 'gelbes T-Shirt und Jeans'. Das kann alles gefunden werden."

Einsatz von künstlicher Intelligenz ist nicht neu

Als Fallbeispiel nennt Abdulrahiman eine Mutter, die nach ihrem Kind sucht. Aber die Technologie ermöglicht es natürlich auch, Gesichter von Menschen zu erfassen, die zum Beispiel eine Regenbogenfahne im Stadion schwenken und sie dann während ihres gesamten Besuches per Kamera zu verfolgen.
Auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Fußball-Stadion ist nicht neu. Zum Beispiel nutzt der dänische Erstligist Bröndby Gesichtserkennung beim Stadioneinlass, auch andere Klubs in Europa haben ähnliche Pläne. Fan-Organisation kritisieren diese potentiellen Eingriffe in ihr Persönlichkeitsrecht und warnen davor, als Test-Subjekte genutzt zu werden.
Eine Befürchtung, die der KI-Forscher Mark Andrejevic nachvollziehen kann. Er forscht an der der Monash University in Melbourne und hat sich auch mit Überwachungssystemen bei Sport-Großereignissen beschäftigt.
"Stadien sind ein guter Ort für Gesichtserkennungs-Technologie, weil viele Menschen um einen zentralen Ort versammelt sind und in die gleiche Richtung gucken. Das macht es einfach, die Gesichter zu erfassen. Es gibt also gute Gründe, um Stadien als Ort zu nutzen, um so eine Technologie und entwickeln und zu testen."

Sicherheit als Rechtfertigung für den Einsatz

Hinzu komme, dass Stadien aufgrund der möglichen Gefährdung durch Terroranschläge oder Hooligans auch geschützt werden müssten. Das könne als Rechtfertigung für den Einsatz genutzt werden.
"Wenn Sie diese Technologie framen als etwas Nützliches für die Sicherheit und gegen Terrorangriffe, dann sagen die Menschen: Wenn es gegen diese Bedrohungen hilft, dann verstehe ich den Einsatz. Für dieses Argument gibt es die meiste Zustimmung."

Auch Paris 2024 plant ähnliches

Und im Fußball-Stadion käme noch hinzu: Die Fans sind zwar für das Spektakel da, aber sind auch Teil des Spektakels. Und durch die Fernsehkameras ist den Fans seit langem bewusst, dass das Stadion ein höchst öffentlicher Ort ist. Das mache Überwachung, die zudem auch unsichtbar abläuft, leichter durchsetzbar. Auch in Demokratien. Für die Olympischen Spiele 2024 in Paris gibt es auch Pläne für ein umfassendes Überwachungssystem. Katar könnte dafür eine Blaupause sein.
"Das ist ein ambitioniertes Projekt. Und die Vernetzung der Systeme zeigt den Weg in eine höchst überwachte und kontrollierte Zukunft. Es ist auf eine gewisse Art ein unglaubliches Experiment."

Wenig Kontrolle über ihre Daten

Ein Experiment, an dem alle Besucherinnen und Besucher der WM teilnehmen. Und dabei wenig Kontrolle über ihre Daten haben. Auch, wenn Niyas Abdulrahiman sagt, dass keine persönlichen Daten gespeichert werden.
"Wir archivieren die Aufnahmen von den Fan-Mengen, aber ohne, dass wir dabei auf einzelne Personen abzielen. Die Aufnahmen von einzelnen Menschen ist für uns nicht interessant, außer diese Person stellt eine Gefahr da oder tut etwas, worauf wir besonders achten sollen."
In einem Land, in dem Kameras auch außerhalb der Stadien allgegenwärtig sind und nicht genau klar ist, welches Verhalten während der WM erlaubt ist oder nicht, klingt das nicht sonderlich beruhigend.