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Gabriel (SPD) zur CO2-Steuer
"Verteilungsungerechtigkeit mit dem Klimaschutz verbinden"

Der ehemalige Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hat sich Gedanken zur CO2-Steuer gemacht. Die Steuer müsse wieder an die Bürger ausgezahlt werden, sagte er im Dlf. So könnten Klimaschutz und Umverteilung verbunden werden. Der Staat dürfe an einer solchen Steuer nicht verdienen.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
Sigmar Gabriel spricht auf einer Parteikonferenz und hebt den Zeigefinger.
Der ehemalige Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) will Kapital umverteilen und das Klima schützen. (dpa/Friso Gentsch)
Jürgen Zurheide: Der Klimaschutz ist eines der wichtigen Themen im Europawahlkampf, in der nationalen Politik wird darüber kräftig nachgedacht. Der Streitpunkt ist allerdings die CO2-Steuer, ja oder nein. CDU eher dagegen, bei der FDP weiß man es nicht so ganz genau, aber auch eher dagegen, SPD und Grüne dafür – nur was heißt das eigentlich, CO2-Steuer? Wichtig sind die Details, und darüber lohnt sich nachzudenken. Sigmar Gabriel, er war einmal Umweltminister, hat es getan, hat ein Papier geschrieben, uns liegt es vor, unter anderem darüber wollen wir reden. Guten Morgen, Herr Gabriel!
Sigmar Gabriel: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Gabriel, beginnen wir mal in der Vergangenheit. Sie haben sich noch mal angeschaut, was zwischen 2013 und 2017 bei Wind- und Solarkraft passiert ist. Da hat man ja den Modus geändert, man ist auf eine marktwirtschaftlichere Lösung gekommen, hat ein Ausschreibungsmodell gemacht. Was hat das eigentlich gebracht?
Gabriel: Das hat gebracht, dass es alles deutlich preiswerter geworden ist, weil natürlich, solange wir den Preis staatlich festgesetzt haben – das haben wir am Anfang getan, auch damit wir das gesamte Programm anschieben können, damit die Technik überhaupt an den Markt kommt –, haben sich die Unternehmen immer nach oben an diesen staatlichen Preisen orientiert. Als wir gesagt haben, wir schreiben jetzt die Flächen aus, die für Windenergie oder Solarenergie zur Verfügung stehen, wusste ja keiner so richtig, ob der Wettbewerber nicht ein preiswerteres Angebot macht. Und schon sanken die Preise ganz erheblich.
"Der Knappheit der sauberen Atmosphäre einen Preis geben"
Zurheide: Sie haben in dem Papier, was ich gerade angesprochen habe, da haben Sie jetzt geschrieben, politisch motivierte Eingriffe in den Markt sind in der Regel weit teurer als marktwirtschaftliche Instrumente. Wollen Sie eine Koalition mit Herrn Lindner, der hat das gestern so ähnlich formuliert.
Gabriel: Nur weil es Herr Lindner sagt, muss es nicht falsch sein. Das sind einfach die Erfahrungen. Man muss oft am Anfang eingreifen, und der Staat muss neue Regeln setzen, weil sich sonst eine Technik nicht durchsetzt. Das ist übrigens nicht was Neues für erneuerbare Energien. Gucken Sie, was wir am Anfang in der Flugzeugindustrie gemacht haben oder bei anderen neuen Technologien. Am Anfang bedarf es staatlicher Anschubfinanzierung und manchmal auch Markteingriffe. Nur wenn man das dauerhaft fortführt, dann orientieren sich die Marktteilnehmer, also die Unternehmen, natürlich immer daran, oh, ist ja wunderbar, der Staat gibt uns hier die Chance, uns auf diese Preise hin zu optimieren, warum sollen die sich dann anstrengen. Das war meine Erfahrung jedenfalls in der Zeit. Und wir sehen ja, heute ist Windenergie die weitaus preiswerteste Form der Energieerzeugung, die ist pro Kilowattstunde inzwischen weit preiswerter als andere.
Auch selbst da, wo es am Anfang sehr teuer war – auf See, Offshore-Windenergie –, sind die Preise drastisch gefallen, das hat was mit diesen Mechanismen zu tun. Ich hab mich ehrlich gesagt sehr gewundert, nachdem wir den Emissionshandel – das ist ein marktwirtschaftliches Instrument, da wird der Verschmutzung der Umwelt, des Klimas ein Preis gegeben. Das ist so ein bisschen wie früher mit der Abfallgebühr: Wenn die Abfalldeponien voll waren, stiegen die Müllgebühren, und die Atmosphäre ist als Mülldeponie benutzt worden für Treibhausgase. Und die ist halt jetzt voll, also müssen die Gebühren steigen. Dann überlegen sich nämlich Verbraucher und Unternehmen, ob sie nicht vielleicht doch besser auf Energien, auf Waren zurückgreifen, die keinen Müll produzieren, um deshalb die Müllgebühren zu sparen. Das ist sozusagen bei unseren ganz klassischen Abfällen passiert, und genau das passiert auch in Europa mit CO2.
Ich hab mich gewundert, warum wir in Deutschland dann trotzdem noch mal – und das sehr teuer – staatlich in die Kohle eingegriffen haben, weil dadurch in Europa fast nichts zusätzlich eingespart wird, weil der Emissionshandel eben viel besser geworden ist. Früher gab es zu viele Emissionsrechte sozusagen, die Abfallgebühr war zu niedrig, die ist aber drastisch gestiegen, von 4 Euro pro Tonne CO2 auf inzwischen über 25 Euro. Und deswegen rate ich, jedenfalls aus der Erfahrung der Vergangenheit, einfach Knappheitsgrade – das ist ja Marktwirtschaft, Preise sind Anzeichen für Knappheit, – die Knappheit der Umwelt, der sauberen Umwelt, die Knappheit der sauberen Atmosphäre, dem einen Preis zu geben, damit Verbraucher und Unternehmen sich entscheiden können dafür, ob sie eine hohe Abfallgebühr zahlen wollen oder ob sie lieber auf diese Form von Energie verzichten und zu einer anderen Energieform gehen, bei der sie die Abfallgebühr einsparen.
"Wir zahlen das, was die Steuer bringt, an alle Bürger wieder aus"
Zurheide: Nur wissen wir auch, wenn wir da noch eine weitere Steuer einführen, eine CO2-Steuer, belastet das die Menschen, und dann haben wir Verteilungswirkung, und das kann sich eben nicht jeder leisten – kann man gerade nachschlagen bei Herrn Macron. Wie wollen Sie das verhindern?
Gabriel: Das stimmt, das ist oftmals auch der Fehler der Umweltpolitik, dass sie vergisst, dass es Einkommensungleichheiten gibt. Wenn Sie jetzt mal zum Beispiel schauen, die Demonstrationen Fridays for Future, das sind im Wesentlichen natürlich eher Gymnasiasten, die da demonstrieren. Das heißt nicht, dass da keine Haupt- und Realschüler und Berufsschüler zu finden sind, aber die gehen eher nicht hin. Das ist ein Thema, das ihnen vielleicht noch fern ist. Außerdem gehören sie ja Haushalten an, die manchmal Sorge haben, dass wenn das alles teurer wird, sie schlicht und ergreifend mehr zahlen. Und das ist in Frankreich passiert. Macron hat eine CO2-Steuer – übrigens gar nicht so hoch – eingeführt, und das löste die Proteste aus, weil die Menschen oftmals die Nase voll davon haben, dass der Staat jeden Tag eine neue Steuer erfindet.
Und jetzt ist die Idee, zu sagen, lasst es uns doch einfach wie folgt machen: Wir zahlen das, was die Steuer an Einnahmen bringt, an alle Bürger wieder aus, und zwar pro Kopf der gleiche Betrag. Das hätte sogar eine Umverteilungswirkung, weil Menschen mit hohem Einkommen fahren in der Regel größere Autos, bewohnen größere Häuser und werden deshalb vermutlich für ihre Energie mehr CO2-Steuer zahlen müssen als Menschen mit einem niedrigeren Einkommen. Gleichzeitig würden wir dann aber den gleichen Betrag umverteilen, sodass es Rechnungen gibt, bei denen Menschen mit niedrigem Einkommen daran sogar was verdienen oder Familien gut wegkommen, weil pro Kopf der gleiche Betrag ausgezahlt wird, also auch für Kinder. Das, finde ich, ist eine Idee, die ist in der Schweiz, aber auch in Teilen der USA entstanden, die uns helfen könnte, die Verteilungsungerechtigkeit mit dem Klimaschutz zu verbinden. Wir würden sozusagen umverteilen von großen Klimasündern, die viel bezahlen müssen, zu kleinen, die würden dabei sogar partizipieren und profitieren und hätten einen Anreiz, dabei mitzumachen, und würden die Steuer nicht als Bestrafung ansehen.
Das Problem mit "dem unsanierten Pendler"
Zurheide: Jetzt will ich ein bisschen Wasser in den Wein gießen: Das geht vielleicht, solange die Beträge eher überschaubar bleiben, aber wenn wir nicht mehr bei 20 Euro pro Tonne CO2 sind, sondern bei 180, 200 – und da muss es hinkommen, weil es den realen Kosten entspricht –, dann sind es natürlich wieder 1800 Euro mindestens für einen Drei-Personen-Haushalt oder auch mehr, da gibt es andere Rechnungen. Irgendwann wird es mal schwierig. Und der zweite Punkt, ich will’s noch schwieriger machen: Für die Familien, die nicht in der Stadt wohnen, die etwas außerhalb wohnen, das Auto brauchen und nicht mit dem Bus fahren können, da haben wir dann doch wieder auch Ungleichheiten. Halten Sie so was aus?
Gabriel: Erstens treffen Sie den tatsächlich schwierigen Punkt. Es gibt eine Gruppe – das hat jetzt gar nichts mit der Höhe der CO2-Abgaben zu tun, sondern das ist so ein Segment innerhalb unserer Bevölkerung –, man kann die auch den unsanierten Pendler nennen, also Menschen, die in einer Wohnung leben, die nicht energetisch saniert ist, und dieses Auto brauchen, weil sie die Kinder zur Schule fahren müssen oder selber zur Arbeit fahren müssen, weil sie eben auf dem Lande wohnen.
Gabriel: CO2-Steuer darf nicht zum Geschäft für den Staat werden
Zurheide: Klammer auf, das sind die, die in Frankreich angefangen haben mit den Demonstrationen, und die haben ein berechtigtes Interesse. Punkt.
Gabriel: Das finde ich auch. Und da gibt es eine Gruppe, die ist nicht so klein, wie viele glauben, die jedenfalls selbst bei einer Umverteilung der Beträge am Ende draufzahlen müssten. Sie haben diesen Drei-Personen-Haushalt genannt, da guckt man sich meistens an bei solchen Beispielrechnungen, auf wie viel Quadratmeter wohnen die, selbst wenn das eine kleine Wohnung ist mit 80 Quadratmetern, die nicht gut saniert ist, und die Menschen eben eine Fahrleistung von, glaube ich, 70.000 Kilometer im Jahr haben, mit ihrem Auto, durch die vielen Dinge, die sie machen müssen, dann besteht die Gefahr, dass die über 1500 Euro im Jahr draufzahlen. Und deswegen darf der Staat nicht eines tun: Er darf nicht die CO2-Steuer einführen und dann nichts mehr machen, sondern er wird für diese Gruppen in der Bevölkerung auch ein Angebot schaffen müssen. Er muss denen die Wohnungen sanieren, er muss mehr Wohnungen bauen, er muss mehr Umstiegsprämien zahlen auf verbrauchsärmere, schadstofffreie Autos.
Die Gefahr der Einführung der CO2-Steuer ist, dass die Finanzminister und die Politik sagen, ist doch wunderbar, jetzt haben wir die Steuer, jetzt machen wir gar nichts mehr. Die größte Gefahr ist sogar, dass die auf die Idee kommen, diese Steuern nur zum Teil an die Menschen zurückzuzahlen, um daraus noch ein Geschäft zu machen. Das alles darf man nicht tun, dann treibt man die Menschen eher in die Arme der Klimagegner. Und deswegen wird es trotz einer solchen CO2-Steuer massive staatliche Investitionen in die Wohnungserneuerung, in die energetische Gebäudesanierung und auch Umstiegsprämien auf verbrauchsärmere Autos geben müssen, sonst wird aus der Sache für einen Teil der Bevölkerung nichts anderes als eine Steuererhöhung. Ich würde übrigens sogar dazu raten, das Geld am Anfang des Jahres den Menschen auszuzahlen, weil meine Erfahrung in der Politik ist, uns glaubt kein Mensch mehr, wenn wir sagen, du, wir führen eine Steuer ein, aber mach dir keine Sorge, am Ende des Jahres kriegst du das Geld zurück.
Zurheide: Sie waren lange genug dabei oder sind immer noch dabei.
Gabriel: Ich glaube einfach, dass die Menschen das nicht glauben, sondern der ultimative Beweis wäre, es kommt der 1. Januar und sie bekommen das Geld vorab pro Kopf. Und dann wird sozusagen der Staat es über die CO2-Steuer wieder einnehmen. Das wäre der Beweis, dass wir es ernst meinen mit der Umverteilung.
Zurheide: Zum Schluss kurz eine andere Frage: Brauchen wir eigentlich noch Erdgas, genau genommen, brauchen wir Nord Stream 2, da wird ja mächtig auch diskutiert. Wie sehen Sie das, gibt es da Veränderungen im Moment oder nicht?
Gabriel: Na ja, der Erdgasbedarf wird in den nächsten Jahren erst mal steigen, weil die erneuerbaren Energien sozusagen so einen Back-Bone brauchen, eine Rückversicherung, und außerdem nehmen die Quellen aus den Niederlanden und Norwegen ab. Ich finde das ein ziemlich abenteuerliche Debatte über Nord Stream. Wir tun so, als ob die Russen keine zuverlässigen Partner wären – die haben selbst in Zeiten des Kalten Krieges geliefert. Im Übrigen sind sie weit mehr abhängig davon, dass wir ihr Erdgas kaufen, als dass wir von ihnen abhängig sind. Es sind 30 Prozent, die wir ungefähr von denen bekommen. Klug ist es allerdings, in die Infrastruktur des Gasnetzes zu investieren, damit, falls es wirklich mal an einer Stelle ein Problem gibt, an anderer Stelle was eingespeist werden kann. Deswegen, was da derzeit passiert, hat wenig mit Energie-, wenig mit Marktwirtschaft zu tun und viel mit Politik. Und das ist ja interessant, dass die Amerikaner erst in der Sekunde angefangen haben, die Russen als Erdgaslieferanten zu bekämpfen, als sie bei sich so viel Gas hatten, dass sie es exportieren. Früher haben die Amerikaner darüber kein Wort verloren, weil es verboten war, Erdgas aus den USA ins Ausland zu bringen. Jetzt wollen sie die Russen verdrängen und eigenes Gas verkaufen. Dagegen ist im Prinzip nichts zu sagen, aber das muss man am Markt und am Preis entscheiden und nicht durch politischen Druck.
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