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Fussballrivalität Deutschland - Niederlande?

Remme: Die Szene 1990 zwischen Frank Rijkaard und Rudi Völler, das ist einer der Höhepunkte dieser Fußballrivalität, ein anderer die Niederlage Deutschlands 1988 im Halbfinale der Europameisterschaft. Und Ausgangspunkt natürlich das WM-Finale im Jahr 1974, die Niederlage der Niederländer, ein Trauma für dieses Land. Die Diskussion über diese Niederlage am 7. Juli 1974 hält immer noch an. Der Historiker Auke Kok hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Wir waren die Besten", es ist in den Niederlanden ein Bestseller geworden. Ich habe mit ihm vor der Sendung gesprochen und ihn zunächst gefragt, warum er das Buch geschrieben hat.

Moderation: Klaus Remme |
    Kok: Ich habe es geschrieben, weil die WM und insbesondere die Leistungen der holländischen Mannschaft ein Mythos geworden war. Man sah immer dieselben Bilder und Videofragmente und schaute gar nicht mehr nach den Fakten.

    Remme: Der Titel ist ja vermutlich ein bisschen irreführend, denn Sie sind nicht der Meinung, dass die Holländer damals besser waren, oder?

    Kok: Es ist ein bisschen doppelseitig. Einerseits hatten die Holländer im Sommer 1974 die beste Mannschaft, wir waren die Besten, aber eben nicht im Endspiel und das ist auch der Mythos in Holland, dass wir immer dachten, wir waren auch im Finale die Besten, aber wenn man das ganze Endspiel von damals wieder anschaut, muss man sagen, dass die Deutschen besser waren als die Holländer und auch noch ein sauberes Tor gemacht haben.

    Remme: Wie alt waren Sie 1974 und erinnern Sie sich noch an diesen 7. Juli?

    Kok: Ich war 17 und natürlich ja. Es war ein schöner Mittag in Holland mit viel Sonne und ich weiß noch, dass ich das Spiel bei einem Freund angesehen habe, weil seine Eltern einen Farbfernseher hatten und meine nur einen schwarzweißen. Und ich weiß noch, wie ich mich fühlte um sechs Uhr nachmittags.

    Remme: Wie haben Sie sich gefühlt?

    Kok: Ganz ganz leer. Ich habe mich niemals so leer gefühlt davor und danach wie an diesem 7. Juli 1974. Ich war traurig, all meine Träume waren kaputtgemacht worden.

    Remme: Warum hat Holland dieses Finalspiel verloren?

    Kok: Das hat mit vielen Sachen zu tun. Weil sie sich einerseits ein bisschen über- und die deutsche Mannschaft ein bisschen unterschätzt hatten und sie hatten sich nicht ganz gut vorbereitet auf das Endspiel und es war auch so, dass sie nach dem Sieg über den damaligen Weltmeister Brasilien dachten, sie sind schon da. Wir haben den Weltmeister geschlagen, wir haben das Unglaubliche vollbracht. Sie müssen bedenken, dass Holland seit 1938 nicht mehr an einem solchen Turnier teilgenommen hatte. Das Unglaubliche war schon passiert und wir dachten, wir sind schon da.

    Remme: Was ist dran daran, dass man sagt, dass die Spieler damals nicht nur ein Fußballspiel gewinnen wollten sondern das ganze Verhältnis der Großmacht, so nenne ich das jetzt mal, Deutschland im Vergleich zu den kleinen Niederlanden auf den Kopf stellen wollten?

    Kok: Das hat damit zu tun, dass damals in Holland wir nicht nur diese Spiele der WM gewannen, sondern wir dachten, dass wir der ganzen Welt zeigen, wie es sich gehört. Dies ist der bessere Fußball, wir sind das Beispiel und zur selben Zeit im Gesellschaftlichen dachten wir auch so. Wir hatten eine progressive Regierung, die auch bei den Themen Euthanasie, Dritte Welt und Abtreibung fortschrittlich. Auch im Spiel waren wir, dachten wir progressiver, hatten mehr Angriff als andere Länder, wo andere Länder damals mehr defensiv arbeiteten, war Holland ganz offensiv und das hat uns alles traurig gemacht.

    Remme: Christoph Biermann ist ein deutscher Journalist, der sich gut auskennt in der niederländischen Fußballszene. Er hat geschrieben: "das, was die Niederländer damals empfunden haben, dieser Schock 1974, ist vergleichbar mit dem der Amerikaner beim Attentat auf John F. Kennedy". Ist das übertrieben?

    Kok: Ein bisschen, denn JFK war natürlich ein Phänomen für die ganze Gesellschaft und Fußball wurde eben 1974 noch nicht so breit verfolgt wie jetzt. Aber für alle Fußballliebhaber, die das Endspiel gesehen haben, war der Traum aus. Und alle Holländer, die es damals gesehen haben, wissen noch genau, wo sie waren und was sie damals fühlten.

    Remme: Dann blicken wir jetzt zurück auf schönere Tage für die holländischen Fußballsfans: die Revanche 1988, der EM-Titel. Was war das für eine Stimmung nach dem Sieg über Deutschland im EM-Halbfinale?

    Kok: Ein Gefühl, das viel mehr war als nur Rausch. Die größte holländische Zeitung De Telegraaf hatte damals große Worte geschrieben: nicht endlich Revanche aber endlich Rache. Das heißt jetzt natürlich, dass es viel mehr war als nur Sport. Es war eine Rache für, wie wir dachten, das Unrecht von 1974 und sehr weit im Hintergrund spielt auch noch der Zweite Weltkrieg eine Rolle.

    Remme: Und dann zwei Jahre später die Spuckszene zwischen Völler und Rijkaard - ist da immer Hass im Spiel?

    Kok: Damals sicher. Das Spucken von Rijkaard bewies, dass es noch keine völlige Rache war, unser Problem (ich denke, es ist mehr unser Problem als eines der Deutschen) war noch immer da.

    Remme: Schauen wir mal auf das Spiel heute: in den Reihen der Niederländer brodelt es, der Trainer steht in der Kritik, die Spieler beschweren sich, Cruijff heizt das Ganze von außen an. Warum fehlt da die Harmonie, man könnte doch stolz auf die Stars sein?

    Kok: Ja, aber jetzt sind die Holländer ein bisschen skeptisch unseren Stars gegenüber, weil sie wieder ein bisschen locker leben und die Verhältnisse sind nicht ideal. Es hat viel Kritik gegeben an der holländischen Mannschaft die letzten Jahre.

    Remme: Und auch, wenn da jetzt andere Spieler auflaufen, eine neue Generation da ist, spielt die Vergangenheit, über die wir gesprochen haben, immer mit?

    Kok: Nein, das denke ich nicht. Ich denke, dass der Zweite Weltkrieg jetzt sehr weit weg ist, junge Spieler denken nicht daran. Die Spieler von 1988 und 1990 waren heiß im Kopf, weil es ihnen die Elterngeneration so erzählt hatte. Es war eine Hetze damals. Jetzt ist das, denke ich, vorbei. Was man jetzt sieht, ist eine ganz neue Rivalität zwischen Holland und Deutschland. In der Vergangenheit waren die Holländer immer heiß im Kopf bis 1974 und die Deutschen verhielten sich einigermaßen ruhig, aber jetzt geht es zwischen den Fans ziemlich hart zu.

    Remme: Wer ist heute abend die bessere Mannschaft?

    Kok: Ich denke, Holland. Das denke ich erstens, weil ich ein Chauvinist bin, aber auch, weil die holländische Mannschaft so viel Kritik bekommen hat in den letzten Jahren. Das bei uns ewige Problem - die zu großen Egos - dass das jetzt alles weg ist und die Holländer werden nach all dieser Kritik heute Abend mehr für einander arbeiten wollen.

    Remme: Und sie werden gewinnen?

    Kok: Und dann werden wir gewinnen, denn ich denke, dass Holland und Deutschland beide eine schlechte Vorbereitung gehabt haben und ich denke, dass es für die holländische Moral paradoxerweise besser ist, als für die deutsche Moral.

    Remme: Und wie gut werden diese beiden Mannschaften im Turnier abschneiden?

    Kok: Ich denke, es gibt bessere Teams als das holländische und das deutsche. Leider.

    Remme: Das war Auke Kok, der Journalist aus den Niederlanden, Historiker ist er auch Autor des Buches 'Wir waren die Besten'.