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Gabriel in Saudi-Arabien
"Ein ganz schwieriger Spagat"

Der Politikwissenschaftler Guido Steinberg hält den künftigen Umgang der Bundesregierung mit Saudi-Arabien für problematisch. Einerseits sei eine Kooperation notwendig, andererseits müsse man dabei sehr viel stärker politisch denken und das Land zum Umdenken in der Innenpolitik bewegen, sagte er im DLF.

Guido Steinberg im Gespräch mit Bettina Klein |
    Guido Steinberg, Terrorismus- und IS-Experte, von der Stiftung Wissenschaft und Politik in einer Talkrunde
    Guido Steinberg, Terrorismus- und IS-Experte, von der Stiftung Wissenschaft und Politik (dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler)
    Saudi-Arabien habe sich in den vergangenen Jahrzehnten als verlässlicher Partner in der Region erwiesen, sagte Steinberg. Das sei künftig nicht nur in wirtschaftlichen Fragen wichtig, sondern auch auf den Feldern der Energie-, Sicherheits- und Regionalpolitik. Deswegen hält Steinberg die Entscheidung der Bundesregierung, auf enge Beziehungen zu setzen, für die richtige Linie. Der Politikwissenschaftler begrüßt auch den Plan von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), weniger Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zu genehmigen. Gabriel hat heute seine Reise in das Land begonnen, aber keine Vertreter von Rüstungskonzernen mitgenommen.
    Die Menschenrechtslage in der Region ist nach Ansicht Steinbergs katastrophal, das könne Deutschland aus prinzipiellen Erwägungen nicht tolerieren. Andererseits sei Saudi-Arabien ein "ganz wichtiger Partner" in der Terrorismusbekämpfung. Deswegen müsse Deutschland einerseits kooperieren und dafür Waffen liefern, sofern diese nicht zur Bekämpfung von Aufständen im Land geeignet seien, andererseits aber überlegen, wie die Regierung gemeinsam mit ihren Verbündeten die Saudis überzeugen könne, seine Innenpolitik zu ändern.
    Deutschland sei in der Terrorismusbekämpfung für Saudi-Arabien kein besonders wichtiger Partner, sagte Steinberg. Diese setzten zuerst auf die USA, dann auf Großbritannien und Frankreich; Deutschland sei eher als wirtschaftlicher Akteur wichtig. Die Saudis hätten aber durch die Bestellung von Panzern und Patrouillenbooten und die Entscheidung, die Grenzsicherung von Airbus liefern zu lassen, signalisiert, dass sie an engeren auch sicherheitspolitischen Beziehungen zu Deutschland interessiert seien.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Bei einer Frage war sich Vizekanzler Sigmar Gabriel kürzlich ganz sicher: Das Beste, was er im Interesse der Menschenrechte in Saudi-Arabien tun könne, insbesondere mit Blick auf den Blogger, der zu Peitschenhieben verurteilt worden war, das Beste sei, so Gabriel, nicht mit deutschen Medien zu sprechen, in diesem Falle mit dem ZDF, das Ganze also nicht öffentlich zu verhandeln. Die Reaktion dazu heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk von der zuständigen Mitarbeiterin von Amnesty International, Ruth Jüttner:
    O-Ton Ruth Jüttner: Ich denke, das kann man so nicht stehenlassen. Es ist ja überhaupt nicht nachvollziehbar, wenn gesagt wird, wir sprechen das alles hinter verschlossenen Türen an, was dann überhaupt angesprochen wird und welche Forderungen dann auch konkret formuliert werden oder welche Erwartungen an die saudische Regierung.
    "Da kommt ein riesiges Problem auf uns zu"
    Klein: Ruth Jüttner von Amnesty bei uns im Deutschlandfunk. Der Besuch hat auch die Diskussion um Rüstungsexporte erneut aufflammen lassen.
    Er reist also mit einer großen Wirtschaftsdelegation, die in allen Bereichen Geschäfte mit Saudi-Arabien abwickeln möchte, außer eben in Sachen Rüstung. Ist damit die Abwägung, was Menschenrechtsfragen angeht, ohnehin entschieden, nämlich zugunsten von Wirtschaftsbeziehungen und zu einem Land, das auch aus deutscher Perspektive als Stabilitätsanker gilt? Das habe ich kurz vor der Sendung Guido Steinberg gefragt, bei der Stiftung Wissenschaft und Politik zuständig unter anderem für die Staaten des Persischen Golfs.
    Guido Steinberg: Ja, ich denke, dass die Entscheidung der Bundesregierung, also einerseits auf enge Beziehungen zu setzen und andererseits gerade bei den Rüstungsexporten eine Grenze zu ziehen, die richtige ist. Allerdings werden wir auch in den nächsten Jahren immer wieder diskutieren müssen, wie diese Grenze denn wirklich beschaffen sein muss. Wir haben im Moment den Fall, dass wir einen Wirtschaftsminister haben, der da sehr restriktiv vorgeht, der verlangt, dass Rüstungsexporte weitgehend gestoppt werden. Aber das kann sich in den nächsten Jahren ja auch wieder ändern. Es wird sich meines Erachtens nichts daran ändern, dass wir da ein großes Problem haben, weil Saudi-Arabien einerseits ein sehr wichtiger Partner ist, nicht nur ein kommerzieller Partner, sondern auch ein Partner in der Energiepolitik, in der Sicherheitspolitik, in der Regionalpolitik. Und da haben sie sich in den letzten Jahrzehnten als sehr verlässlich und sehr wichtig erwiesen. Andererseits sehen wir, dass das ein Land ist, in dem die Menschenrechtslage, insbesondere was Religionsfreiheit angeht, so katastrophal ist, dass wir das schon allein aus prinzipiellen Erwägungen nicht akzeptieren können. Darüber hinaus muss man ja aber auch sehen, dass diese Ideologie, die dort Staatsideologie ist, auch in gewisser Weise die Grundlage des Denkens der Dschihadisten ist. Da kommt also ein riesiges Problem auf uns zu.
    "90 Prozent der Lehre von Al Kaida und IS stammen aus Saudi-Arabien"
    Klein: Was meinen Sie mit Denkungslage der Dschihadisten? Denn andererseits wird ja argumentiert, wir brauchen Saudi-Arabien auch im Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat, und das sei - so ein Argument der Befürworter - durchaus auch ein Grund, eben möglicherweise Waffen auch nach Saudi-Arabien zu liefern!
    Steinberg: Ja, ich sehe das tatsächlich auch so, dass Saudi-Arabien ein ganz wichtiger Partner in der Terrorismusbekämpfung ist. Wenn man sich eine Organisation wie IS anguckt oder auch Al Kaida, dann wird man feststellen, dass dort ganz viele Saudi-Araber dabei sind. Und selbstverständlich kommt man dann nicht darum herum, mit den Sicherheitsbehörden Saudi-Arabiens zu kooperieren. Andererseits ist ganz klar, dass die saudi-arabische Staatsreligion, wenn man so will, das Wahhabitentum, eigentlich identisch ist mit dem Salafismus. Und so etwa 90 Prozent der Lehre von Al Kaida oder von IS, die stammt aus diesem salafistischen Denken, aus Saudi-Arabien. Der einzige Unterschied ist, dass in Saudi-Arabien nur der Herrscher den Heiligen Krieg anordnen kann, während die Dschihadisten alle glauben, sie könnten selbst entscheiden, wann der zu führen ist und wann nicht. Und deswegen hat der Export dieser Staatsreligion, des Wahhabitentums, in den letzten Jahrzehnten zum Anwachsen salafistischer Bewegungen beigetragen, die heute den wichtigsten Rekrutierungspool für Al Kaida und IS bilden.
    Klein: Aber ist das nicht genau ein ... Ja?
    Steinberg: Da liegt das tiefergehende Problem, das wir nicht damit lösen, wenn wir jetzt einfach mal mit denen in Sicherheitsfragen kooperieren.
    Klein: Das heißt, was Sie beschreiben, ist ja genauso gut ein Argument für wie auch gegen Waffenlieferungen letzten Endes?
    Steinberg: Ja, genau. Und ich denke, wir müssen da einen ganz, ganz schwierigen Spagat gehen. Einerseits muss man mit denen kooperieren, man muss ihnen sicherlich nicht alle Waffen liefern, vor allem nicht diejenigen Waffen, die zur Aufstandsbekämpfung geeignet sind wie dieser Leopard 2A7+, den die Saudis ursprünglich haben wollten, das darf auf gar keinen Fall in dieses Land geliefert werden. Wir müssen aber gleichzeitig, wenn wir mit den Saudis kooperieren, sehr viel stärker politisch denken und uns Gedanken darüber machen, wie wir vielleicht gemeinsam mit den Verbündeten die Saudis längerfristig davon überzeugen, dass dieses Bündnis mit den Wahhabiten in der Innenpolitik letzten Endes zur Katastrophe führt.
    "Saudi-Arabien ist ein Extremfall"
    Klein: Wie viel hilft und wie viel schadet vor diesem Hintergrund dann das, was die deutsche Regierung im Augenblick in Saudi-Arabien ganz praktisch versucht?
    Steinberg: Ich denke, dass die gegenwärtige Politik der Bundesregierung in Saudi-Arabien immer noch so ein wenig, ja, unterhalb der Schwelle liegt, wo sie wirklich für die Weltpolitik wichtig ist. Man muss ja sehen, dass die Saudis in Sicherheitsfragen, in der Terrorismusbekämpfung vor allem auf ihr Bündnis mit den USA setzen und an zweiter Stelle dann Großbritannien und Frankreich als Partner ernst nehmen. Die Deutschen sind da eher wichtiger geworden, weil sie halt ein so wichtiger wirtschaftlicher Akteur in Europa sind, und das ist im Moment auch der Kern dieser Beziehungen. Das sind vor allem kommerzielle Beziehungen. Aber die Saudis haben mit dieser Bestellung der Panzer gezeigt, und auch mit der Bestellung von Patrouillenbooten und damit, dass sie die gesamte Grenzsicherung von einer deutschen Firma, von Airbus Defence organisieren lassen, dass sie an engeren auch sicherheitspolitischen Beziehungen zu Deutschland interessiert sind. Und das muss die Bundesregierung, diese und auch die nächste, entscheiden, wie dieses Verhältnis gestaltet sein soll. Im Moment hat sich meines Erachtens der Herr Gabriel durchgesetzt mit einer sehr restriktiven Linie, aber das kann sich ja auch wieder ändern.
    Klein: Ist es ein gutes Beispiel für die Grundsatzdiskussion um Rüstungsexporte, die wir nun wieder aufflammen sehen, gerade vonseiten der Grünen beispielsweise kommt ja eine vehemente Forderung, das grundsätzlicher zu überdenken, nicht nur mit Blick auf Saudi-Arabien!
    Steinberg: Ja, Saudi-Arabien ist meines Erachtens ein Extremfall, weil Saudi-Arabien zum einen sehr viel Geld hat, um tatsächlich auch all diese Dinge zu bezahlen, die sie da gerne hätten. Und da ist die Versuchung natürlich groß, den Saudis relativ viel zu liefern. Auf der anderen Seite ist Saudi-Arabien auch ganz besonders problematisch, weil dieses Land ja nicht nur ein autoritärer Staat ist, sondern eine wirklich ganz abscheuliche Religionspolitik führt, die ja nicht nur Christen und Juden im Land überhaupt keine Religionsfreiheit zugesteht, sondern auch nicht-wahhabitischen Muslimen. Also, insofern sehe ich Saudi-Arabien als ganz besonders problematischen Fall an und vielleicht nicht als denjenigen, an dem man dieses Problem besonders gut diskutieren kann. Wir haben da andere Problemfälle in der Region von eigentlich prowestlichen Staaten, die sich im Moment den Europäern und Amerikanern andienen als Partner in der Terrorismusbekämpfung, wo aber vollkommen klar ist, dass sie genauso wie Saudi-Arabien Teil des Problems und nicht nur Teil der Lösung sind. Also, ich denke da vor allem an Ägypten, aber auch Algerien, Marokko und Jordanien. Wir haben dieses Problem in ganz vielen Staaten.
    "Es geht vor allem um die Interessen der Industrie"
    Klein: Abschließend, Herr Steinberg: Beim Stichwort Waffenexporte, werden da politische Interessen und Notwendigkeiten auf der einen Seite und eben die Interessen der Rüstungsindustrie, die Aufträge braucht und haben möchte, werden diese Interessen da immer sauber getrennt?
    Steinberg: Nein, die werden nicht sauber getrennt. Obwohl gerade am Beispiel Saudi-Arabiens doch klar werden kann, dass die deutsche Politik eher eine kommerzielle war. Seit 2003 wurden die Beziehungen zu Saudi-Arabien enorm ausgeweitet, und das hat eben vor allem deutsche Exporte betroffen, das hat vor allem die Handelsbeziehungen betroffen. Und daran war die Bundesregierung interessiert. Wenn jetzt in den letzten Jahren häufig mal sicherheitspolitische Argumente bemüht werden, dass beispielsweise Saudi-Arabien ein Stabilitätsanker sei und auch ein wichtiger Gegner Irans in der Region, dann habe ich doch den Eindruck, als sei das vorgeschoben. Es geht doch vor allem um die Interessen der Industrie, es geht um die kommerziellen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Und wir sind leider noch nicht so weit, das Ganze auch in eine wirklich umfassendere Sicherheitspolitik zu integrieren, ganz einfach deshalb, weil die Bundesrepublik ja sehr zurückhaltend damit ist, ihre Interessen zu definieren, und auch sehr zurückhaltend ist, eine wirklich kohärente Politik in der Region zu führen.
    Klein: Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik zu den Interessen mit Blick auf Saudi-Arabien.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.