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Fußball-WM in Katar
Der Protest nimmt Formen an

Die Kritik an der Fußball-WM in Katar ist weit verbreitet, aber sichtbaren Widerstand leistet bislang kaum jemand. Nun formiert sich ein Netzwerk namens „Nicht unsere WM!“.

Von Daniel Theweleit |
Das Logo der Fußballweltmeisterschaft in Katar steht vor dem Doha Exhibition and Convention Center, in dem die Auslosung der Fußballpartien der Fußballweltmeisterschaft 2022 stattfindet.
Logo der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar (Darko Bandic/AP/dpa)
Noch sind die Stimmen, die einen engagierten Protest gegen die Fußball-WM in Katar fordern, eher leise. Das allgemeine Unbehagen ist zwar groß, aber die Berichte über Menschenrechtsverletzungen und die dubiosen Mechanismen, die der Vergabe des Turniers in den Wüstenstaat zu Grunde liegen, sind längst keine Neuigkeiten mehr.
Doch je näher das Turnier rückt, desto mehr Leute fragen sich, wie sie mit den dunklen Seiten dieser WM umgehen sollen. Mancher Fußballfan fasst den Entschluss, einfach wegzuschauen. Die Nationalspieler wurden von Menschenrechtsorganisationen über das oftmals unwürdige Leben der Arbeitsmigranten in Katar aufgeklärt.
Gastarbeiter auf einer Stadion-Baustelle vor der Fußball-WM in Katar.
Gastarbeiter auf einer Stadion-Baustelle vor der Fußball-WM in Katar. (imago images/Tim Röhn)
Am Samstag fand nun in Frankfurt ein Netzwerktreffen unter dem Titel „Nicht unsere WM!“ mit unterschiedlichen Gruppierungen statt, um sich über weitere Möglichkeiten des Protestes auszutauschen, sagt Gerd Wagner von der Koordinierungsstelle der Fanprojekte. Die Grundfragen lauteten:
"Was gibt es denn überhaupt schon? Welche Initiativen sind jetzt schon aktiv? Das wissen wir erst mal gar nicht. Also wir können immer nur über Fußball reden, aber bei Human Rights Watch und Amnesty: Was die alles so planen und die machen ja auch tolle Sachen. Also wenn man das zusammenbringt, dann sind wir vielleicht auch etwas schlagkräftiger.“

Protestinitiativen für gemeinsame Aktionen einigen

Zu den Initiatoren gehörte neben der Koordinierungsstelle Fanprojekte das Bündnis Unsere Kurve, die Initiative Boycott Qatar 2022, Aktivisten der Organisationen „Gesellschaftsspiele e.V.“ und von „!Nie Wieder“. Gekommen waren aber auch Menschenrechtler, Gewerkschaftsleute und Vertreter*innen kirchlicher Organisationen, die in acht Workshops Hintergründe zur WM austauschten und Möglichkeiten des Protestes diskutierten.

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“Wir verfolgen fast alle das gleiche Ziel, mit unterschiedlichen Methoden, mit unterschiedlichen Ansätzen, aber jeder wurschtelt in Anführungszeichen für sich so ein bisschen rum. Und diese Klammer ‚Nicht unsere WM!‘ ist offensichtlich auch als bundesweiter Slogan etabliert, unter dem sich viele Initiativen auch zu Hause fühlen und sagen: Okay, da können wir uns auch mit einverstanden erklären, und da können wir uns auch weiter vernetzen und auch weitere gemeinsame Aktionen planen", sagt Gerd Wagner.
Es geht dabei keinesfalls darum, die WM einfach zu boykottieren, um der FIFA zu zeigen, dass Deutschland als wichtigster europäischer TV-Markt auf so eine zweifelhafte WM ablehnend reagiert. Vielmehr wünschen die Aktivisten sich kreativen Widerstand.

"Bunter Strauß" von Protestideen

So erklärte beispielsweise der Regionalligist Hessen Kassel selbstironisch und öffentlichkeitswirksam, die WM zu boykottieren, indem man keine Nationalspieler für das Turnier abstellen werde.
Das Bündnis Pro Fans hat den DFB dazu aufgefordert, seine sieben Millionen Mitglieder zu befragen, ob die deutsche Nationalmannschaft überhaupt an der WM teilnehmen soll, um das Unbehagen sichtbar zu machen. Das Stadion-Publikum der Bundesligaklubs könnte während der WM-Wochen im November und Dezember zu den Partien der Frauenmannschaften gehen, statt die Übertragungen aus Katar anzuschauen.
Initiativen wie „Kicken statt Gucken“ oder „Back to Bolzen“, sammeln solche Protestideen, um sie zu verbreiten. Dietrich Schulze-Marmeling von „Boycott Qatar2022“ sagt:
“Da gibt es einen bunten Strauß von Ideen, das ist von Ort zu Ort unterschiedlich, je nachdem was für Bündnismöglichkeiten entstehen, da wird sich einiges tun. Das Ziel kann ja nur sein, dass diese WM nicht einfach als eine Glanzveranstaltung, als Glanzevent über die Bühne geht, sondern wir schon für eine gewisse Unruhe sorgen. Und wir Diskussionen um Menschenrechte, aber auch um die Politik der FIFA aufrechterhalten.“

Ultra-Szene bisher zurückhaltend

Unklar ist jedoch, inwiefern die großen Player des Spiels für die Aktionen begeistert werden können. Viel Reichweite hätten beispielsweise gebündelte Aktionen in den Bundesligastadien während der Spieltage vor der WM.
Fans des SV Sandhausen präsentieren ein Banner mit der Aufschrift: „2022 - Der Tiefpunkt des Fussballs ist erreicht - Fußballfans: Boykottiert die WM in Katar!“
Fans des SV Sandhausen präsentieren ein Banner mit der Aufschrift: „2022 - Der Tiefpunkt des Fussballs ist erreicht - Fußballfans: Boykottiert die WM in Katar!“ (picture alliance / foto2press / Oliver Zimmermann )
Doch dazu müssten die Ultragruppierungen überzeugt werden, die bislang noch nicht viel Energie in das WM-Thema investiert haben. Ultras traten auf dem Kongress in Frankfurt nicht in Erscheinung. Aus den aktiven Fanszenen waren nur einzelne Leute gekommen. Gerd Wagner erklärt diese Zurückhaltung mit der Resignation dieser Gruppierungen gegenüber den Funktionären, die erfahrungsgemäß kaum auf Impulse von der Basis reagieren.
„Mich überrascht, das auf der einen Seite jetzt nicht so, weil das Thema Nationalmannschaft und WM bei vielen in der Ultraszene nicht so präsent ist. Die verfolgen auch eine ganz andere Fan-Politik, und vielleicht sind sie auch ein bisschen desillusioniert, was ihre eigene Wirksamkeit anbelangt.“

Lackmus-Test für neuen DFB-Präsidenten Neuendorf

Entscheidend für eine kritische Auseinandersetzung mit der WM könnte daher der Umgang des DFB mit dem Turnier werden. Wie der Verband mit der Forderung nach einer Mitgliederbefragung umgeht, ist noch nicht klar. Aber der neue Präsident Bernd Neuendorf hat einen Kulturwandel angekündigt. Denkbar wäre beispielsweise eine Kooperation mit anderen Fußballverbänden wie den Norweger*innen, die sich sehr klar positioniert haben. Dietrich Schulze-Marmeling bezeichnet den Umgang mit dieser WM als Lackmustest für Neuendorf und sein Erneuerungsprojekt.
“Ich habe schon gewisse Hoffnungen, was den neuen DFB-Präsidenten anbelangt. Katar ist ein Thema, wo er sich positionieren könnte. Er hat Sympathien mit der norwegischen Verbandspräsidentin bekundet. Er hat sich aufgeschlossen gezeigt gegenüber der Forderung von Amnesty International, dass die FIFA eine Entschädigung zahlt an die durch Menschenrechtsverletzungen ums Leben gekommenen Arbeiter. Das ist konkret eine Forderung, die ich unterstützen würde, und wo der DFB beweisen kann, dass er jetzt einen etwas anderen Kurs einschlägt."
Im September soll es das nächste Treffen des Netzwerkes „Nicht unsere WM!“ geben, das sich dann auch an eine breitere Öffentlichkeit wendet. Denn noch ist die Sorge groß, dass all das Unbehagen rund um das Turnier schnell verdrängt wird, wenn die Menschen sich die grauen Novembertage mit strahlendem WM-Fußball aus dem sonnigen Katar aufhellen können.