Glitzernde Bürotürme und Einkaufszentren prägen Riad, die Hauptstadt von Saudi-Arabien. Achtspurige Autobahnen durchschneiden die Metropole. Weit und breit keine Bürgersteige und Fahrradwege, und nur wenige Parks.
Naif ist in Riad aufgewachsen, seinen Nachnamen möchte er nicht nennen. Er hat einen stressigen Job als Berater, ist weltweit unterwegs. Als Ausgleich geht er laufen und nimmt jährlich mindestens an einem Marathon teil. Trainieren kann Naif dafür in seiner Heimatstadt allerdings nur unter schwierigen Bedingungen, sagt er:
„Das Leben in Saudi-Arabien spielt sich in Gebäuden oder im Auto ab. Es ist sehr heiß hier. Riad ist als Stadt nicht darauf ausgelegt, dass man durch die Straßen läuft. Aber ich möchte einfach loslaufen und jeden Tag trainieren. Immer wieder haben mich Leute am Straßenrand angehalten. Ihnen gefiel es nicht, dass ich kurze Hosen trug und meine Beine gezeigt habe. Auch Polizisten haben mich darauf hingewiesen, manchmal streng, manchmal höflich.“
Neue Laufgruppen und Yogastudios
Riad hat rund acht Millionen Einwohner. Gemessen an dieser Größe ist das Angebot für Freizeitsport gering. Aber: es wächst. Es entstehen Laufgruppen, Fahrradwege, Yogastudios. Seit 2022 findet in Riad jährlich ein Marathon statt, mit mehreren tausend Teilnehmenden.
Bei jedem Marathon, sagt Naif, werde ein bisschen mehr über Bewegung gesprochen, über Gesundheitsförderung, über den Mangel an Sportlehrern. Fast 20 Prozent der Bevölkerung in Saudi-Arabien haben Diabetes, mehr als fünfzig Prozent Übergewicht. Damit verzeichnet das Land in diesen Bereichen negative Spitzenwerte. Die Regierung möchte die Zahl der Menschen, die mindestens einmal pro Woche Sport treiben, bis 2030 von aktuell 13 auf 40 Prozent steigern.
Sport soll nicht mehr Luxus sein
„Früher in der Schule konzentrierte sich der Unterricht auf Mathe und Naturwissenschaften“, sagt Naif. „Wir hatten eine Stunde Sport in der Woche. Und wenn die Klasse sich nicht benahm, dann wurde der Sport als Strafe gestrichen. Sport wurde als Luxus angesehen, nicht als Notwendigkeit. Inzwischen sehen immer mehr Leute, dass sich durch Sport auch die Kosten für das Gesundheitssystem reduzieren lässt. Die Zahl der Studenten im Sport- und Gesundheitsbereich wächst.“
Sport für Gesundheitsförderung, Begegnung und Unterhaltung. Vor einem Jahrzehnt war das in Saudi-Arabien undenkbar. Für den Aufbau neuer Wirtschaftszweige ist Saudi-Arabien auf Menschen angewiesen, die vielseitig und belastbar sind. Beschäftigte, die früher meist beim Staat angestellt waren, konkurrieren nun um Jobs in neuen Branchen.
Das führt bei vielen zu Frust und Erschöpfung, sagt Sebastian Sons, Experte für die Golfregion: „Grundsätzlich ist diese Möglichkeit der Teilhabe über Sport oder über Unterhaltung für viele junge Menschen so eine Art Aufatmen. Und ihnen wird das Gefühl vermittelt, sie werden gesehen. Das Zweite ist, dass diese neuen Möglichkeiten auch eine andere Form sind, Loyalität zum Staat herzustellen.“
Die Älteren fühlen sich an den Rand gedrängt
Lange haben vor allem Religionsgelehrte und etablierte Händlerfamilien von den Begünstigungen des Staates profitiert. Aber das ändert sich: Rund 70 Prozent der Bevölkerung Saudi-Arabiens sind jünger als dreißig. Der Kronprinz Mohammed bin Salman wendet sich mit seinen Reformen vor allem an junge Menschen, und er möchte insbesondere Frauen in Arbeit bringen.
Die Sportindustrie könne als Identifikationsmittel helfen, sagt Sebastian Sons. Aber: „Es gibt durchaus Leute, die das alles sehr kritisch sehen. Die sagen, wenn wir keinen bezahlbaren Wohnraum haben und alles teurer wird: Warum investiert man so viel Geld in den Sport und gerade in den Fußball? Gerade ältere Menschen fühlen sich auch so ein bisschen an den Rand gedrängt, von diesem Jugendwahn in gewisser Art und Weise. Und sie fühlen sich so ein bisschen um ihre Identität gebracht. Das schürt dann auch einen gewissen Generationenkonflikt.“
Politische Banner sind streng untersagt
Bis zur Fußball-Weltmeisterschaft 2034 wird Saudi-Arabien viele weitere Milliarden in den Sport investieren: in Stadien, Nahverkehr und Hotels. Aber was würde passieren, wenn die Wirtschaft schwächelt und der Wohlstand abnimmt? Schon jetzt liegt die allgemeine Arbeitslosigkeit bei acht Prozent.
Die neue Sportindustrie, vor allem der Fußball, hat den öffentlichen Raum in Saudi-Arabien verändert. Zehntausende Menschen, vor allem Männer, treffen sich in den Stadien. Kann diese Gruppendynamik einen politischen Protest hervorbringen?
Der Journalist Robert Chatterjee vom Nahostmagazin „Zenith“: „Die Kontrolle behalten ist die oberste Maxime für die saudische Regierung. Stadien gehören auch zum öffentlichen Raum. Und der öffentliche Raum ist viel mehr überwacht und reglementiert als früher. Der Deal ist im Prinzip: Keine Fahnen, keine Spruchbänder, keine Politik in den Stadien, das sieht man auch nicht. Es sind auch relativ viele Ordner in den Stadien, um das durchzusetzen. Aber sie müssen eigentlich auch nicht so oft einschreiten.“
Eltern engagieren sich
Die Monarchie in Saudi-Arabien duldet keine Parteien, Gewerkschaften und NGOs. Sie wünscht sich eine sportliche Teilhabe ihrer Bürger, aber keine politische. Und trotzdem entstehen im Sport, insbesondere an der Basis, neue Formen der Selbstorganisation, wie es sie auch in Deutschland gibt, sagt Robert Chatterjee:
„Also das, was wir hier auch kennen im Breitensport, dass Eltern ihre Kinder am Wochenende da begleiten, sich ehrenamtlich engagieren, zum Beispiel auch als Trainer, als Platzwart, das ist etwas, was in den letzten Jahren häufiger vorkommt und gerade wächst.“
Die Vorbereitungen auf die Fußball-WM 2034 könnten diese Entwicklung beschleunigen. Dass dadurch eine Zivilgesellschaft entsteht, ist jedoch eher unwahrscheinlich.