Klassiker des Science Fiction Genres wie Stanislaw Lem oder Isaac Asimov erfinden in ihren Romanen Gegenwelten, in denen andere physikalische Gesetze gelten oder außerirdische Populationen auftauchen. Ruff nimmt unsere Welt so, wie sie ist und phantasiert sie weiter. Auch der Cyber Space, das Lieblingsthema neuerer Science Fiction, interessiert ihn nicht. Er begeistert sich für die technischen Details seiner Maschinen - seine Geschichte dreht sich aber um die Gefahren der Technologiegläubigkeit. "G.A.S." ist nicht zuletzt eine moderne Variante des "Zauberlehrlings": die gerufenen Geister drohen ihre Schöpfer zu vernichten. Panische Zukunftsvisionen liegen Matt Ruff dennoch fern, und trotz der erbitterten Kämpfe gegen den Supercomputer ist sein New York ein heiterer Ort. Zwar riskieren Lexa, Joan und die anderen für Moral und Humanität ihr Leben, aber solange sie nicht allein sind, machen sie unverdrossen weiter und haben ziemlich viel Spaß dabei. Für die Ökopiraten stand Edward Abbeys Roman "The Monkey Wrench Gang" Pate, und auch sonst ist "G.A.S." gespickt mit Verweisen auf die amerikanische Literatur. Ohne seinen eigenen Ton zu verlieren, bedient sich Ruff bei Thomas Pynchon, Kurt Vonnegut und Douglas Adams. Die Schriftstellerin und Philosophin Ayn Rand taucht sogar als Figur auf. Matt Ruff parodiert ihren Roman "Atlas Shrugged", in dem die überzeugte Sozialdarwinistin ein Hohelied auf den Laissez-faire-Kapitalismus singt. Deutsche Leser werden die Anspielungen kaum dechiffrieren. Das macht aber nichts, denn die Karikatur exetremistischer Einstellungen und religiösen Weltverbesserertums ist universell verständlich. "Das Buch hat einen philosophischen Hintergrund. Es geht allerdings weniger um eine bestimmte Überzeugung, eher um die Art, wie Überzeugungen vertreten werden. Es geht also um Leute, die glauben, daß es einen einzigen richtigen Weg gibt, Dinge zu erledigen, und Leute, die begreifen, daß es immer Uneinigkeit geben wird und daß das eigentliche Problem darin besteht, mit denen auszukommen, die es anders sehen als man selbst. Das ist Joans Position, sie ist diplomatisch, auch wenn sie die Leidenschaft verstehen kann, mit der man für einen bestimmten Standpunkt kämpft. Rand dagegen will alle anderen Ansichten auslöschen und ihre eigene Meinung durchsetzen."
Vier Jahre hat Matt Ruff an "G.A.S." gearbeitet. Von dem philosophischen Überbau, der Zivilisationkritik, dem Romanpersonal bis hin zu jedem einzelnen Mikrochip ist alles genau durchdacht. Die verschiedenen Handlungsstränge werden immer wieder miteinander verklammert, der Spannungsbogen trägt bis zum Schluß und am Ende paßt alles zusammen. Schon in seinem ersten Buch "Fool on the Hill" stellte Ruff seine erzähltechnische Brillanz und seinen Einfallsreichtum unter Beweis. Damals war er erst 21 und bestand mit dem Fantasy-Roman seine Magisterprüfung. Angefangen hatte alles noch viel früher: "Ich habe schon immer geschrieben. Ich schreibe, seitdem ich fünf Jahre alt bin, das ist genau der richtige Zeitpunkt, um damit zu beginnen. Das Essen wird noch von den Eltern bezahlt, man wird versorgt und hat genug Zeit, seinen Schreibstil zu verbessern. Es besteht die Chance, daß man ein paar Dinge lernt, bevor man sich dann irgendwann selbst ernähren muß. Ich habe immer ein schlechtes Gefühl, wenn mich die Leute fragen, wie man das mit dem Schreiben macht, denn die Antwort lautet, setz dich einfach hin und schreib. Aber wenn man erst mit 25 oder 30 anfängt, muß man ziemlich viel lernen, bevor irgend etwas Publizierbares dabei herauskommt. Das ist natürlich ein Problem, wenn man davon leben will, und wenn man spät anfängt, ist es um so schwieriger."
In seiner Phantasie hat sich Matt Ruff viel von seiner Kinderseele bewahrt: Das Tohuwabohu auf der Yabba-Dabba-Doo ließe auch Fünfjährige vergnügt aufquietschen. Matt Ruffs erzählerischer Gestus hat etwas Anarchistisches, und vielleicht macht das seinen großen Erfolg unter jungen Lesern aus. Seine Geschichten sind bunt, laut und schnell, sie wirken befreiend und lustvoll, langweilig sind sie nie. Matt Ruff hält seine 36 Helden souverän in Schach; was leicht im Chaos hätte münden können, bleibt bei ihm unter Kontrolle. Seit seinem fünften Lebensjahr hat Matt Ruff nicht nur viele Bücher gelesen und in seinem eigenen Schreiben fortgesponnen. Er war auch öfter mal im Kino. "G.A.S." verarbeitet Bilder aus Klassikern wie Blade Runner, Brazil, Der weiße Hai und Zurück in die Zukunft, und Filmszenen aus neueren Actionstreifen wie Rambo, Terminator, Speed, Stirb langsam und Outbreak kann man alle naselang entdecken. Auch die Form seines Erzählens ist durch das Kino beeinflußt: "Das Schreiben wird insgesamt immer filmischer, weil die Leute einfach nicht mehr soviel Geduld haben für die traditionelle Literatur. Bücher wie "Krieg und Frieden" sind heute nicht mehr so beliebt wie früher, sie sind zu langatmig, es kostet zu viel Zeit, sie zu lesen. Auf der anderen Seite macht dies - zumindest für einige Leser - die Anziehungskraft meiner Bücher aus, glaube ich. Denn ich riskiere es, die Spannung runterzufahren, zu philosophieren und ein bißchen nachzudenken. Gleichzeitig vergesse ich nicht, daß es unterhaltsam sein muß und den Leser fesseln soll. Ich habe versucht, eine Mittelweg zu finden zwischen pedantisch und langweilig einerseits und einer ordentlichen action-story andererseits."
"G.A.S." ist ein riesiges Kinderzimmer, in dem jeder ein Spielzeug findet. Für den Kinogänger gibt es die Action-Story, Umweltschützern werden Identifikationsfiguren geboten, Computerfreaks bekommen Anregungen für neue Programme, für Bildungsbeflissene ist der philosophische Überbau gedacht und die Literaturkritiker können sich mit der Entzifferung der Anspielungen vergnügen. Spielverderber haben keinen Zutritt.