Handlich, übersichtlich und anklagend - das ist der erste Eindruck, den das Buch hinterlässt. Die Schelte richtet sich aber nicht in erster Linie gegen die Steuerhinterzieher. Ganz vorne auf der Anklagebank sitzen die Banken in den Steueroasen, gefolgt von den Finanzplätzen selbst, schließlich die von Betrug betroffenen aber nicht handelnden Staaten. Hier schreibt ein junger, ambitionierter Mensch - Zucman ist Jahrgang 1986 - der davon überzeugt ist, dass man das System der Steuerhinterziehung aushebeln kann.
"Dieses Buch legt offen die konkreten Wege dar, auf denen die Steuerflucht großer Vermögen und multinationaler Konzerne erfolgt. Es berechnet die Kosten dieser Steuerflucht für die Staaten - also für uns alle - und schlägt vor allem Mittel vor, ihr ein Ende zu setzen."
Gabriel Zucman gehört ebenso wie Thomas Piketty, bei dem er promovierte, sozusagen zu den jungen Wilden unter den französischen Ökonomen. Ihre Themen sind Soziale Ungleichheit und Kapitalströme. Zucmans Buch überzeugt zunächst vor allem durch seinen klaren Sprachstil. Zwar verschont der Ökonom den Leser nicht mit Fachbegriffen und Zahlen, die internationalen Verflechtungen auf dem Finanzsektor stellt er jedoch verblüffend verständlich und geordnet dar, allerdings nie unideologisch. Für den Autor sind die Steueroasen der „Kern der europäischen Krise". Sie verwalteten das Schwarzgeld, das den Staaten dringend fehle:
"Weltweit sind acht Prozent der privaten Finanzvermögen in Steueroasen angelegt - ein historischer Rekord. In der Europäischen Union ist der Anteil mit annähernd zwölf Prozent noch höher. (...) Ohne die massive Steuerflucht, die das Bankgeheimnis möglich macht, läge die Staatsverschuldung Frankreichs nicht bei den heutigen 94 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), sondern nur bei 70 Prozent, wie es vor der Finanzkrise der Fall war."
Die vielen Zahlen sind unvermeidlich
Unvermeidlich sind die vielen Zahlen, mit denen Zucman hantiert. Er veranschaulicht sie in Graphiken und wiederholt sie in verschiedenen Kapiteln, so dass seine Berechnungen weniger abstrakt wirken. Deren Grundlagen erläutert er eigens auf seiner Website, wahrscheinlich um sich nicht wie jüngst Piketty die Kritik einzuhandeln, mit falschen Angaben zu hantieren. Ausführlich widmet sich der Wissenschaftler dem Bankgeheimnis. Er erläutert dessen Erfolgsgeschichte in der und für die Schweiz. Die eidgenössischen Banken stehen im Zentrum seiner Kritik, denn von hier aus hätten sich die Verschleierungsmechanismen weltweit verbreitet. Nachdem der Wirtschaftswissenschaftler die Geschichte der Steueroasen und ihre Mechanismen erläutert hat, rechnet er dem Leser die entstandenen Schäden für die einzelnen Staaten vor, insbesondere die der EU. Er schlüsselt die Beträge auf - in hinterzogene Einkommensteuer, Erbschaftsteuer, Vermögensteuer. Natürlich sind das Schätzungen, Zucman wird nicht müde, das immer wieder einzuräumen. Für ihn ist es jedoch unerlässlich, möglichst genaue Summen zu ermitteln, um Sanktionen aufzustellen. Denn darum dreht sich der zweite Teil seines Buches. Die bisherigen Gegenmaßnahmen und Abkommen einzelner Staaten sowie der EU, der USA oder der OECD nennt der Ökonom wirkungslos. Auch der hierzulande gelobten Selbstanzeige spricht Zucman den Erfolg ab. Über FATCA, das US-Gesetz, das einen automatischen Datenaustausch zwischen ausländischen Banken und der Bundessteuerbehörde vorschreibt, bemerkt er:
"Die amerikanische Politik ist zwar ambitioniert, scheitert aber ebenfalls am Fehlen von Zwang und Kontrolle."
Zwang und Kontrolle gehören zu dem dreiteiligen Aktionsplan, den Zucman vorschlägt. Sein Ziel ist es, alle Staaten zu einem Informationsaustausch zu zwingen. Als erstes fordert der Autor Handelssanktionen gegen die Steueroasen - in einer Höhe, die den entstandenen Schaden wieder ausgleicht. Hierzu sollten Staaten Koalitionen bilden, meint Zucman:
"Nehmen wir als Beispiel die Schweiz. 35 Prozent ihrer Exporte gehen nach Deutschland, Frankreich und Italien (...) Definitionsgemäß ist aus Sicht der WTO nur ein Zoll gerechtfertigt, mit dem sich die durch das Bankgeheimnis verursachten Kosten ausgleichen lassen. Nach dieser Logik und meinen Berechnungen haben Deutschland, Frankreich und Italien das Recht, auf die aus der Schweiz eingeführten Waren einen Zoll von 30 Prozent zu erheben."
Drohkulisse, Finanzkataster und globale Kapitalsteuer
Angesichts dieser Drohkulisse, so kalkuliert Zucman, könne man alle Staaten dazu bringen zu kooperieren, sprich die Bankdaten preiszugeben. Als zweiten Schritt braucht es nach Zucmans Ansicht ein weltweites Wertpapierregister: Ein Finanzkataster, das zeigt, wem die zirkulierenden Aktien, Anleihen und Fondsanteile tatsächlich gehören. Nur so könne man überprüfen, ob die Banken ihrer Meldepflicht auch nachkämen. Als Drittes sollten eine weltweite Kapitalsteuer und eine modernisierte Körperschaftsteuer folgen:
"Im 21. Jahrhundert gilt es, die Gewinne multinationaler Konzerne auf globaler Ebene zu besteuern und nicht Land für Land, wie es gegenwärtig der Fall ist, da Heerscharen von Wirtschaftsprüfern die länderweise erwirtschafteten Gewinne manipulieren. Die neue Besteuerung brächte weltweit 30 Prozent mehr Steuereinnahmen als die bisherige."
Gabriel Zucman hat nicht nur ein leicht verständliches Handbuch über das komplizierte System der Steueroasen geschrieben. Er liefert auch handfeste Vorschläge der Gegenwehr, zum Teil allerdings recht radikale. So will er Luxemburg gar mit einem Ausschluss aus der EU drohen. An einigen Stellen schießt er schlicht übers Ziel hinaus und präsentiert seine Anstöße mit Schaum vor dem Mund. Er will Gerechtigkeit, das ist verständlich und redlich, aber für seine Argumentation nicht immer hilfreich. - Manchmal fühlt man sich an Peer Steinbrück erinnert, der sich in seiner Zeit als Bundesfinanzminister ebenfalls sehr über die Machenschaften der Schweiz ereifert hat. Nichtsdestotrotz könnten Zucmans Ideen und seine Berechnung der Schäden die schleppende internationale Auseinandersetzung mit dem Thema Steuerhinterziehung voran bringen.
Gabriel Zucman: "Steueroasen. Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird".
Aus dem Französischen von Ulrike Bischoff.
Suhrkamp Verlag, 118 Seiten, 14 Euro.
Aus dem Französischen von Ulrike Bischoff.
Suhrkamp Verlag, 118 Seiten, 14 Euro.