Norbert Lopper ist eines der großen Talente in den späten 1930er Jahren. Noch vor der Machtübernahme der Nazis in Österreich erlebt der jüdische Fußballer bei seinem Verein Hakoah Wien antisemitische Anfeindungen. Von Spielern, Fans, Funktionären. 1938 flieht Lopper mit gerade mal 18 Jahren nach Belgien, wo er weiter Fußball spielt und seine Frau kennenlernt.
„Das ist, glaube ich, ganz wichtig, die verfolgten Menschen nicht nur in der Situation der Verfolgung, also nicht nur als Opfer, zu beschreiben, sondern sie im weiteren Kontext ihrer Biografie im größeren Rahmen zu sehen“, sagt Henning Borggräfe, Historiker und verantwortlich für Forschung und Bildung bei den Arolsen-Archiven, einem der größten Archive zu Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus.
Der zweite Aspekt ist, glaube ich auch, dass es ganz wichtig ist, nicht erst den Moment der einsetzenden Deportation zu betrachten, sondern eben die gesellschaftliche Transformation, die 1933 einsetzte. Und da ist der Fußball ein sehr guter Untersuchungsgegenstand, weil sich dort im Prinzip die gesellschaftliche Entwicklung wie unter einem Brennglas zeigt.
Spiel auf dem Appellplatz
„Fußballer im Fokus.“ Mit diesem Titel ist die Bildungsbroschüre der Arolsen-Archive überschrieben, in Kooperation mit Borussia Dortmund. Die Forscher porträtieren zwölf Spieler, die damals mitunter zu den Besten ihrer Nationalteams zählen, in Polen, Ungarn oder in der Tschechoslowakei. Spieler, die von den Nazis verfolgt werden: Norbert Lopper etwa versucht vergeblich, in die USA zu emigrieren. Er wird nach Auschwitz deportiert und gefoltert, aber er überlebt. Seine Frau und viele seiner Verwandten werden ermordet.
Die Forscher der Arolsen-Archive legen dar, dass Fußballer aus unterschiedlichen Gründen verfolgt wurden. Der polnische Spieler Antoni Łyko etwa schließt sich einer Widerstandsgruppe an. Mit vielen Mitstreitern wird er nach Auschwitz deportiert. Dort zählt er zu den wenigen Gefangenen, die zumindest an einem Fußballspiel auf dem Appellplatz mitwirken dürfen, als vermeintliche Ablenkung von dem elendigen Alltag.
Antoni Łyko wird später erschossen. Er war nicht der einzige Regimegegner unter bekannten Fußballern, sagt Henning Borggräfe: „Ein Beispiel ist der luxemburgische Fußballspieler Nicolas Birtz vom FC Düdelingen, der tatsächlich verhaftet wurde als Mitglied einer Widerstandsgruppe, die Flugschriften verteilten, Parolen malten, die luxemburgische Fahne hissten und alte Straßennamen wieder über die deutschen Schilder klebten.“
Nicolas Birtz überlebt. Er bestreitet 1948 ein Länderspiel und wird später zum Bürgermeister von Düdelingen gewählt.
Blick auf lokale Deportationen
In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten ist im deutschen Fußball ein Netzwerk für Erinnerungsarbeit entstanden. Rund um den 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, organisieren Fans und Vereine Veranstaltungen: Lesungen, Gedenkstättenfahrten, die Verlegung von Stolpersteinen.
Die Broschüre „Fußballer im Fokus“ formuliert darüber hinaus Ideen für Workshops und Projekttage. Maßgeblich daran beteiligt: der Historiker Andreas Kahrs, der sich seit langem mit verfolgten Fußballern beschäftigt. „Besonders bei Fans von größeren Vereinen ist ein ganz, ganz wichtiger Anknüpfungspunkt die Stadtgeschichte, die lokale Geschichte. Da gibt es natürlich eine hohe Identifikation mit der eigenen Stadt“, sagt Kahrs.
„So dass wir eben schauen, dass wir eine Deportation oder verschiedene Biografien aufgreifen. Die Leute lernen darüber, wie sich die Deportationen im Stadtgebiet zugetragen haben, welche Orte dabei wichtig sind. Wo die Augen erst geöffnet werden. Dass das Orte sind, die man vielleicht aus dem Alltag kennt, aber nie mit den Deportationen aus der eigenen Stadt zusammengebracht hat.“
Bildungsreisen für Fans
In der außerschulischen Bildung sind vor allem Hochschulen, Gewerkschaften und Jugendverbände aktiv. Andreas Kahrs hofft, dass auch der Fußball Angebote schaffen kann. Er selbst organisiert mehrtägige Bildungsreisen für Fans, Funktionäre und Sponsoren. Schon jetzt haben Klubs die Forschungen der Arolsen-Archive in ihren sozialen Medien verbreitet, etwa Ajax Amsterdam und Cracovia aus Krakau.
„Fußballvereine wirken für Außenstehende manchmal sehr groß und sehr unnahbar“, sagt Andreas Kahrs.
Da ist es sehr gut geboten, wenn der Fußballverein den Schritt macht und vielleicht mal den lokalen Gedenkort oder die jüdische Gemeinde auch vor Ort anspricht. Und mal fragt, was habt Ihr eigentlich für Bedürfnisse, was würdet Ihr euch eigentlich von uns wünschen, was können wir tun?
Andreas Kahrs und Henning Borggräfe werden sich weiter mit verfolgten Fußballern beschäftigen. Zum Beispiel mit dem Österreicher Norbert Lopper. Wegen der schweren Folter im KZ kann Lopper seine Laufbahn nach dem Krieg nicht fortführen. Doch er arbeitet bald erfolgreich als Funktionär bei Austria Wien. Und er schildert als Zeitzeuge die Verbrechen der Nazis. Norbert Lopper stirbt 2015, im Alter von 95 Jahren.