Für Deutschland als Gewinner des Titels sieht Maennig ebenfalls keine direkten ökonomisch messbaren Auswirkungen. Allerdings habe das deutsche Team - im Gegensatz zu anderen Mannschaften - durch Teamgeist, Flexibilität und Innovationsfähigkeit überzeugt. Das werde sich auch auf das ohnehin schon gute deutsche Image auswirken. So könnte die Nachfrage aus dem Ausland nach deutschen Produkten weiter steigen.
Als Olympiasieger glaubt Maennig, dass die deutsche Mannschaft den Sieg gut verarbeiten werde, denn die Fußballer seien "sehr geerdet, menschlich und habe keine Starallüren".
Bis zu 500.000 Besucher werden heute erwartet, wenn die deutsche Nationalmannschaft auf der Fanmeile am Brandenburger Tor eintrifft.
Das Interview in voller Länge:
Silvia Engels: Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin! Das war einer der Gesänge, den die frisch gebackenen deutschen Fußball-Weltmeister direkt nach dem Spiel in der Kabine anstimmten. Schon im Vorfeld hatten sie klar gemacht: Nur im Fall des Titels wollte sich das Team um Bundestrainer Löw auf der Fanmeile in Berlin feiern lassen. Hätten sie das Finale verloren, wären sie stattdessen nach Frankfurt geflogen und von dort ganz ohne großen Empfang direkt in den Urlaub. Doch nun kommt das ganz große Programm. Die Maschine soll verspätet am Morgen in Tegel landen.
Am Telefon ist Professor Wolfgang Maennig. Er ist Wirtschaftswissenschaftler und Sportökonom an der Universität Hamburg. Wir verschieben den Fokus nämlich ein bisschen vom rein Sportlichen dieses Titels weg. Seit Jahren befasst er sich nämlich mit der Frage, welche wirtschaftlichen Auswirkungen sportliche Großereignisse wie zum Beispiel eine Fußball-Weltmeisterschaft sowohl im Gastgeberland als auch anderswo haben können. Außerdem hat er bei den Olympischen Spielen in Seoul 1988 eine Goldmedaille im deutschen Ruder-Achter gewonnen. Guten Morgen, Herr Maennig.
Wolfgang Maennig: Guten Morgen, Frau Engels.
Engels: Wie lange hat es bei Ihnen denn damals gedauert, bis Sie diesen Sieg verarbeitet hatten?
Maennig: Verarbeitet haben heißt ja vor allen Dingen auch damit klar kommen. Es ist natürlich eine Riesenfreude, eine Riesenlust, eine Riesenauszeichnung, die man da hat. Das ist ja ein Lebensziel, was man erreicht, verbunden mit den vielfältigsten Gefühlen. Aber man muss natürlich auch irgendwie wieder zurückkommen und in sein normales Leben und sich auf die nächsten, ich sage mal, irdischen Dinge einstellen, und seien es nur die nächsten Bundesliga-Spiele oder Ähnliches, und das ist für den einen relativ schwer, für den anderen relativ leicht. Ich habe das Gefühl, dass diese Mannschaft sich auch dadurch auszeichnet, dass die alle sehr geerdet sind, sehr normal, menschlich geblieben sind, natürlich geblieben sind und nicht so Starallüren haben. Ich glaube, dass es der Mannschaft gut gehen wird bei dieser Umstellung, bei der Verarbeitung.
Nach jedem Triumph kommt irgendwie auch ein Frust
Engels: In was für einem Modus lebt denn der Körper in den ersten Tagen, wenn man gerade die Krönung seiner Karriere erlebt hat und ja dann auch sich damit konfrontiert sieht, geht es jetzt eigentlich noch weiter aufwärts, oder beginnt ab jetzt der Abstieg?
Maennig: Na ja, es ist ein ganz diffuses Gefühl. Da ist alles drin. Man schwebt natürlich, man meint, man braucht keinen Schlaf, man kann ewig feiern. Es ist so eine Mischung aus Triumph-Gefühl, vielleicht weil es nicht jeder einem zugetraut hatte, dass man es wird. Es ist Erleichterung, weil natürlich da auch ein Riesendruck abgefallen ist von den Schultern der Athleten. Die gehen natürlich auch wirklich so richtig belastet vorher rein, weil der Erwartungsdruck ganz groß war. Es ist himmelhoch jauchzend, es ist alles dabei. Jeder empfindet das vielleicht auch ein bisschen unterschiedlich. Es ist ein Schweben, es ist ganz klar, das ist eine einmalige Sache. Ich glaube nicht, dass die Athleten jetzt denken, jetzt geht es abwärts, sondern das ist ja auch eine sehr junge Mannschaft und ich habe den Eindruck, dass sie sich noch viel vorgenommen haben, sei es in den Ligen, in denen sie spielen, oder aber auch in den Europameisterschaften und Weltmeisterschaften, die noch kommen.
Engels: Das heißt, dass man nach so einer Euphorie dann auch in ein Frusttief absinkt, weil einfach diese Spannung nicht mehr zu halten ist, halten Sie für unwahrscheinlich?
Maennig: Das ist im Leben so. Nach jedem Triumph kommt irgendwie auch ein Frust. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Keiner kann immer nur gewinnen, selbst die größten Fußball-Stars nicht. Im Sport gibt es immer mehr Niederlage als Sieg und es wird auch hier für den einen oder anderen wieder eine Landung geben, in seiner Liga, wenn er nicht zum Einsatz kommt, oder vielleicht wird es auch Verletzungspech mal geben. Das wissen aber diese Männer. Von daher mache ich mir jetzt nicht Sorgen, dass da Leute schwer abstürzen dabei.
Sehr viel Wohlfühleffekt
Engels: Das waren jetzt die Fragen an den Olympiasieger Maennig. Jetzt die Frage an den Ökonomen. Sie haben sich nämlich mit den wirtschaftlichen Auswirkungen von Fußball-Weltmeisterschaften auch befasst. Wie sah denn die Bilanz bei den letzten Weltmeisterschaften 2010 oder 2006 am Ende für die Gastgeber aus?
Maennig: Na ja, ich sage mal so: Es gibt verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen. Ich denke aber, die ganz überwältigende Schlussfolgerung ist, dass bei den harten ökonomischen Größen wie Einkommen, Beschäftigung, Steuermehreinnahmen eigentlich keine spürbaren, oder wie die Ökonomen sagen, signifikanten Effekte messbar sind, aber dass es sehr viel Wohlfühleffekt gibt, Happiness-Effekt gibt der Bevölkerung, Selbstbewusstsein gibt, Stolz gibt, und das ist eigentlich, auch wenn Sie überlegen, das was wir ja, wenn wir an 2006 denken, alle empfinden, das war eine wunderbare Zeit, wir hatten einen Riesenspaß, aber wir haben ja damit nicht groß Geld verdient. Das war ja auch gar nicht unser Ziel.
Engels: Und Ähnliches erwarten Sie jetzt auch in Brasilien?
Maennig: Ja, da ist eigentlich nichts anderes zu erwarten. Die Ökonomen haben auch verschiedene Theorien, warum eigentlich ein Land nicht Einkommen groß erzielen kann daraus, oder nicht große wirtschaftliche Vorteile daraus erzielen kann. Viele Theorien. Eine ist, die FIFA ist ja ein Monopolist für dieses Gut Fußball-Weltmeisterschaft, und im Prinzip gibt es eine Art Versteigerung dieses Gutes. Jedes Land kann dafür bieten. Und wir wissen aus Versteigerungen, wenn man ein Bild haben will beispielsweise, dann geht jeder so weit, bis das, was er dafür zahlen muss, genauso hoch ist wie der Nutzen, den er daraus zieht, sodass zum Schluss alle möglichen Profite, die man hat, eigentlich wegkonkurriert sind. Es kann eigentlich am Ende eines solchen Prozesses gar nicht groß ein gesellschaftliches Plus übrig bleiben.
Kurzfristig keine positiven Effekte
Engels: Kann denn auch - und damit zur Frage aller Fragen - das Land der siegreichen Mannschaft einen Wirtschaftsschub erwarten, der spürbar ist?
Maennig: Ob wir das messen können, das ist unsicher. Unsere Daten sind zwar schon ziemlich gut, aber letztlich doch relativ grob. Diese Volkswirtschaft ist auch schon vorher erfolgreich gewesen. Ob man da jetzt zusätzliche Schübe messen kann, ist die Frage. Aber ich denke, wir können sicher sein, dass nachfrageseitig uns das hilft. Die deutsche Volkswirtschaft hat ein hohes Ansehen international in ihrer Leistungsfähigkeit. Sie steht irgendwie für Qualität, für Zuverlässigkeit und dieses ist mit Sicherheit gestärkt worden. Vielleicht ist ein zusätzlicher Aspekt gekommen, dass auch Deutsche sehr flexibel handeln können, innovativ handeln können. Das wird unseren Produkten mit Sicherheit helfen. Viele würden auch sagen, das hat doch mit den Produkten nichts zu tun, aber es gibt genug Menschen, die das assoziieren. Nachfrageseitig, glaube ich, ist es wenn, dann sicherlich ein Plus. Was die Angebots- oder Produktionsseite betrifft, ist es so, dass die meisten empirischen Untersuchungen zeigen, dass man kurzfristig keine positiven Effekte hat. Ist eigentlich auch klar. Ich meine, wir sind alle ein bisschen abgelenkt, wir sind ein bisschen unproduktiver, gestern Vormittag hat im Dienst eigentlich kaum jemand gearbeitet, es wurde vor allem erzählt, die Produktivität sinkt also. Es gibt auch Leute, die machen mal blau. In Brasilien sind ja ganze Feiertage ausgerufen worden. Es fehlt eigentlich Arbeitszeit, alles tendenziell negativ für die Produktion. Aber ich denke, es kommt ja auch darauf an, wie man das verarbeitet, und das scheint mir eigentlich wichtig, dass wir uns in Deutschland mal fragen, was wir von dem Spiel unserer Nationalmannschaft lernen können und dass, glaube ich, wir alle, aber auch die Welt so faszinierend fand, dass das so ein Team war, auch anders als die anderen Mannschaften, weil die sich so gegenseitig abgaben, weil die dieses Doppelpass-Spiel so beherrschten, weil sie sich selber in den Hintergrund stellten und Hauptsache dem Ziel dienen wollten. In Deutschland ist es vielleicht manchmal so, dass wir alle sehr hart arbeiten, engagiert sind, aber dieses Team-Play vielleicht verbesserungsfähig ist, dass jeder von uns versteht, dass man eigentlich bezahlt wird dafür, dass es anderen letztlich besser geht. Das hat diese Mannschaft gezeigt, Kreativität, Flexibilität, Team-dienlich arbeiten, und wenn wir das übertragen in unser Arbeitsleben, dann wird das wahrscheinlich der größte Effekt sein.
Engels: Professor Wolfgang Maennig. Er ist Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Hamburg und er ist Olympiasieger in Seoul beim Rudern gewesen. Über die Wirkungen auf Spieler und vor allen Dingen auf die Wirtschaft sprachen wir mit ihm. Vielen Dank für das Gespräch.
Maennig: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.