Stephanie Rohde: Alles kann, aber nichts muss – beim G7-Gipfel, zu dem die Staats- und Regierungschefs von sieben Industrienationen heute im französischen Biarritz zusammenkommen. Die traditionelle Gipfelerklärung, die gemeinsame, wird es nicht geben. Niemand muss sich also verpflichten, auch weil der Gipfel im vergangenen Jahr in Kanada in einem diplomatischen Debakel endete, weil Trump seine Unterschrift zurückgezogen hat. Der amerikanische Präsident scheint auch dieses Mal auf Konfrontation aus zu sein, man wird wohl nicht nur wegen des Ukraine-Konflikts und der Iran-Krise aneinandergeraten, sondern auch wegen des Handelskonflikts mit China. Und als böte all das nicht schon genügend Stoff für die paar Tage, will Macron auch noch über den Kampf gegen weltweite Ungerechtigkeit sprechen und über die Waldbrände in Brasilien.
Was kann man erwarten von diesem Gipfel? Darüber kann ich jetzt sprechen mit Jürgen Trittin von den Grünen. Er war Bundesumweltminister und ist jetzt Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Guten Morgen!
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Frau Rohde!
Ansprüche an G7-Gipfel mittlerweile auf null gesunken
Rohde: Sie prophezeien, das wird ein schräger Gipfel. Warum?
Trittin: Nun, das hat die französische Präsidentschaft mir ja auch schon bestätigt.
Rohde: Inwiefern?
Trittin: Der Verzicht zum ersten Mal seit Gründung der G7 auf eine Abschlusserklärung – das heißt, dass es keinen Zwang geben wird der Beteiligten, sich auf einen Minimalkonsens zu einigen. Das belegt, dass die Erwartungen an ein Treffen jener Länder, die mal die globale Wirtschaft dominierten und versuchten, ein Stück weit zu steuern, dass diese Ansprüche mittlerweile auf null gesunken sind.
Rohde: Aber ist es nicht eine realistische Einschätzung von Macron, zu sagen, das wäre vielleicht ein bisschen ambitioniert, aber dafür können wir dann eher ergebnisoffen diskutieren?
Trittin: Ja, wenn man G7 dazu reduziert, gut, dass wir mal drüber gesprochen haben, dann mag man das so sehen, aber wenn ich mir die Themen anschaue, die Macron selber auf die Tagesordnung gesetzt hat – es fängt mit dem Aufmacherthema zur globalen Ungerechtigkeit und Ungleichheit an –, das ist ein ganz, ganz zentrales Thema, und hier haben nicht nur die sieben dort versammelten Staaten ja versagt: 26 Milliardäre besitzen heute auf dem Globus so viel wie die untere Hälfte der Menschheit. Aber wie will man eigentlich über ein solches Thema sprechen, ohne dass beispielsweise eine Volkswirtschaft wie China mit am Tisch sitzt? Das ist ein Thema, das würde wahrscheinlich sehr viel besser auf die Tagesordnung der G20 gehören als auf die der wenigen Industrieländer aus Europa, Nordamerika und Japan.
Rohde: Andererseits kann man ja auch sagen, Macron hat viele Vertreter eingeladen, zum Beispiel von afrikanischen Staaten, hat Indien eingeladen, Australien. Ist das nicht eine zukunftsweisende Erweiterung dieses G7-Gipfels?
Trittin: Ich glaube, es wäre klug gewesen, insgesamt solche Bemühungen zu konzentrieren auf die G20. Die repräsentieren nicht nur 80 Prozent der CO2-Emissionen, sondern auch mehr als dreiviertel des weltweiten Bruttosozialprodukts, das Format gibt es bereits. Nach den Erfahrungen, die man mit den G7-Gipfeln von Kanada und dem davor gemacht hat, zeigt sich ja auch, dass nicht mal unter den sieben Staaten es etwas gibt wie einen Konsens, sagen wir mal zwischen den demokratisch-kapitalistischen Staaten gegenüber dem staatskapitalistischen Staaten wie Russland und Chna. Insofern, wenn man sich anschaut, was gerade heute und gestern gelaufen ist über die Ticker, über Twitter in der Verschärfung des Handelskonflikts, wie wollen sie sich eigentlich als Europäer an dieser Stelle positionieren? Will man sich an die Seite der USA stellen oder will man nicht vielmehr alles tun, die weitere Beschädigung unserer Volkswirtschaft am Vorabend einer Rezession zu unterbinden.
Rohde: Und wäre nicht genau das der Punkt, zu sagen, wir sind eigentlich G6 und Trump, und die Welt sozusagen sieht, dass Trump hier ganz klar isoliert wird und die anderen zusammenstehen?
Trittin: Taktisch war das beim letzten Gipfel in Vancouver ja so, da haben sich die sechs verabredet zu einer mehr oder weniger ambitionierteren Klimaschutzpolitik, zu freiem Handel, und dann ist Trump empört abgereist. Aber wenn man das erlebt, dann muss man sich natürlich der Frage stellen, wie viele solcher unsinniger Gipfel man eigentlich noch machen würde, bevor man feststellt, das, was mal Helmut Schmidt und Giscard d’Estaing gegründet haben, das ist halt heute aus der Zeit gefallen, und das ist das G7-Format.
Rohde: Das heißt, wir müssen anerkennen, der Westen war gestern?
Trittin: Der Westen war gestern, spätestens seit Donald Trump erklärt hat, dass europäische und deutsche Autos eine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA sind und die Europäer sich schlimmer verhielten als China.
Rohde: Andererseits müssen wir ja auch sagen, wir erleben gerade eine neue Aufrüstung. Die USA beispielsweise haben eine Mittelstreckenrakete getestet, direkt nachdem der INF-Vertrag ausgelaufen ist, und Putin hat jetzt angekündigt, in gleicher Stärke zu reagieren. Sind Trump und Putin da nicht längst auf einem Konfrontationskurs, den man ganz dringend in solchen Foren einhegen muss?
Trittin: Man ist auf einem Konfrontationskurs, nur ist ja gerade in diesem Forum vor einigen Jahren wegen der Annexion der Krim beschlossen worden, aus den G8, die es mal waren, G7 zu machen und Russland auszuschließen. Da kann man jetzt lange drüber streiten, ob das klug war, aber damit zeigt sich eben auch, dass das Format G7 zur Behandlung genau dieser Probleme, also eines potenziellen Wettrüstens zwischen Russland und der NATO, nicht taugt.
"Rat- und hilflos dieser Eskalationspolitik der USA ausgesetzt"
Rohde: Trump will Russland ja wieder aufnehmen, hat er da recht?
Trittin: Ich weiß nicht, ob es klug war, sie auszuschließen, aber nachdem sie ausgeschlossen worden sind und sich in der Frage der Ukraine und der Krim überhaupt nicht bewegt haben, wird es sehr schwierig, einfach so zu tun, als wäre nichts gewesen.
Rohde: Lassen Sie uns auf den Iran auch noch schauen als Thema. Die Europäer wollen ja die USA dazu bewegen, die Politik des maximalen Drucks abzuschwächen, etwa indem sie die Ölverkäufe des Iran nach China und nach Indien nicht mehr mit Strafmaßnahmen belegen. Was glauben Sie, kann es den Europäern an dem Punkt jetzt überhaupt noch gelingen, Trump zu überzeugen?
Trittin: Ich glaube, dass es nicht um überzeugen geht. Die Europäer haben es bisher versäumt, tatsächlich die Instrumente zur Verfügung zu stellen, die das ermöglichen würden. Das würde voraussetzen beispielsweise, dass solche Geschäfte ordentlich verrechnet werden können, und es sind Geschäfte, die nach europäischem Recht völlig legal sind. Insofern wäre es eine Herausforderung gewesen für deutsche und europäische Außenpolitik, dafür zu sorgen, dass jene Sonderfazilität Instex endlich ins Laufen kommt. Das hat Europa und das hat Deutschland bis heute nicht geschafft. Insofern ist man im Grunde genommen rat- und hilflos, dieser Eskalationspolitik der USA ausgesetzt. Trump lässt sich nicht überzeugen. Trump lässt sich nur sozusagen einhegen, und man muss politische Antworten finden auf das, was er macht, und das muss man dann auch mit konkreten Maßnahmen unterlegen.
Mercosur-Abkommen: Deutschland muss seine Hausaufgaben noch machen
Rohde: Was wäre das denn konkret? Sie haben jetzt in der Vergangenheit gesprochen, dass man das machen hätte …
Trittin: Das wäre eine entsprechende Einrichtung, die es erlaubt, beispielsweise solche Dinge in Euro zu rechnen und nicht mehr darauf angewiesen zu sein, dass solche Geschäfte nur mit Dollar gemacht werden. Das ha en die Europäer mal vorgehabt, vor einem Jahr haben sie das dem Iran versprochen, sie haben das bis heute nicht geliefert.
Rohde: Lassen Sie uns kurz noch auf ein anderes Thema schauen. Die Amazonasbrände, die wurden jetzt spontan auf die Agenda gesetzt. Kann man da was Handfestes erwarten, was jetzt so in zwei Tagen beschlossen wird?
Trittin: Ich glaube nicht, weil die USA ja bekanntermaßen beschlossen haben, aus der Politik der Bekämpfung des Klimawandels auszusteigen, wird es auch da keinen Konsens geben. Noch schlimmer ist aber, dass es unter den Europäern in dieser Frage keinen Konsens gibt. Die Franzosen, die französische Präsidentschaft, Macron, haben sehr deutlich gesagt, dass sie nicht bereit sein werden, Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Südamerika, das Mercosur-Abkommen, zu ratifizieren, weil offensichtlich die dort vereinbarten Regeln über die Beachtung von Maßnahmen zum Klimaschutz in Brasilien, faktisch am Boden, sich in Luft auflösen, weil dort massiv brandgerodet werde. Und Deutschland ist eigentlich das Land innerhalb der Europäischen Union, was dazu treibt, ungeachtet von Bolsonaros Abfackelei dieses Abkommen durchzubringen. Das heißt, hier wären viele Hausaufgaben zwischen Deutschland und Frankreich zu machen.
Rohde: Und was würden Sie sagen, die Bundesregierung sollte jetzt auch klar sagen: Stopp!
Trittin: Ich glaube, dass die Haltung, die die Iren und die Franzosen an den Tag legen, völlig richtig ist. Man kann kein Abkommen machen, was einen Freibrief darstellt, die grüne Lunge dieses Planeten zu zerstören. Entwaldung, Abholzung macht 20 Prozent der Treibhausgaseinträge aus, und da einfach zuzuschauen und zu sagen, na ja, das nehmen wir mal so zur Kenntnis, das hat mit Freihandel nichts zu tun.
Rohde: Allerdings muss man sagen, es wurde jahrelang verhandelt. Wie überzeugend ist das, wenn man jetzt plötzlich sagt, nee, machen wir nicht mehr?
Trittin: Wenn man jahrelang verhandelt hat und dann mit einem Ergebnis nach Hause geht, was sichtbar nicht trägt, dann hat man offensichtlich schlecht verhandelt, dann muss man weiterverhandeln.
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