Christoph Heinemann: Das sind schwere Zeiten für Menschen, die mit Kabarett und Komik ihr Geld verdienen. Stellen Sie sich vor, jemand auf der Bühne hätte vor einigen Wochen gesagt, Donald Trump wolle Grönland kaufen; das Publikum hätte das als maßlose Übertreibung gewertet. Tatsächlich möchte Trump mit Dänemark ins Geschäft kommen, und da unsere Nachbarn im Norden nicht verkaufen wollen, hat der Präsident eine Reise nach Kopenhagen kurzfristig abgesagt.
Diese Geopolitik des Weißen Hauses belastet auch den G7-Gipfel, der an diesem Wochenende an der französischen Atlantikküste stattfinden wird. G7 – das sind die USA, Kanada und Japan, Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland. Zu den sieben Gs gehören insgesamt zwei Donalds: Trump, klar, und Donald Tusk. Er vertritt die Europäische Union. Russland war einst dabei; da hieß die Veranstaltung noch G8.
Am Telefon ist Norbert Röttgen (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Wahlkreis Rhein-Sieg II. Guten Morgen!
Norbert Röttgen: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Röttgen, sollte aus G7 wieder G8 werden?
Röttgen: Ich glaube, das wäre falsch. Und auch mit der Begründung, die eben genannt worden ist, die aber auch Deutschland, Frankreich und Großbritannien ja gemeinsam vertreten werden auf diesem Gipfel. Es gibt keinen Grund dafür. Es gab ja einen Grund dafür, Russland auszuschließen, weil Russland verletzt hat die wesentlichen Prinzipien des Umgangs von Staaten miteinander, aktiv Krieg führt. Und wenn sich daran nichts ändert, Russland auch nirgendwo kooperativ ist, aber man sagt, aber jetzt gehörst Du der Gemeinschaft wieder an, das wäre geradezu ein verwirrendes Signal. Ich glaube auch, es würde im Moment nichts bringen. Das ist ein ganz anderes Argument.
Bei der G7 stellt sich im Grunde die Frage, da ist man unter sich, der Westen ist unter sich, und was man sehen kann ist Spaltungen, Meinungsverschiedenheiten, man kriegt noch nicht mal mehr ein Kommuniqué zusammen. In der Lage macht es doppelt keinen Sinn, Russland dazuzunehmen. Die G7 muss jetzt sehr rasch auf diesem Gipfel – viele Gipfel bleiben jedenfalls nicht mehr – sagen, ob dieses Format für die G7 überhaupt noch Sinn macht, oder ob man nur noch streitet und nicht mal mehr am Ende ein Kommuniqué zustande bringt. Es steht um uns selber sehr ernst und wir müssen uns mit uns selber beschäftigen.
Nord Stream II "ist eine Frage von Realpolitik"
Heinemann: Russland soll draußen bleiben. Gleichzeitig Sanktionen ja. Aber dann sitzt Berlin wiederum auch bei der Gas-Pipeline Nord Stream II mit Moskau im selben Boot. Wie passt das zusammen?
Röttgen: Nicht mit Moskau im selben Boot. Sie wissen ja wahrscheinlich, dass ich selber ein Kritiker dieses Projekts bin. Aber in der Europäischen Union hat man jetzt jedenfalls auch eine Einigung, auch einen Kompromiss gefunden. Es gab und gibt ja Meinungsverschiedenheiten, aber das Projekt ist relativ weit fortgeschritten. Dänemark ist immer noch opponierend, auch die Mehrheit der EU-Staaten, die USA sowieso, und insofern ist das eine Position, wo Deutschland weder in der EU, noch im transatlantischen Verhältnis viel Zustimmung erfährt. Aber es ist jetzt so und es macht auch keinen Sinn, sich permanent um ein Thema, wo man nicht mehr weiterkommen kann, weil es auch Ergebnisse gibt, immer weiter im Kreis zu drehen.
Heinemann: Ihre Kritik haben Sie jetzt deutlich gemacht. Aber mit Blick auf die Koalition, wo endet die Moral der schwarz-roten Außenpolitik?
Röttgen: Ich verstehe die Frage nicht.
Heinemann: Bezogen auf Nord Stream II.
Röttgen: Ich halte es nicht für eine moralische Frage, sondern es ist eine Frage, wo auch die Große Koalition, schon noch beginnend unter der früheren Koalition, sich für dieses Projekt entschieden hat. Ich habe es aus ganz unterschiedlichen Gründen, aus energiepolitischen Gründen, aus europapolitischen Gründen, aus transatlantischen Gründen nicht für richtig gehalten, sondern für ein falsches Projekt, weil wir so wenig Zustimmung und so viel Gegnerschaft dafür ernten. Aber es ist anders entschieden worden, und darum sind jetzt Fakten geschaffen worden und darum ist es auch eine Frage von Realpolitik. So ist der Stand nun und mit dem muss man arbeiten, und die EU hat ja auch klargemacht auf einem ihrer letzten Gipfel, wir haben da jetzt eine Position, das ist ein Kompromiss und so arbeiten wir jetzt.
"EU-Staaten präsentieren sich schlecht bei diesem Gipfel"
Heinemann: Herr Röttgen, keiner weiß, wer Italien künftig regieren wird. Boris Johnson hat in dieser Woche vergeblich für seinen New Deal geworben, ein neues Brexit-Abkommen. Zwischen Paris und Berlin stimmt die Chemie offenbar nicht. Wie präsentieren sich die EU-Staaten beim G7-Gipfel?
Röttgen: Die EU-Staaten präsentieren sich schlecht bei diesem Gipfel. Wir haben im Grunde ja zwei große Phänomene, wenn wir über uns, über den Westen reden. Wir haben auf der einen Seite den Rückzug der USA aus ihrer ehemaligen, 70 Jahre lang praktizierten Führungsrolle. Und wir stellen fest, es gibt auch kein anderes Land, das diese Rolle ausüben kann. Das ist der Bruch, den es in der US-amerikanischen Politik, vielleicht auch im Selbstverständnis erst mal gibt.
Auf der anderen Seite sagen dann alle, dann ist das die Stunde Europas. Aber diese Stunde beginnt nicht zu schlagen, weil die Europäer entweder Unwillens oder unfähig sind, zusammenzukommen, aufzusteigen zu einem Maß an Verantwortung, das im eigenen Interesse zur Behauptung unserer Interessen notwendig ist. Darum ist neben dem Rückzug der USA die europäische Paralyse, die Unwilligkeit, die Unfähigkeit, einig zu handeln und aufzutreten, das zweite große, leider der zweite große Trend. Darum sind die Europäer in einer schlechten Verfassung und darum liegt es auch an uns, dass der Westen so uneinig sich darstellt.
Heinemann: Besserung in Sicht?
Röttgen: Das ist, wenn ich so sagen darf – als Antwort, nicht als Kritik an Ihnen -, die falsche Frage. Wenn wir das so weitermachen, dann werden wir bedeutungslos werden. Wir sehen jetzt schon erste Züge einer russisch-chinesischen Allianz, die nicht in unserem Interesse ist. Wir sehen jetzt schon das Schweigen des Westens zu den Protesten in Hongkong. Wir sind gar nicht mehr sprechfähig. Wir haben in der Straße von Hormus bestenfalls mal etwas geprüft, aber am Ende nichts gemacht, als es um iranische Staatspiraterie ging. Wenn wir das so weitermachen, geben wir uns selber auf, und darum ist es ein ernster Moment nicht nur für die transatlantischen Beziehungen, sondern auch für die Zukunft der Europäer. Wir dürfen uns nicht aufgeben und wenn wir nicht zusammen handeln, geben wir uns auf.
Positionierung zu "russisch-chinesischer Allianz" nötig
Heinemann: Was hält den sogenannten Westen noch zusammen?
Röttgen: Das ist im Grunde die Kernfrage. Meine Antwort darauf ist: unser Wille zur Selbstbehauptung. Wir haben eine so fragmentierte, gefährliche Welt, wo wir eine Minderheit sind, der Westen, was unsere Werte anbelangt, unsere Prinzipien, Demokratie, Rechtsstaat, Freiheit, aber auch unsere Zahlen. Zahlenmäßig sind wir eine Minderheit. Wir schließen uns zusammen, bleiben stark, werden gestaltend sein, oder wir fallen auseinander und andere werden das Ruder übernehmen. Das ist das Kernmotiv.
Heinemann: Herr Röttgen, Donald Trump ist aus dem Atomabkommen mit dem Iran ausgestiegen. Er führt zahlreiche Handelskonflikte, kritisiert nicht unberechtigt die knauserige deutsche Verteidigungspolitik. Es gibt Streit um Mindestbesteuerung von Unternehmen. Was außer der Wiederholung bekannter Positionen kann man jetzt von diesem Treffen in Biarritz erwarten?
Röttgen: Ich meine, mindestens zwei Dinge. Erstens, dass vor allen Dingen die Einzelgespräche genutzt werden, dass man anfängt, selber zu ermitteln, aber auch zu kommunizieren, dass man sich des Ernstes der Lage und der eigenen Fehler bewusst ist. Wenn man das so weiter verdrängt, jetzt auch durch Scheinveranstaltungen und Alternativen, dann gibt man sich irgendwann auf. Ich glaube, dass das wichtig ist, dass man beginnt zu verstehen, dass man hier an einer Wegscheide steht.
Das zweite – das Thema hatte ich eben auch schon genannt: Es ist unübersehbar inzwischen, dass es eine russisch-chinesische machtpolitische Allianz unter chinesischer Führung natürlich gibt. Die Russen sind Juniorpartner in dieser Allianz. Das ist etwas, was alle, die dort versammelt sind, nicht ruhig sein lassen kann und ein starkes Signal dafür ist, dass hier ein machtpolitisches Vakuum durch den Westen selber entsteht, das durch diese neue Allianz wahrgenommen wird gegen unsere Interessen. Das sollte mindestens ein Thema sein, wo man auch gemeinsame Sprache und Politik findet.
Die Kernfrage: Wofür gibt es das G7-Forum noch?
Heinemann: Emmanuel Macron hat auch Regierungsvertreterinnen und Vertreter aus afrikanischen Staaten, aus Südamerika und Südasien eingeladen. Sollte sich G7 weiter in diese Richtung entwickeln?
Röttgen: Einerseits ist dem Thema ja nicht die Berechtigung abzusprechen, Ungleichheit und so weiter. Aber was ist der Sinn von G7, in den 70er-Jahren ja gegründet, auch in Krisenzeiten, in turbulenten Zeiten, dass die sieben unter sich sich aussprechen, Zeit haben, sich darstellen und sagen und Ihre Frage beantworten, was hält uns zusammen, wer sind wir, was wollen wir erreichen. Alles, was davon ablenkt, fünf andere oder zehn andere und was auch immer, sind im Grunde alternative Überlegungen, die überdecken sollen, dass man die Kernfrage, warum man überhaupt existiert, nicht mehr gut beantworten kann.
Das ist keine Lösung der Zukunftsfrage. Treffen und Konferenzen gibt es permanent. Das Einzigartige ist, dass die sieben untereinander sind und die müssen beantworten, wozu sie eigentlich da sein sollen. Alle Alternativen, die jetzt praktiziert werden, sind Übungen zu verdecken, dass man diese Kernfrage, warum und wozu man eigentlich existiert, im Moment nicht überzeugend beantworten kann.
Heinemann: Herr Röttgen, hat Donald Trumps geplantes Grönland-Geschäft die Grenzen des Unvorhersehbaren in den transatlantischen Beziehungen noch einmal verschoben?
Röttgen: Das Unvorhersehbare ist ja das neue Prinzip geworden, wenn man überhaupt da noch von Prinzipien sprechen kann. Die Ersetzung von Politik durch die Person und damit auch, was eine Person ausmacht, auch Emotionen, Bedeutungssucht und Vergeltungssucht, das ist das zweite Neue neben dem Rückzug, dass Politik durch die Person ersetzt worden ist, und dass nicht im Falle Grönland, sondern im Falle des mächtigsten und des führenden Landes dieser Welt.
Heinemann: Sollte Trump den Druck auf Dänemark erhöhen, wie sollte die EU dann reagieren?
Röttgen: Wie immer gemeinsam in der Verteidigung vor allen Dingen eines kleineren Landes. In der Selbstverteidigung; es geht nicht um militärische. In der politischen Verteidigung und Solidarität mit Dänemark.
Heinemann: Wichtiger Zusatz.
Röttgen: Ja.
Heinemann: Danke schön!
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