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G20 und die SPD
"Schulz müsste auf Geschlossenheit dringen"

Zu den G20-Krawallen und Hamburg als Veranstaltungsort sind von der SPD-Spitze unterschiedliche Meinungen zu hören. Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer hält es für einen Fehler, dass die Partei sich nicht vorher über Positionen verständigt habe. Geschlossenheit sei momentan besonders wichtig für die SPD.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Christine Heuer |
    Politologe Gero Neugebauer
    Politologe Gero Neugebauer (picture alliance / dpa / Freie Universität Berlin)
    Christine Heuer: Ich möchte das Thema jetzt bundespolitisch besprechen mit dem Politikwissenschaftler Gero Neugebauer von der FU Berlin. Guten Tag, Herr Neugebauer.
    Gero Neugebauer: Guten Tag, Frau Heuer.
    Heuer: Die SPD auch im Bund hat ein Problem mit dem Thema. Die Kanzlerin gibt sich großmütig gegenüber dem Noch-Koalitionspartner. Angela Merkel hat jetzt gesagt, sie habe sich sehr darüber gefreut, dass Sigmar Gabriel, der Außenminister, in Hamburg so an ihrer Seite gestanden und sie unterstützt habe. Kann Merkel Politik einfach besser als die SPD?
    Neugebauer: Das sieht so aus. Man kann auch sagen, sie macht es anders als die SPD. Sie hat den Vorteil, dass sie die alleinige und - von den Attacken der CSU mal abgesehen - auch unbestrittene Führerin der Partei ist und eine Macht hat, die auf der Ebene der SPD keine Person in einem vergleichbaren Maße besitzt.
    Heuer: Tatsächlich wirkt es ja so, dass die Union eine ganz nette Aufgabenteilung gefunden hat. Da sitzt Angela Merkel, die Kanzlerin als Königin im Bienenstock und ihre Drohnen fliegen scharfe Angriffe auf die SPD. Bei den Sozialdemokraten herrscht dagegen Chaos.
    Neugebauer: Ja, das ist ein schönes Bild. Und man sieht auch allerdings hier bei der SPD, es sind keine Flügelkämpfe. Es sind erst einmal Kontroversen zwischen Personen, hier auf der einen Seite Scholz und dann auf der anderen Seite Gabriel und dann auch noch Schulz. Aber es ist bisher keine Auseinandersetzung zwischen den Flügeln. Das hat immerhin den Vorteil, dass die, die jetzt die SPD angreifen, sich nicht ganz sicher sind, ob sie es dabei belassen sollen, nun Personen anzugreifen, oder doch die SPD insgesamt. Aber dieser Tenor taucht ja auch auf in dem Verdacht, das sei ja nun möglicherweise so eine stillschweigende Kumpanei zwischen Linken, SPD und den Terroristen. Und die wirke sich dann auch auf die Perspektive rot-rot-grüne Koalition aus.
    Heuer: Aber lassen Sie uns noch mal bei dieser Teilung Scholz-Schulz-Gabriel bleiben. Mir ist das nicht so ganz klar. Ist das jetzt eigentlich geschickt, dass die nicht wirklich geschlossen agieren, oder ist das gerade ein schwerer Fehler?
    "Falsche Strategie in der SPD, sich nicht vorher darüber zu verständigen"
    Neugebauer: Das ist ein Fehler, ganz eindeutig. Es gibt verschiedene Aspekte. Der eine ist, Schulz und Gabriel sagen, solche Veranstaltungen lieber in New York City machen bei der UNO, da sind auch dann die anderen Staaten dabei. Scholz sagt, nein, wir müssen das auch in Hamburg machen können. Dann gibt es dieses Papier vorher, es wird verkündet von Gabriel und Schulz. Und Scholz ist wahrscheinlich an dieser Ausarbeitung nicht beteiligt gewesen, wird sozusagen von hinten erwischt. Also es ist eher eine ungeschickte, eine falsche Strategie in der SPD, sich nicht vorher darüber zu verständigen. Und das ist ja auch möglich gewesen seit mindestens einem halben Jahr, seitdem das so konkret ist, dass man sagt, wie die Veranstaltung auch ablaufen soll.
    Heuer: Man steht ja fassungslos davor und fragt sich, warum lernen die Sozialdemokraten das nicht. Haben Sie eine Antwort?
    Neugebauer: Es ist schwierig zu finden. Ich vermute, es liegt daran, dass auf der einen Seite in der SPD – jetzt bin ich ein bisschen pauschal – viele übereinander reden, aber nicht so viele miteinander. Zum Beispiel hat Sigmar Gabriel, als er den Parteivorsitz übernommen hat, angesichts der Zerwürfnisse in der Partei gesagt, wir ziehen uns mal alle zurück und lassen jetzt mal den alten Müntefering sagen, wie man sich am besten organisiert. Danach hat die Partei funktioniert in der Opposition, aber so etwas ist danach nicht wieder geschehen. Die Ablösung, die Selbstablösung des Kanzlerkandidaten Gabriel, das ist auch, na wenn Sie wollen, ein Gespräch unter Dreien gewesen. Und auch kein Diskussionsprozess ist in der Partei vorgeschaltet gewesen. Ich denke, das ist möglicherweise eine innerparteiliche Kultur, die dazu führt, dass man sagt, wir vertrauen vielleicht nicht so sehr, aber wir wissen eigentlich auch nicht so sehr, was wir gemeinsam wollen. Und dann muss man schon sagen, ja, da fehlt ein bestimmter Diskurs in der Partei, der dann darauf abgerichtet ist, zu sagen, was wir machen, vertreten wir auch gemeinsam und letztendlich der Kandidat Schulz. Das gilt für das Sicherheitspapier, das gilt fürs Rentenpapier, das gilt für andere Papiere auch, wo Schulz dann als Co-Autor auftritt oder als Autor auftritt. Aber man weiß, andere Leute haben es gemacht und haben faktisch das vorserviert.
    Heuer: Nun trägt ja die maßgebliche politische Verantwortung, auch wenn wir im Moment wieder mehr von Sigmar Gabriel hören, Martin Schulz. Was empfehlen Sie ihm? Was müsste er tun, um diesen Zustand zu verändern, um seine Truppen zu schließen?
    Neugebauer: Er müsste auf Geschlossenheit dringen. Er muss sagen, wenn er 100 Prozent bekommen hat, dann will er, bitte schön, auch diese 100 Prozent genießen in der Unterstützung der Parteispitze insbesondere und auch aus den Landesverbänden. Und er muss auch deutlich machen, dass es darum geht, dass hier die SPD gegen die Union antritt und nicht Martin Schulz gegen Angela Merkel. Das wäre von vornherein ein verlorenes Rennen.
    Heuer: Wäre Sigmar Gabriel der bessere Kandidat?
    Neugebauer: Er hat zuletzt, bevor er sich verabschiedet hat, einige politische Erfolge gehabt. Aber wenn er sich das selbst nicht zutraut, dann ist er von daher schon gesehen nicht der bessere Kandidat.
    Heuer: Es ist ja so: Sigmar Gabriel fährt ziemlich heftige Attacken auch auf Angela Merkel. Aber irgendwie hat man den Eindruck, die führen ins Nirgendwo. Denn es stimmt ja, was er sagt: Angela Merkel war es, die den G20-Gipfel in Hamburg wollte und nicht irgendwo auf dem Land. Nun haben alle den Eindruck, dass sie mit den Krawallen aber überhaupt nichts zu tun hat. Wie macht sie das? Lässt sie einfach die SPD sich abarbeiten und kann sich zurücklehnen, oder gehört da noch ein bisschen mehr dazu?
    Merkel "schaffte es einfach, das abzuwehren"
    Neugebauer: Das ist eine Eigenschaft, die sie in den letzten Jahren entwickelt hat. Teilweise äußerte sich das als präsidentieller Stil. Aber sie hat es schon immer verstanden, in den Momenten, in denen ihr etwas nicht gelungen ist oder schlecht gelungen ist, sich von dem zu distanzieren. Ich will jetzt nicht ganz bösartig werden, aber von der Willkommenskultur zum gegenwärtigen Hochpreisen der Abschiebepraxis ist ja auch ein gewisser Weg von Frau Merkel zurückgelegt worden. Und wer heute noch an ihre Willkommenskultur erinnert, der wird von ihr dabei nicht unterstützt. Das heißt, sie schafft es einfach, wenn sie das nicht an sich herankommen lassen will, das so abzuwehren, dass man sagt, sie hat damit nichts zu tun. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Aber andererseits hat sie gar keine Skrupel, sich Erfolge anderer anzueignen, was die SPD in dieser Koalition ja immer sehr deutlich bemerkt hat.
    Heuer: Nun kommt aber nicht nur Angela Merkel ungeschoren davon im Moment. Auch Thomas de Maizière, der Bundesinnenminister, sitzt eigentlich in einer unguten Situation, denn dafür, dass ausländische Gewalttätige einreisen zum G20-Gipfel, dafür trägt er eigentlich die Verantwortung. Da hört man aber auch nicht viel.
    Neugebauer: Ja, dann müssen Sie nachfragen, was hat der BND ihm gemeldet, was hat das Bundesamt für Verfassungsschutz für Meldungen gehabt, was hat das Landesamt für Verfassungsschutz in Hamburg beigetragen zu den Informationen. Die dann dazu geführt haben, dass man bestimmte Lagebilder entworfen hat und die Szenarien für den Einsatz der Polizei. Aber wenn Sie de Maizière erwähnen, dann ziehe ich sofort die nächste Karte und sage Altmaier. Der sitzt im Kanzleramt, der ist dafür auch verantwortlich. Es ist in der Tat schon wirklich abzuwarten, wie sich das aufspalten wird, wer wofür Verantwortung trägt. Nur letztendlich ist es für die Hamburger Szene immer noch Frau Merkel und für die organisatorische Seite, soweit sie denn Hamburg überlassen worden ist, Herr Scholz.
    Heuer: Und die SPD, die all diese Fragen öffentlich stellen und diskutieren müsste, deren Schwäche hilft nun der Union? Ist das so?
    Neugebauer: Letztendlich ja. Es geht ja bei dem Wahlkampf auch darum, wer ist besser in der Lage, Innere Sicherheit in Deutschland herzustellen. Die Union hat einen Kompetenzvorsprung. Sie ist sehr heftig bemüht, den auch zu bewahren. Und da kommen auch ein Teil der Motive für die Prügel auf die Sozialdemokratie her. Denn dann sagt sie, die Sozialdemokratie hat ja ein Sicherheitskonzept vorgestellt, das Sicherheitskonzept ist dem der Union ähnlich, beide verlangen beispielsweise 15.000 neue Polizeistellen. Aber die SPD könnte hier auch einen anderen Aspekt sehen. Sie könnte sogar sagen, für uns ist es selbstverständlich, nicht den Polizeistaat zu stärken, sondern den Rechtsstaat überhaupt zu stärken, das heißt, alle Komponenten der Justiz mit ins Auge zu nehmen, nicht nur zu verhaften, sondern auch zu verurteilen, Qualität der Gerichte, Ausstattung der Gerichte mit Stellen und Ähnlichem weiter zu erhöhen. Das hört man in dieser ganzen Diskussion kaum, aber es ist ein wesentlicher Bestandteil. Hier muss die SPD die Chance nutzen, ein anderes Konzept, ein alternatives Konzept deutlich zu machen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.