Studie der Universität Mainz
Warum viele Fußballfans häufig auch Fans von Europa sind

Fußballfans identifizieren sich insgesamt mehr mit Europa als Menschen, die keine Fußballfans sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Gutenberg-Universität Mainz. Professor Arne Niemann spricht im Dlf über die zentralen Gründe dafür.

Arne Niemann im Gespräch mit Christian von Stülpnagel | 25.05.2024
Fans des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart halten stolz ihre Schals in die Höhe. Die Schwaben spielen in der nächsten Saison in der Champions League.
Fans des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart halten stolz ihre Schals in die Höhe. Die Schwaben spielen in der nächsten Saison in der Champions League. (picture alliance / SvenSimon / Frank Hoermann / SVEN SIMON)
Der Wissenschaftler, der die entsprechende Studie betreut, nennt als zentralen Faktor: "Ein ganz wichtiger Mechanismus ist, dass in den Teams europaweit viele nicht-einheimische, europäische und andere ausländische Spieler beschäftigt sind. Die Wahrnehmung von Zugehörigkeit verändert sich, wenn sie im eigenen Klub spielen. Sie sind dann nicht mehr 'die anderen', sondern sie gehören dazu."
So habe die Studie gezeigt, dass in Fußball-Ligen mit hohem Ausländeranteil unter den Spielern die Fans europäischere Einstellungen haben, als in stärker von einheimischen Spielern dominierten Ligen. Ein Beispiel: "Wenn der Held der eigenen Mannschaft ein Europäer ist, aus einer anderen europäischen Nation ist oder auch außerhalb von Europa, dann ist klar, dass sich eine politische Sozialisierung scheinbar darüber ein Stück weit entwickelt. Dann wird das Fremde nicht mehr als fremd wahrgenommen."

Europapokal-Auswärtsfahrten fördern den Austausch

Arne Niemann misst im Deutschlandfunk-Interview den europäischen Klubwettbewerben, etwa der Champions League, Europa League oder Conference League, eine hohe Bedeutung zu. Klar ist: Auswärtsfahrten von Fans über Ländergrenzen hinweg führen auch mancherorts zur Völkerverständigung.
Niemann betont: "Ich denke, dass das oft einseitig negativ dominierte Bild von Fußballfans aus der öffentlichen Kommunikation weiter verschwinden sollte. Wenn Fans immer nur als Krawallmacher und Gewalttäter dargestellt werden, führt das zu einem immer stärkeren Rückzug, zu negativer öffentlicher Wahrnehmung und einer Veränderung der positiven Potentiale."
Der Wissenschaftler nennt ein konkretes Beispiel für die Europa-Affinität vieler Fans: "Etwas überspitzt kann man sagen, dass Europa so eine Art Sehnsuchtsort für Fans geworden ist. Und ein gutes Abschneiden in der nationalen Liga wird mit der Teilnahme an den europäischen Wettbewerben belohnt."
So erzählt Niemann, dass bereits in einem Vorgängerprojekt der aktuellen Studie festgestellt wurde, dass Fans von Bayern München im Vergleich zu Anhängerinnen und Anhängern von Hannover 96 (2. Bundesliga) "tatsächlich europäischere Einstellungen haben".

Nur ein Drittel drückt deutschen Klubs generell die Daumen

"Unsere Umfrage ergab auch, dass über 70 Prozent der Befragten die europäischen Wettbewerbe unabhängig von ihrer Vereinszugehörigkeit schauen", sagt Niemann.
Interessant dabei ist, dass in den seltensten Fällen angegeben wurde, zum Beispiel in der Champions League für die deutschen Klubs die Daumen zu drücken. "Das haben weniger als ein Drittel geantwortet", betont der Wissenschaftler. "Im Vordergrund stehen zwei andere Gründe: Einmal der Wunsch, den besten Fußball zu sehen, das haben 46 Prozent gesagt. Und 50 Prozent haben gesagt: Fußball schauen unabhängig von den beteiligten Klubs als Hobby."

Fußball-EM im Sommer als Sonderfall

Niemanns Einschätzung geht so weit, dass er im Dlf-Interview ausführt: "Eventuell wäre es günstig gewesen, wenn erst die EM stattgefunden hätte und dann die Europawahl. So ganz klar ist es nicht. Natürlich stehen hier die Nationalmannschaften im Mittelpunkt. Hier könnte es auch gegenläufige Mechanismen geben, die das Nationale mehr als das Europäische in den Mittelpunkt rücken."
Der Wissenschaftler der Uni Mainz ist aber eher optimistisch: "Auf der anderen Seite wird durch die EM der Bezugsrahmen wieder auf Europa gelegt." Vielleicht werde die Europameisterschaft dann auch als Produkt der europäischen Kooperation gesehen.

jti