Die kommunistische Bolschewiki plante einen Umbruch der Gesellschaft. Sie wollte den sowjetischen "Neuen Menschen" schaffen. Der von britischen Einwanderern importierte Fußball galt als Gegenmodell, erzählt Anke Hilbrenner, Professorin für Neuere Geschichte Osteuropas an der Universität Göttingen.
"Dieser englische Sport ist ja sehr kritisiert worden. Weil er eben so stark auf Individualismus setzt, nicht nur Fußball, sondern generell englischer Wettkampfsport. Sowohl die Turner in Deutschland als dann auch die Fiskulturniki haben stattdessen dieses Massenerlebnis in den Vordergrund gestellt. Und dementsprechend ließ sich so etwas wie eine Parade besser im Sinne der Propaganda vermarkten."
"Spartakiade als Gegenveranstaltung zu Olympia"
Fußball, so wurde gemutmaßt, befördere "Krämergeist, Habgier und Sittenverfall". Eine andere Bewegung setzte sich durch: Fiskultura. Eine Körperkultur für Gesundheit und Breitensport. Sowjetrussland lehnte sportliche Konkurrenz als Produkt des Kapitalismus ab, berichtet Nikolaus Katzer, Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Moskau. Auch mit dem Weltfußballverband FIFA und seinem Länderspielbetrieb wollten die Kommunisten nichts zu tun haben.
"Die Lage ist auch deswegen nicht eindeutig, weil es ja noch immer darum geht, ein alternatives Sportsystem zu den westlichen Gesellschaften aufzubauen. Die Spartakiade ist eine ganz offensichtliche Gegenveranstaltung zur Olympiade."
Neue Wettbewerbe und Massenparaden wurden unter das Zeichen von Spartakus gestellt, dem Anführer eines römischen Sklavenaufstandes sieben Jahrzehnte vor Christus. Bei einigen Spartakiaden trugen mehr 30.000 Menschen Fahnen und Fackeln über den Roten Platz.
Im Programm enthalten und durchaus beliebt: Fußballspiele. Wichtig für die staatliche Inszenierung waren auch Frauen, erzählt Anke Hilbrenner, zunehmend immer mehr Fußballerinnen:
"Und da waren eben auch extrem viele junge Frauen dabei, die eben dann so einen Idealtypus des sowjetischen Neuen Menschen verkörpert haben. Eben nicht mehr die Bäuerin, die nicht lesen kann, die auf dem Land lebt und in der Reproduktionsarbeit gefangen ist.
Sondern die junge Frau, die werktätig sein kann und alphabetisiert ist, die eben dieselben Möglichkeiten hat wie die Männer. Das ist natürlich keine Realität, sondern das war eine Idealvorstellung, die auch als Idealvorstellung inszeniert wurde."
1936 wurde die oberste Fußballliga gegründet
Im fortschreitenden Jahrzehnt stabilisierten sich die Verhältnisse. Nikolaus Katzer beschreibt im aktuellen Sammelband "Russkij Futbol" etliche "beiläufige Schilderungen" des Fußballs in Briefen und Tagebucheinträgen. Das Spiel wurde beliebter. Gegen die Bedenken der Fiskultura-Anhänger entdeckten auch Führungskräfte der Roten Armee den Fußball für sich. Nikolaus Katzer sagt:
"Und die sahen, dass die Rekrutierung von oft analphabetischen Bauern für die Rote Armee nicht dadurch nur aufgefangen werden könnte, dass man sie drillt. Sondern die erkannten, dass der Sport ein wichtiges Mittel sein könnte, um Ausdauerfähigkeit, die Gesundheit, die Leistungsfähigkeit von jungen Soldaten zu fördern. Dann gab es eben spezielle Programme dazu, die dann eine Tradition entwickeln. So was finden wir dann auch in den dreißiger Jahren. Und das finden wir nach dem Zweiten Weltkrieg dann auch in den osteuropäischen Ländern."
Jenseits des Militärs wurden vereinsähnliche Gebilde an Industriebranchen gekoppelt. Dynamo Moskau etwa war in der Obhut des Geheimdienstes, Lokomotive gehörte zur Eisenbahn, ZSKA zur Armee. Der Fußball hatte wieder einen beachtlichen Stellenwert erreicht, als 1936 die oberste Spielklasse der Sowjetunion gegründet wurde. In den kommenden Jahren sollte der politische Einfluss enorm wachsen.