Eine kleine Feierstunde im Prager Nationalmuseum: Aus den USA sind die Gäste angereist, die jetzt eine Mitarbeiterin in einem Konferenzraum voller antiker Möbel begrüßt.
Die sieben Mitglieder der Familie Mahrer aus New York City haben eine Leihgabe für das Museum mitgebracht, die für sie fast schon wie eine Reliquie ist: Es ist das tschechoslowakische Fußball-Trikot, mit dem ihr Opa und Uropa Pavel Mahrer in Paris bei den Olympischen Spielen angetreten ist – vor exakt 100 Jahren.
Mahrer als Fußball-Star der 1920er Jahre
Enkel Thomas Mahrer gibt zu: "Ich wusste gar nichts von diesem Trikot – bis vor kurzem, als wir angefangen haben, unsere Wurzeln zu entdecken." Er ist selbst schon in seinen 70ern und im Familienfundus hat er noch jede Menge weitere Überbleibsel einer erstaunlichen Karriere gefunden: alte Zeitungsberichte, Karikaturen und sogar den vergilbten Teilnehmer-Ausweis von den Olympischen Spielen. Er selbst hat den Fußball-Superstar der 1920er Jahre nur als alten Mann kennengelernt.
Der Enkel erinnert sich: "Er konnte noch schießen, er konnte den Ball auf dem Fuß balancieren, auf der Schulter, ihn so über den Rücken runterollen lassen – er konnte mit dem Ball tun, was immer er wollte. Aber er hat uns Jungs nie auf den Bolzplatz mitgenommen, um seine Fähigkeiten zu zeigen."
"Einer der wichtigsten Spieler" in der Tschechoslowakei
Und jetzt sind die Mahrers nach Prag gekommen, um der Geschichte ihres Vorfahren nachzuspüren: dem unglaublichen Lebensweg eines jüdischen, deutschsprachigen Sportlers. Die Mahrers von heute sind in Tschechien mit Thomas Oellermann unterwegs, einem Historiker und Fußballfan, der zur Geschichte von Pavel Mahrer forscht – oder von Paul Mahrer, wie er sich später in Amerika nannte.
Oellermann sagt: "Es ist so, dass Paul Mahrer sicher zu den bedeutendsten deutschen Fußballern in der Tschechoslowakei gehört hat. Wir haben ja die große Minderheit der Deutschen in der Zwischenkriegs-Tschechoslowakei, und da gibt es natürlich eigene Sportverbände, eigene Fußballvereine. Und wenn man jetzt auf diesen deutschen Fußball in der Tschechoslowakei schaut, ist eben dieser Paul Mahrer einer der wichtigsten Spieler, die es gegeben hat."
Wie Pavel Mahrer zu seiner Fußballkarriere kam
Zum Fußball ist er während des Ersten Weltkriegs gekommen: Als 17-Jähriger geriet Pavel Mahrer am Ende des Kriegs in englische Gefangenschaft. Alec Mahrer, ein weiterer Enkel, erinnert sich an die Familienlegende, in der die englischen Soldaten eine tragende Rolle spielen: "Sie haben ein Fußballteam gebildet. Und der Engländer hat einfach einen Ball auf Paul geworfen, der hat ihn mit der Brust angenommen, ihn dann auf sein Knie fallen lassen und schließlich auf dem Fuß balanciert. Und der Engländer sagte: Du bist in der Mannschaft!"
So kam der Kriegsgefangene zum Fußball. Er spielte für den Prager DFC, den deutschen Fußballclub – mit etlichen jüdischen Sportlern. Er wurde Nationalspieler und trat in seiner Blütezeit sogar für amerikanische Vereine an.
Historiker Oellermann unterstreicht: "Man konnte ganz gutes Geld verdienen eben im Fußball dort. Deswegen spielt er auch zuerst für die Brooklyn Wanderers – und dann ist es so, dass aufgrund der Weltwirtschaftskrise das große Geld in den USA dann doch weg ist und er deswegen mit seiner Familie dauerhaft in die Tschechoslowakei zurückkehrt, wieder für den DFC Prag spielt und dann Mitte der 30er-Jahre seine Karriere beendet."
Nazis deportieren Mahrers Familie nach Theresienstadt
Als Juden deportierten ihn bald darauf die Nationalsozialisten nach Theresienstadt – und selbst dort spielte er Fußball: Zu Propagandazwecken ließen die Nazis eine sogenannte Ghetto-Liga zu, und Pavel Mahrer war einer ihrer Stars.
Er überlebte, ebenso seine beiden kleinen Söhne und seine Frau. Nach dem Krieg emigrierten sie in die USA. Pavel Mahrers Enkel Thomas betont:
Fußball hat die Mahrers gerettet, die Existenz unserer Familie begründet. Fußball ist zum Symbol geworden für das Überleben der Familie.
Tomas Mahrer über die Rolle des Fußballs für die Familie
Fünf der Mahrers bestreiten Freundschaftsspiel für DFC
Das 100 Jahre alte Fußball-Trikot wird eines der wichtigsten Exponate in einer Olympia-Ausstellung des tschechischen Nationalmuseums. Und die Enkel und Urenkel zogen beim Prag-Besuch selbst ein Trikot an – das des alten jüdisch-deutschen Vereins DFC Prag. Der Verein wurde von den Nazis geschlossen, Thomas Oellermann und ein paar andere Enthusiasten haben ihn vor einigen Jahren wiederbelebt.
Fünf der Mahrers liefen jetzt bei einem Freundschaftsspiel auf, Alt und Jung, Männer und Frauen. Zum ersten Mal seit fast 100 Jahren trug ein Mahrer die Kapitänsbinde des DFC. Geholfen hat der klangvolle Name allerdings nicht: Der DFC unterlag mit 2:25 – eine Niederlage, wie sie der Großvater Pavel Mahrer in seiner Karriere wohl nie hatte einstecken müssen.