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Gabriel: Regierung hat in letzten zwei Jahren nichts vorangebracht

Die wesentlichen Themen wie Altenpflege, Gesundheitswesen oder Jugendarbeitslosigkeit packe die Regierungskoalition nicht an, kritisiert der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel die jüngsten Ergebnisse des Koalitionsausschusses.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Der Koalitionsausschuss ist ein Gremium, in dem sich die Spitzen von CDU/CSU und FDP treffen, um strittige Themen in der Regierungsarbeit zu entscheiden. Einen großen Rundumschlag gab es bei dem Treffen gestern Abend nicht, Koalition demonstriert Harmonie und Handlungsfähigkeit(MP3-Audio) stattdessen viele kleine Ergebnisse. Mitgehört hat SPD-Chef Sigmar Gabriel. Guten Morgen!

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen, ich grüße Sie.

    Engels: Bildungskooperation, besserer Verbraucherschutz bei riskanten Finanzgeschäften, Warnschuss-Arrest für Jugendliche, schnelles gemeinsames Sorgerecht bei unverheirateten Eltern – das sind einige der Beschlüsse gestern. Kein großer Wurf, aber besser als nichts, oder?

    Gabriel: Ja, wenn man den Maßstab daran anlegt, dass wir in den letzten Monaten und eigentlich schon zwei Jahre eine Regierung haben, die gar nichts vorangebracht hat, sondern sich am Ende mit Tieren aus dem Tierreich gegenseitig verglichen hat, dann muss man sagen, immerhin, sie haben das gestern eingestellt. Aber wenn man daran die Messlatte anlegt, was muss eine Regierung tun, bis zu den großen Fragen, wie soll es bei der Altenpflege weitergehen, im Gesundheitswesen, was tun wir, um in Europa beispielsweise das Thema Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, oder welche Öffnung für Bildung brauchen wir wirklich – ich meine, was gestern verabredet wurde, ist eine Mini-Verfassungsänderung; stattdessen brauchen die Länder zehn Milliarden Euro vom Bund mehr für Ganztagsschulen, für den Ausbau der Kinderbetreuung. Nichts davon ist gestern besprochen worden, und deswegen: das war sozusagen ein Gipfel, der na ja, Show war und bei dem man die schlimmsten Verwerfungen versucht hat, irgendwie wieder mit einer weißen Salbe zuzudecken. Aber wir haben in Deutschland keine Regierung, die wirklich regiert. Das ist dramatisch für unser Land und wir werden das alles zu spüren bekommen.

    Engels: Aber die Beschlüsse, die es gestern Abend gab, kann die SPD mittragen?

    Gabriel: Es kommt darauf an, was am Ende wirklich drinsteht. Aber es sind jedenfalls keine ganz großen Streitthemen. Bei der Bildung kann ich nur sagen, das ist uns wesentlich zu wenig. Wir müssen das Kooperationsverbot so verändern, dass die Länder auch vom Bund deutlich mehr Geld für Bildung bekommen, und zwar für den schulischen Bereich. Wir brauchen mehr Ganztagsschulen und da, wo Ganztagsschulen draufsteht, da müssen auch Lehrer drin sein. Deswegen: Wir sind ein Land, das wirtschaftlich sehr reich ist, aber wir geben für Bildung viel, viel weniger aus als vergleichbare Länder, und das müssen wir ändern. Einfach nur ein paar kleine Öffnungen zur Zusammenarbeit im Wissenschafts- und Hochschulbereich, das reicht nicht aus.

    Engels: Handlungsfähigkeit der Regierung haben auch Sie angemahnt und Sie ziehen in Zweifel, dass es diese Handlungsfähigkeit gibt. Da ist ja gerade beim Dauerthema Euro-Rettung auch in der letzten Woche ein wichtiger Beschluss in Brüssel gefallen, nämlich zum sogenannten Fiskalpakt. Damit soll es mehr Haushaltsdisziplin und auch Sanktionen bei Verstößen geben. Dieser Pakt greift in hoheitliche deutsche Rechte ein und deswegen braucht er wohl eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat, um ratifiziert zu werden. Die Kanzlerin braucht also auch die SPD. Wird sie die Zustimmung bekommen von Ihnen?

    Gabriel: Erst mal haben wir der Regierung das gesagt vorher, sie hat das ignoriert. Ich glaube, dass es eine große Fehleinschätzung des Kanzleramtes gewesen ist, nicht zu wissen oder nicht zu glauben, dass man eine Zweidrittelmehrheit braucht, denn wir gehen an verfassungsmäßig dem Bundestag vorbehaltene Rechte heran, an das Haushaltsrecht. Jetzt müssen sie feststellen, wir haben recht gehabt mit unserer Warnung, und ob wir jetzt zustimmen oder nicht, das hängt davon ab, ob Frau Merkel substanzielle Angebote macht, den Fiskalpakt zu verbessern, denn er hat zwei große Nachteile: Er ist ungeheuer ungerecht, weil die Verursacher der großen Schulden in vielen Staaten Europas - auch in Deutschland der Schulden - nicht mit herangezogen werden. Wir haben ja gigantische Schulden, weil wir die Finanzmärkte mit Steuergelder retten mussten, damit unsere Wirtschaft nicht zusammenbricht, das ist ein großer Teil der Schulden in Europa, und bis heute müssen die keinen Cent zurückzahlen. Ich kann Frau Merkel nur auffordern, endlich in ihrer Regierung für Ordnung zu sorgen, dass die sich nicht gegen die Besteuerung der Finanzmärkte wehren. Ich kann nicht den Arbeitnehmern erklären, dass sie Steuern zahlen müssen, den Kommunen, dass sie Schwimmbäder und Theater schließen müssen, wenn wir nicht die Verursacher derjenigen oder dieser gigantischen Schulden mit zur Kasse bitten. Darum geht es, glaube ich, in jeder Marktwirtschaft. Das passiert bisher gar nicht. Das Zweite ist: Der Fiskalpakt wird nicht wirken, sagen uns alle Wirtschaftsweisen, auch die deutschen, wenn wir keine wirklichen Wachstumsimpulse schaffen, also dass Arbeit und Beschäftigung entsteht.

    Engels: Verstehe ich Sie da recht, dass Sie Nachverhandlungen des Fiskalpakts auf europäischer Ebene verlangen, denn da müsste es ja geschehen?

    Gabriel: Frau Merkel muss sagen, was sie zusätzlich tun will. Beim Thema Finanztransaktionssteuer, Besteuerung der Finanzmärkte, sind ja ganz viele in Europa dafür, nur Frau Merkels Regierung einigt sich nicht. Das heißt, da ist es erst mal eine Aufgabe, dass die Bundesregierung einen Beschluss herbeiführt, dass sie dafür eintreten wird, diese Finanztransaktionssteuer durchzusetzen, und beim Wachstumspakt erwarten wir, dass die Bundesregierung ebenfalls initiativ wird. Wir können erst mal nur unsere Regierung zwingen, auf einen anderen Kurs zu gehen, aber wir können doch nicht zusehen, dass in Griechenland 50 Prozent der jungen Leute dauerarbeitslos sind, in Spanien über 40 Prozent, in Italien annähernd 30 Prozent, in England, in Frankreich über 20 Prozent. Die jungen Leute sollen in Zukunft Europa bauen, und wir schicken sie in die Dauerarbeitslosigkeit. Nichts davon wird im bisherigen Fiskalpakt gemacht und was wir brauchen ist, dass aus diesem Fiskalpakt ein Pakt für Fairness in Europa wird, und zur Fairness gehört, dass die, die den Schaden angerichtet haben, auch mit zahlen müssen.

    Engels: Also Finanztransaktionssteuer verlangen Sie und mehr Wachstumsimpulse. Nehmen wir an, Angela Merkel bewegt sich da nicht, gehen Sie dann tatsächlich so weit, den Fiskalpakt abzulehnen?

    Gabriel: Dann wird es Frau Merkel schwer haben, im Deutschen Bundestag die erforderliche Mehrheit zu bekommen. Wir haben gesagt, wir würden reden darüber, bisher ist ja Frau Merkel nicht mal auf die Opposition zugekommen. Das zeigt ja deren Problem. Wahrscheinlich würde Frau Merkel das ja sogar tun, aber ihre Regierung ist so zerstritten, dass sie ja Schwierigkeiten hat, ihre Regierung zusammenzubehalten. Und jede Bewegung, die sie auf die Opposition zumacht, führt ja dazu, dass bei ihr in der Regierung noch größere Probleme entstehen. Das ist die eigentliche Schwierigkeit. Wir sind gesprächs- und verhandlungsbereit. Ich glaube, wir haben deutlich gezeigt als Sozialdemokraten, dass wir zu Europa stehen und dass wir die letzten sind, die die europäische Einigung gefährden wollen. Aber einfach nach dem Motto friss, Vogel, oder stirb, das können wir schon deshalb nicht machen, weil der Fiskalpakt selber nur zur Hälfte die Probleme erledigt, die wir erledigen müssen. Die andere Hälfte wird nicht angesprochen und wir sehen ja, wie das Wachstum und die Wirtschaft in den Ländern überall zusammenbricht. Am Ende wird es auch uns Deutsche erreichen, deswegen brauchen wir Initiativen für Wachstum und das Geld müssen wir von den Finanzmärkten holen.

    Engels: Sie haben es angesprochen, Herr Gabriel: Bislang hat der überwiegende Teil der SPD-Abgeordneten den Euro-Rettungspaketen immer wieder zugestimmt und das auch mit der europäischen Verpflichtung begründet. Bleibt Ihnen da überhaupt etwas anderes übrig, als am Ende dem Fiskalpakt zuzustimmen, damit Sie schon allein den engen Zeitplan nicht ins Wanken bringen?

    Gabriel: Die entscheidende Frage ist doch: Reicht das, was dort beschlossen worden ist im Fiskalpakt, um Europa wieder auf einen besseren Kurs zu bringen. Und wenn man der Überzeugung ist, dass das nicht reicht, sondern dass dort Dinge hinzutreten müssen, und dass wir auch der Öffentlichkeit nicht mehr erklären können, dass ständig die Steuerzahler zur Kasse gebeten werden, aber die Finanzmärkte, die mit Schuld sind, nichts tun müssen, dann, glaube ich, wird es sehr schwer, die Abgeordneten davon zu überzeugen, dass das der richtige Weg ist, Europa zu retten. Aber noch mal: Wir wollen verhandeln darüber, Frau Merkel muss auf uns zukommen. Wenn sie glaubt, das ist sozusagen im Schnelldurchgang durchzuwinken, dann können wir ihr nur sagen, so wird es nicht laufen.

    Engels: Aber halten wir doch mal fest: Sie können sich grundsätzlich vorstellen, hier auch den Europakurs der Kanzlerin zu unterstützen. Die SPD stimmt ohnehin mit der Union für einen gemeinsamen Bundespräsidenten. Rutscht die SPD langsam de facto in eine Große Koalition?

    Gabriel: Schon der erste Satz von Ihnen stimmt nicht.

    Engels: Na so was!

    Gabriel: Es kann ja fröhlich so bleiben. – Wir haben noch nie den Europakurs der Kanzlerin unterstützt, sondern Frau Merkel hat alle drei Monate Beschlüsse in den Bundestag einbringen müssen, die sie drei Monate zuvor abgelehnt hat.

    Engels: Aber ein Europakurs macht sich auch an Vorhaben fest und sie haben die meistens abgesegnet, wenn es um Hilfspakete ging.

    Gabriel: Sorry! Ich kann ja verstehen, dass es schwierig ist, das nachzuvollziehen, aber die letzten zwei Jahre ist der Verlauf wie folgt: Frau Merkel hat etwas erklärt, was sie garantiert nicht machen wird, einen Rettungsschirm zu Beispiel. Wir haben gesagt, du brauchst einen solchen Rettungsschirm. Ein Viertel Jahr später ist sie gekommen und hat einen Rettungsschirm vorgeschlagen und hat gesagt, der wird aber zeitlich befristet sein. Wir haben ihr gesagt, sei sicher, der wird länger dauern. Ein Viertel Jahr später kam sie und sagt, wir brauchen einen unbefristeten Rettungsschirm. So war es bisher jedes Mal, und deswegen sagen wir auch dieses Mal, du schließt bislang die Finanztransaktionssteuer aus, du schließt Wachstumsinitiativen aus, du musst sie bringen. Und seien Sie sicher: Frau Merkel, es gilt ein merkelsches Gesetz. Alles was sie heute ausschließt, wird sie in einem Vierteljahr machen, und dann können wir auch zustimmen.

    Engels: Gut! Wenn wir es so herumdrehen, dass möglicherweise die Kanzlerin dem SPD-Kurs in Europa zustimmt, beantwortet das nicht die Frage, ob die SPD nun in eine Große Koalition rutscht.

    Gabriel: Nein, ganz sicher nicht, weil wir ja eine Regierung haben, die so viel Angst vor Neuwahlen hat, dass wir überhaupt nicht in die Frage kommen. Wir wollen nach den nächsten regulären Neuwahlen – die werden 2013 sein, so lange wird die FDP so viel Angst haben vor der CDU, dass sie im Zweifel alles macht, bloß damit keine Neuwahlen kommen -, nach diesen Neuwahlen wollen wir eine Mehrheit für SPD und Grüne haben, weil wir diese Regierung ja als eine erkennen, bei der Frau Merkel nur auf Druck reagiert, insbesondere auf internationalen Druck. Wenn sie feststellt, dass sie ihre Positionen, die sie zu Hause eingenommen hat, um Beifall bei den Menschen zu bekommen, international nicht durchsetzen kann, macht sie das Gegenteil. Und sie hat einen Koalitionspartner mit CSU und FDP, die völlig unkalkulierbar sind. Mit denen wollen wir garantiert nicht regieren!

    Engels: Sigmar Gabriel, der Vorsitzende der SPD. Wir sprachen mit ihm über die Ergebnisse des Koalitionsausschusses und über den künftigen Kurs in der Euro-Krise. Vielen Dank für das Gespräch.

    Gabriel: Bitte! Tschüß.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.