Wir Arbeiter müssen zusammenhalten, singen sie. Der Versuch, sich gegenseitig Mut zu machen. 50 sind es, die in Campingstühlen vor dem Tor der Turnschuhfabrik Gaelle ausharren, in der Industrievorstadt Avellaneda im Süden von Buenos Aires. Darunter Claudia Gomez, ihr graues T-Shirt spannt über einen riesigen Bauch.
"Sie haben mich entlassen, da war ich im sechsten Monat, jetzt bin ich im achten Monat. Das ist so erniedrigend, ich habe mein Leben lang hier gearbeitet und jetzt sitze ich auf der Straße, hochschwanger mit nichts."
In den Vorstädten schließen Reihenweise Fabriken
Rund 30.000 Arbeitsplätze sind allein im letzten Jahr verloren gegangen in Argentinien. Die Wirtschaft liegt, einmal wieder, am Boden, die Inflation erreicht aufs Jahr gerechnet fast 40 Prozent, das Land steckt in der Rezession. Und in den Vorstädten rund um Buenos Aires schließen reihenweise Fabriken. Alles kam auf einmal, sagt Damián Regalini, der im Westen von Buenos Aires Markenstrümpfe herstellt:
"Argentinien liegt auf der Intensivstation, jeden Tag schmeißt irgendein Kollege hin, muss Leute entlassen. Uns explodieren die Kosten, und gleichzeitig verkaufen wir nichts mehr. Dazu kommen die hohen Zinsen, wir können keine Kredite mehr aufnehmen, kommen nicht an frisches Kapital. Für jeden, der in diesem Land etwas produzieren will, ist das tödlich."
Und das ausgerechnet im Jahr der G20-Pärsidentschaft. Dabei galt Argentinien unter der Regierung von Präsident Mauricio Macri gerade noch als "Superstar des Südens".
"Lieber Herr Macri, wir sind sehr beeindruckt von dem Weg, den sie mit ihrem Land gehen und mit ihrer Regierung gehen. Ein Weg der Öffnung, ein Weg, der zu mehr wirtschaftlichem Wohlstand führen soll und zu mehr sozialer Gerechtigkeit."
Den warmen Worten folgt der wirtschaftliche Niedergang
Das war im Juni 2017. Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Besuch am Rio de la Plata. Nur ein Jahr später: der Absturz. Die Landeswährung Peso verlor innerhalb weniger Wochen die Hälfte an Wert, die Regierung zog die Reißleine und bat den Internationalen Währungsfonds um Hilfe. Ausgerechnet. Für die meisten Argentinier ist der IWF mit schuld am letzten großen Staatsbankrott 2001. Die Situation ist heute eine ganz andere, sagt Juan Martin Rinaldi, der junge Trader arbeitet beim Finanzunternehmen Balanz Capital:
"Die Regierung hat eine komplizierte Situation von den Vorgängern geerbt. Hohe Inflation und ein riesiges Loch im Staatshaushalt. Das Konzept der Regierung war: Das Land öffnen, Deregulierung, Schulden machen, denn die Konditionen waren günstig und das Kapital strömte nach Argentinien. Doch dann kam der Handelsstreit mit China, die Zinswende in den USA und das Kapital zog wieder ab, das brachte das Fass zum Überlaufen."
Nun müssten alle den Gürtel enger schnallen, erklärte Präsident Macri in einer mit Grabesstimme vorgetragenen TV-Ansprache. Argentinien hätte zu lange über seine Verhältnisse gelebt. Alejandro Bercovich, ein preisgekrönter Wirtschaftsjournalist will das so nicht stehen lassen.
"Argentinien ist ein großes Casino, in dem diejenigen, die Geld haben, viel Profit machen können, in dem sie mit dem Dollar-Durst der Zentralbank spekulieren und uns zu hohen Zinsen Geld leihen."
Harter Sparkurs, wachsende Armut
Es wurde spekuliert, aber nichts investiert, sagt Bercovich. Und das Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds, der mit 57 Milliarden US-Dollar das bisher größte Hilfspaket seiner Geschichte schnürte, werde die strukturellen Probleme Argentiniens eher verschlimmern, glaubt der Wirtschaftsjournalist.
"Argentinien hat sich zu einer Sparpolitik verpflichtet, wie wir sie noch nie gesehen haben, wobei der IWF auch manchmal als Sündenbock vorgeschoben wird, um unpopuläre Maßnahmen durchzuführen, in diesem Fall eine Umverteilung zum Nachteil der Armen, zu Gunsten der Reichen."
Die Armut in Argentinien nimmt zu, das sieht man an den Schlangen vor den Comedores, den Armenküchen der Stadt - wie hier, in der Villa 20-Los Piletones im Süden von Buenos Aires, eine riesige Ansammlung von roten Ziegelhäusern. Monica Ruejas kocht hier täglich für 450 Personen.
"Die Regierung hat null Armut versprochen, das Gegenteil ist der Fall. Wir haben erstmals eine Warteliste. Es bringt mich zur Verzweiflung, wenn ich Leute, die um einen Teller Essen bitten, wegschicken muss."
Monica Ruejas ist Teil der CTEP, einer großen sozialen Bewegung, in der sich Arbeiter des informellen Sektors organisiert haben. Trotz enormer Polizeipräsenz werden während des G20-Gipfels Tausende zu Protesten auf der Straße erwartet.