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G20-Krawalle
Wo sind die Täter?

Nach den Gewaltexzessen beim G20-Gipfel in Hamburg sind viele der Tatverdächtigen flüchtig. Während die Fahndung läuft, suchen Politiker und Polizei nach Möglichkeiten, sich die Arbeit künftig zu erleichtern.

    Proteste gegen G20: Ein Demonstrant wirft einen Stein in Richtung Polizei in Hamburg, wo es auch am Freitag wieder Krawalle gab.
    Proteste gegen G20: Ein Demonstrant wirft einen Stein in Richtung Polizei in Hamburg, wo es auch am Freitag wieder Krawalle gab. (AFP / Ronny Hartmann)
    Fast 200 Festnahmen hat es nach den Krawallen in Hamburg gegeben. Etwa 50 Tatverdächtige sitzen in Untersuchungshaft. Die Polizei bildet eine Sonderkommission. Doch von vielen Tätern kennen die Behörden weder die Namen, noch wissen sie, wo sich die Gesuchten aufhalten.
    Maas bittet EU-Länder um Fahndungshilfe
    Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat deshalb laut einem Pressebericht in einem Brief an seine europäischen Amtskollegen um Unterstützung gebeten. Derzeit würden "viele Fotos und Videoaufnahmen ausgewertet, um die Täter namhaft zu machen". Dabei sei man "auch auf die Unterstützung unserer ausländischen Partner angewiesen", zitiert die Funke-Mediengruppe aus dem Schreiben. Der Minister habe seine Kollegen zugleich aufgerufen, zügig europäische Haftbefehle zu vollstrecken, die von deutscher Seite ausgestellt werden.
    Auch die Bevölkerung ist bei der Suche nach den Tätern in Aktion getreten. Bürger schickten Tausende Videos und Bilder an die Polizei, teilte der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer mit. Es gebe eine "Flut von Informationen, die jetzt durchermittelt werden müssen". Innensenator Andy Grote (SPD) kündigte im NDR an, aufgeklärt werden solle auch, wer Gewalttäter eingeladen, beherbergt und gedeckt habe. Der
    Linken-Politiker Jan van Aken kritisierte Grote im Deutschlandfunk und forderte dessen Rücktritt. Der Senator habe beim G20-Gipfel Grundrechte ausgehebelt und "alles verbockt, was zu verbocken war".
    In mehreren Medien wurden ebenfalls Fahndungsaufrufe gestartet, darunter eine umstrittene Aktion in der "Bild"-Zeitung, die unverpixelte Fotos von mutmaßlichen G20-Gewalttätern veröffentlichte.
    Diskussion über Extremistendatei
    Neben der aktuellen Fahndung überlegen Politiker und Polizei jetzt auch, wie die Tätersuche nach ähnlichen Ereignissen perspektivisch leichter vonstatten gehen könnte, zumal Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nach eigenen Worten auch künftig mit heftigsten Gewaltausbrüchen von Linksextremisten rechnet.
    Sowohl Maas als auch de Maizière haben sich neben weiteren Fachpolitikern aus Union und SPD für eine europäische Extremistendatei ausgesprochen. De Maizière erklärte, man müsse sich dann auch auf Kriterien zur Einstufung der Linksextremisten einigen. Die EU-Kommission zeigte sich grundsätzlich gesprächsbereit.
    Im Deutschlandfunk plädierte auch der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Ansgar Heveling, für eine Extremistendatei. Gerade was das Thema Linksextremismus angehe habe man in der Vergangenheit "zu viel Nachsicht und Gleichgültigkeit erlebt", erklärte der CDU-Politiker.
    Angriff auf Meinungsfreiheit
    Die Idee einer solchen Datei ist allerdings umstritten. Kritiker bemängeln zum einen, dass es nicht verfassungsgemäß sei, die extremistische Gesinnung von Bürgern zu erfassen, da auch diese vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt sei. Darauf weist etwa Professor Clemens Arzt von der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Berlin hin. Zum anderen zeigt die Erfahrung, dass immer wieder unbescholtene Personen in solche Verzeichnisse gerieten, die dann zu Unrecht Konsequenzen wie etwa Reiseeinschränkungen erdulden müssten.
    Der Konflikt- und Gewaltforscher Andreas Zick gab in einem SWR-Interview zu bedenken, dass Personen, die man eigentlich in eine Distanz zur Gewalt bringen könnte, in solchen Dateien landeten und nicht mehr verschwänden.
    Konfliktforscher: Es geht um Gewalt, nicht um Ideologie
    In den ARD-"Tagesthemen" sagte Zick zudem, die Gewaltexzesse hätten auch nur bedingt mit dem Linksextremismus zu tun. In Hamburg sei "die Ideologie abgelöst worden durch eine reine Gewalt". Die Ideologie spiele kaum noch eine Rolle - "Gewalt ist das verbindende Element".
    Wichtig sei deshalb zu verstehen, wie die Gewalt entstanden sei. Außerdem müsse man in Linksautonomen-Zentren Gewaltprävention betreiben, anstatt solche Einrichtungen zu schließen. Das wäre "Sippenhaft" und ein "völlig falsches Signal", betonte der Gewaltforscher von der Uni Bielefeld. Die CSU hat zum Abschluss ihrer Klausurtagung im bayerischen Kloster Banz die Schließung von Zentren wie der Roten Flora in Hamburg oder der Rigaer Straße in Berlin gefordert.
    Nicht wenige halten die Forderung nach einer Extremistendatei auch für reines Wahlkampfgeklingel. Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter sagte, "populistische Schnellschüsse" seien bei dem Thema "in keinster Weise angebracht".
    (gri/mw)