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Gabriel geht zur Deutschen Bank
"Schaden des Ansehens der Politik insgesamt"

Wieder wechselt ein Politiker in die Wirtschaft. Damit gehe immer ein Stück weit ein Glaubwürdigkeitsverlust einher, kritisierte Timo Lange von Lobbycontrol im Dlf. Sigmar Gabriel werde zwar im Aufsichtsrat eine Kontrollfunktion ausüben. Er sei aber dem Großaktionär Katar verpflichtet.

Timo Lange im Gespräch mit Birgid Becker |
Das Foto von Februar 2018 zeigt die Türme der Deutschen Bank in Frankfurt am Main.
Der einstige SPD-Chef Sigmar Gabriel wird im Aufsichtsrat der Deutschen Bank die Interessen der Kapitalseite vertreten (picture alliance / Michael Probst)
Birgid Becker: Das Dauerthema: Politiker wechseln in die Wirtschaft. Gewählter Politiker zu sein, das ist in aller Regel ein Job auf Zeit, da liegt es auf der Hand, dass Politiker, wenn sie Ex-Politiker sind, sich beruflich neu orientieren müssen. Soweit normal, aber wo endet Normalität und wo beginnt lobbyistischer Filz? Darüber habe ich vor der Sendung mit Timo Lange gesprochen von der Nichtregierungsorganisation Lobbycontrol. Also Sigmar Gabriel, Ex-SPD-Chef, Ex-Außenminister, Ex-Wirtschaftsminister soll in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank einziehen. Wie sehen Sie das?
Timo Lange: Mit Herrn Gabriel holt sich die Deutsche Bank natürlich ein wirkliches politisches Schwergewicht in ihren Aufsichtsrat herein. Er wird dort ja auch nicht sitzen aufgrund seiner ausgeprägten und vielfältigen Kenntnisse im Bereich des Bankenwesens oder der Finanzmarktregulierung, sondern weil er ein ehemaliger Spitzenpolitiker ist. Herr Achleitner, der Aufsichtsratsvorsitzende hat das ja auch genau so angepriesen, dass Herr Gabriel aufgrund seiner vielfältigen Erfahrung im internationalen Bereich, aber auch als Wirtschafts- und Umweltpolitiker besonders attraktiv für die Deutsche Bank in diesem Posten ist. Wir sehen das durchaus kritisch, denn damit geht schon auch immer ein Stück weit ein Glaubwürdigkeitsverlust einher, ein Schaden auch des Ansehens der Politik insgesamt, wenn hier der Eindruck entsteht, dass gerade hochrangige Politiker, die lange im Amt waren, die Allgemeinheit vertreten haben und als SPD-Vorsitzender auch noch mal bestimmte Interessen besonders vertreten haben - Arbeitnehmerinteressen - auch Banken kritisiert haben, dann kurz nach dem Ende, relativ kurz nach dem Ende ihrer politischen Karriere dann einen solchen Wechsel vollziehen.
"Spannende Frage, wie Herr Gabriel im Aufsichtsrat agieren wird"
Becker: Nun muss man ja genau auf die neue Tätigkeit schauen. Der Aufsichtsrat ist ja nicht im operativen Geschäft tätig. Er kontrolliert. Ist es nicht, gerade wenn man kontrolliert, sehr sinnvoll, wenn man zuvor ein profilierter Umweltpolitiker oder als SPD-Vorsitzender, ein profilierter Kämpfer für Arbeitnehmerrechte war?
Lange: Ja, richtig. Herr Gabriel wird im Aufsichtsrat diese Kontrollfunktion ausüben, und wenn man ihm zuhört oder seine Stellungnahmen wahrnimmt, dann klingt das ja auch ein bisschen so, als wäre das für ihn einfach eine neue Arena, der er jetzt weiter Politik machen kann, sich für die europäische, für die deutsche Wirtschaft einsetzen kann. Gleichzeitig ist er aber natürlich dort gebunden. Er ist zwar vor allem ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats, aber er sitzt da für die Anteilseigner-Seite und, wie in verschiedenen Medien ja auch zu vernehmen ist, wird er da auch insbesondere den Großaktionär Katar ein Stück weit verpflichtet sein. Das wird nun eine ganz spannende Frage, wie Herr Gabriel in diesem Aufsichtsrat agieren wird. Für die Deutsche Bank, noch mal zurück, hat das natürlich aber auch einen Eigennutz, dass man da jetzt so jemanden hat, der dieses internationale Netzwerk hat. Er wird da zwar nicht als Lobbyist explizit sitzen - das wäre noch mal anders zu bewerten -, aber die Übergänge sind hier dann doch aus mehrerer Sicht ein Stück weit fließend. Wenn er in Zukunft dann auch für die Deutsche Bank im Ausland in Regulierungsfragen oder auch im anderen Team seine Kontakte, die er nun mal als Politiker im öffentlichen Amt, als gewählter Repräsentant, hoher Repräsentant Deutschlands erworben hat, nutzen wird.
Becker: Und wenn wir uns noch mal um Trennschärfe bemühen: Im Herbst des vergangenen Jahres, da machte ja das Gerücht die Runde, Gabriel werde neuer Chef des Autolobbyverbands VDA. Gabriel hat das umgehend dementiert, aber das wäre auch ein anderer Sachverhalt gewesen, oder? Denn dann hätte er nicht kontrolliert, er hätte als Ex-Ministerpräsident des Autolandes Niedersachsen aktiv Lobbyarbeit gemacht für die Autobranche. Das wäre schon was anderes gewesen, oder?
Lange: Das würden wir tatsächlich noch mal anders bewerten. Gerade dieser Wechsel aus dem Amt, aus Regierungsämtern direkt in Lobbytätigkeiten, das ist nun wirklich das, wo die Problematik auch eines Interessenkonflikts im Grunde am größten ist. Herr Gabriel hat ja auch selber gesagt, er möchte nicht derjenige sein, der dann an die … also man soll nicht an Türen klopfen, hinter denen man selber mal gesessen hat. Das zeigt ja genau diese Problematik als verantwortlicher Politiker, wechselt die Seiten und verhandelt dann möglicherweise direkt mit den alten Kolleginnen und Kollegen über ein Gesetz, an dem man selber zuvor noch mitgearbeitet hat. Also das ist wirklich eine andere Problematik, wo sich dann ja auch die Unternehmen oder Verbände wirklich explizit die Politikerinnen und Politiker einkaufen sozusagen aufgrund ihrer Kenntnisse, Insiderkenntnisse aus der Politik ihres Netzwerks und dieses wird dann einem Einzelinteresse zur Verfügung gestellt, was dann auch immer eine gewisse Schieflage im Lobbybereich verstärkt, gerade hochrangige Politikerinnen und Politiker in der Regel dann zu großen Unternehmen, großen Verbänden wechseln und nicht zu zivilgesellschaftlichen Organisationen. Insofern finden wir es auch richtig, dass es jetzt seit einigen Jahren, wofür wir uns lange eingesetzt haben, hier ein Gesetz gibt als Teil des Ministergesetzes, dass dieser Seitenwechsel aus der Regierung in Tätigkeiten bei Verbänden und Unternehmen reguliert. Mit dem Gesetz sind wir nicht hundertprozentig zufrieden, aber es ist gut, dass es ein solches Gesetz überhaupt gibt.
"Formal alles eingehalten, aber Kritik darf man trotzdem üben"
Becker: Wie sieht das denn im Fall Sigmar Gabriel aus? Der war bis März 2017 SPD-Chef, bis März 2018 Vizekanzler, das Bundestagsmandat hat er im vergangenen November niedergelegt. Genug gewartet, also erfüllt der alle Verpflichtungen?
Lange: Richtig. Also was die gesetzlichen Anforderungen angeht, hat er lange genug gewartet mit diesem Wechsel jetzt, diese vorgesehene Abkühlphase oder Karenzzeit beträgt 18 Monate maximal. Das ist die Zeit, während der ehemalige Regierungsmitglieder der Bundesregierung gegenüber auch anzeigen müssen, wenn sie eine neue Tätigkeit aufnehmen möchten. Das wird dann dort geprüft auf Interessenkonflikte und andere Kriterien hin, und wenn man zu dem Schluss kommt, nein, da gibt es einen zu engen Zusammenhang zum Beispiel zwischen dem Amt und der neuen Tätigkeit, dann kann das in dieser Zeit untersagt werden. Aber bei Herrn Gabriel liegt die Regierungszeit nur 18 Monate zurück, wobei wir von Lobbycontrol das auch immer nicht so gut finden, wenn man dann nur sozusagen einfach die Zeit als Abgeordneter noch absitzt, wie das in anderen Fällen auch so war. Insofern hat er formal alles eingehalten, aber Kritik darf man trotzdem üben.
Becker: Nun handelt sich Sigmar Gabriel die ja auch aus dem politischen Raum ein. Der Linken-Chef Bernd Riexinger hat in einem Tweet eine Parallele zwischen Gerhard Schröder und dessen Engagement bei der Nordstream AG ziemlich schnell nach der Kanzlerschaft gezogen. Schröder sei jetzt als Kumpel von Putin bei Gazprom im Geschäft, und, so heißt der Tweet: Gabriel lege jetzt noch eins drauf und werde Aufsichtsrat für die Deutsche Bank. Stimmt diese Parallele?
Lange: Also ich würde den Wechsel von Schröder doch noch mal etwas anders bewerten. Da lag noch weniger Zeit dazwischen. Vor allem hat sich ja Schröder als Bundeskanzler in den letzten Monaten seiner Amtszeit noch sehr aktiv eingesetzt für Nordstream und den Bau der Pipeline. Dann, nach dem Ende der Amtszeit, direkt ins Betreiberkonsortium zu wechseln, das hat nun noch mal einen ganz bittereren Nachgeschmack als das jetzt bei Herrn Gabriel der Fall ist, der eher als Kritiker auch von der Deutschen Bank aufgefallen ist.
"So lange warten wie möglich moralisch angezeigt"
Becker: Wenn man jetzt eine nach Ihrer Ansicht richtige Linie finden will, wie sieht die aus? Also welche Art von Wechsel geht, wenn man sich nicht selbst beschädigen will und auch nicht das Ansehen der politischen Klasse überhaupt beschädigen will?
Lange: Wir fänden das einfach wichtig, dass diese aktuell geltende Regelung für den Übergang aus der Regierungszeit in andere Tätigkeiten noch ausgeweitet wird, dass man hier sagt, eigentlich eine Zeit von 18 maximal ist doch zu kurz. Da sollte eine Abkühlphase doch etwas länger sein. Wir fordern da zusammen mit anderen Transparenzorganisationen drei Jahre. In der Zeit darf natürlich auch gearbeitet werden, aber nicht Lobbytätigkeiten oder Tätigkeiten, die dann doch im recht engen Zusammenhang stehen mit dem Amt. Rein aus demokratischer, politischer Verantwortungsperspektive als Bürger habe ich auch den Anspruch gerade an Menschen, die so lange in hohen Ämtern waren, dass sich daraus eine gewisse Verantwortung für die Allgemeinheit ergibt, die sich auch über das Amt hinaus erstreckt und man sich dann gut überlegt, möchte ich jetzt einem einzelnen Unternehmen meine Person sozusagen so zur Verfügung stellen mitsamt dem politischen Netzwerk. Da wäre einfach so lange warten wie möglich politisch, moralisch sozusagen angezeigt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.