Es ist der Tag des Triumphs für Takamasa Abiko. Zwar verliert seine Mannschaft YSSC Yokohama in einem gähnend leeren Stadion mit 3:4 gegen Gainare Tottori. Und dass auf den Rängen kaum Zuschauer jubeln, hat mit der Coronapandemie nicht zu tun, denn die gibt es an diesem 10. März 2019 noch gar nicht. Es liegt am fußballerischen Niveau. Hier spielt die J-League 3, die dritte und unterste Profiklasse Japans.
Aber für den Mann, der kurz vor Schluss eingewechselt wurde und auch ein paar Mal an den Ball gekommen ist, hat sich die Welt verändert. "Ich wusste vorher nicht, dass ich diesmal eingewechselt werden würde. Wir hatten die vorigen vier Spiele verloren und der Trainer musste was Neues ausprobieren", erinnert sich der 42-jährige Takamasa Abiko heute zurück.
"Als der Trainer mich dann heranwinkte, war ich so glücklich. Ich zog mir die Aufwärmklamotten aus und dachte an all die Fußballjahre meiner Jugend. Und dass ich es in meinem Alter doch noch geschafft hatte. Damit hatte ich es doch allen Zweiflern gezeigt. In den paar Minuten auf dem Platz hatte ich sogar noch eine Torchance, hab sie aber leider nicht reingemacht."
Macht nichts. Denn von diesem Tag an ist der torlose Stürmer Takamasa Abiko zu einer lebenden Legende geworden. Nie zuvor hat ein Spieler in einem so hohen Alter sein Profifußballdebüt gegeben. Auch wenn es nur die dritte Liga ist und insgesamt bloß zu acht Einsätzen reichen sollte, hat es der Mann mit den langen, schwarzen Haaren im ostasiatischen Land zu Kultstatus gebracht.
Bekannter als manche Erstligaprofis
Dieser sportlich erfolglose Fußballer, der erst mit 41 nur mal kurz auf den Platz durfte, ist nun deutlich bekannter als ein durchschnittlicher Erstligaprofi. Fernsehen, Radio und Zeitungen haben über ihn berichtet, Abiko selbst hat ein Buch veröffentlicht. Zum Ende des gerade vergangenen Jahres bezeichnete ihn die Nachrichtenagentur Kyodo inmitten der Pandemie als "Inspiration zur Hoffnung."
Dass der Mann plötzlich so populär werden konnte, ist kein Wunder, sondern in Japans Popkultur quasi schon angelegt. Abikos Werdegang erinnert nämlich an den von Tsubasa Ozora, dem Helden des weltberühmten Mangas "Captain Tsubasa", der in Deutschland als Zeichentrick namens "Die tollen Fußballstars" beliebt wurde. Tsubasa ist ein Underdog, glaubt trotz allem an sich, trainiert unermüdlich und wird schließlich Fußballprofi.
Weltstars wie Lionel Messi, Andres Iniesta und Fernando Torres haben schon davon erzählt, wie sie als Kinder diesem Tsubasa nachgeeifert haben. Und es dürfte unzählige weitere Erwachsene von heute geben, die in den 1980er und 1990er Jahren so werden wollte wie dieser Comic- und Cartoonheld.
Takamasa Abiko nimmt es als Junge sogar ganz genau. Wie der Held aus der Geschichte will er seine Eltern davon überzeugen, nach Brasilien auszuwandern und dort Profi zu werden.
"Als ich 17 war, haben sie es mir endlich erlaubt, dann durfte ich ein paar Wochen in Brasilien trainieren. Es wurden drei draus. Dann musste ich zurück, um die Schule fertigzumachen. Danach bin ich sofort wieder nach Brasilen gegangen und unterschrieb einen Profivertrag bei Gremio Maringá in der dritten Liga. Leider habe ich mich sofort danach am Knie verletzt und machte kein Spiel. Ein Jahr später hatte ich ein Probetraining bei Shimizu S-Pulse in der ersten japanischen Liga. Aber da fiel ich durch. Weil ich aus Brasilien kam, hatte ich das auf die leichte Schulter genommen. Das bereue ich bis heute. Mein größter Fehler."
"Das nötige Glück hat gefehlt"
Vier weitere Jahre spielt er bei japanischen Profiklubs vor, doch verpflichten will ihn niemand. Nach der Karriere von Tsubasa Ozora, dem Comichelden, der in der Geschichte sogar bei der Weltmeisterschaft spielt, sieht es für Takamasa Abiko immer weniger aus. "Das nötige Glück hat gefehlt", sagt er sich schließlich und gibt mit 24 auf. Dank seinen Portugiesisch-Kenntnissen aus Brasilien, beginnt er als Übersetzer für brasilianische Profis in der japanischen Liga zu arbeiten. Später gründet Abiko auch seine eigene Fußballschule.
"Im Jahr 2013 hat mich dann der Zweitligist Tokyo Verdy verpflichtet. In Japan haben wir ein großes Problem mit Mobbing. Dadurch gibt es viele junge Menschen, die sich dem gesellschaftlichen Druck verschließen und ihr Kinderzimmer nicht mehr verlassen wollen. Tokyo Verdy wollte diese Jungs durch ein Fußball- und Bildungsprogramm resozialisieren, mit mir als Coach. Das lief auch richtig gut. Ich sagte ihnen immer: ihr müsst euch in die Welt stürzen! Scheitern ist nicht schlimm. Und als ich das vier Jahre gemacht hatte, merkte ich, dass das auch für mich und meine Karriere gegolten hatte. Ich hatte mich über Jahre betrogen; ich hatte immer nur den Umständen Schuld für mein Scheitern gegeben!"
Takamasa Abiko ist zu diesem Zeitpunkt 40 Jahre alt. Und er denkt sich: einmal muss er es noch versuchen. Also kündigt er seinen Job bei Tokyo Verdy, sammelt über das Internet per Crowdfunding Geld ein, um drei Personal Trainer einzustellen, und bereitet sich auf einen letzten Anlauf ins Profigeschäft vor.
"Bei sieben Vereinen hab ich angeklopft. FC Okinawa lud mich auch zum Training ein, und ich hab mich kurz vorher wieder verletzt. Aber diesmal war es mir egal. Ich hab mich nicht mehr entmutigen lassen."
Symbolisches Jahresgehalt von einem Euro
Einige Monate später verpflichtet ihn dann der Zweitligist Mito Hollyhock. Nach einem Jahr ohne Einsatz kommt Abiko, mittlerweile 41-jährig, noch bei YSSC Yokohama in der dritten Liga unter – allerdings nur mit einem symbolischen Jahresgehalt von 120 Yen, also knapp einem Euro.
"Leute haben über mich gelacht. Ob ich denn keinen Stolz habe, fragten sie. Ich hab sogar Freunde verloren, weil ich mir einfach meinen Traum erfüllen wollte und nicht locker ließ. Die dachten, ich sei verrückt geworden."
Viele sehen das wohl noch immer so. Aber indem er doch noch auf seine Profieinsätze gekommen ist, hat Takamasa Abiko nun die Bühne, um den Menschen in seinem Land und eigentlich überall eine Lektion zu erteilen: "Erfolg heißt nicht, der Beste zu sein. Nicht jeder kann sein wie Captain Tsubasa. Aber jeder kann kämpfen wie ein Sieger. Und man darf sich einfach nicht unterkriegen lassen. Das ist Erfolg."
Mit Ende des gerade vergangenen Jahres hat Takamasa Abiko seine Fußballkarriere nun beendet. Seine Laufbahn aber noch nicht. Derzeit bereitet er sich auf eine zweite Karriere in Martial Arts vor. Dass das gefährlich werden könnte, weiß er. Aber es beeindrucke ihn nicht. Denn Nehmerqualitäten habe er. Und jetzt, wo ihm die Leute endlich zuhören, einfach aufzuhören, wäre doch zu schade.