In den drei bislang ins Deutsche übersetzten Romanen von Gaito Gasdanow gibt es eine bemerkenswerte Konstante – den jungen Ich-Erzähler, unverkennbar das Alter ego des 1903 in St. Petersburg geborenen Schriftstellers, der wie so viele seiner Altergenossen nach der Oktoberrevolution im französischen Exil landete. Der Autor geht liebevoll, man könnte sogar sagen selbstverliebt, mit seinem literarischen Double um: Diese russischen Männer in ihren Zwanzigern sind schlank und sportlich, gewandt und gebildet, sie tragen das verlorene Russland im Herzen und sie leiden, so gesund und munter sie nach außen auch wirken mögen, alle drei an einer mehr oder minder schwierigen seelischen Grundverfassung.
Im "Phantom des Alexander Wolf" hat die Erinnerung an einen im russischen Bürgerkrieg vermeintlich begangenen Mord den Helden fest im Griff; der Held des "Abends bei Claire" kann Traum und Wirklichkeit nicht auseinanderhalten, er empfindet eine Art verzögerter seelischer Reaktion und scheint irgendwie nicht für die Gemeinschaft mit anderen Menschen geschaffen.
Ich-Erzähler bescheinigt sich selbst eine "eigenartige Geisteskrankheit"
Der Ich-Erzähler im dritten deutschen Gasdanow, in der "Rückkehr des Buddha", studiert an einer Pariser Universität, erbringt die geforderte Leistung mit links und ist körperlich fit, aber er wird von Wahnvorstellungen heimgesucht und bescheinigt sich selbst eine "eigenartige Geisteskrankheit". Löste im "Phantom des Alexander Wolf" der zu Beginn des Romans rekapitulierte Mord, der dann doch keiner war, das psychische Leiden des Helden aus, ist es hier der eingangs erzählte Traum vom eigenen Tod durch einen tragischen Unfall im Gebirge: Der Träumende verliert den Boden unter den Füßen, schwebt minutenlang über dem Abgrund, an den "dürren Zweig eines toten Baumes" geklammert, der schließlich bricht. Nach dieser "Erinnerung an den Tod" ist das Leben des jungen Mannes nicht mehr dasselbe. Immerzu findet sich er, obwohl hellwach und nüchtern, in einem Chaos aus Bildern und Geräuschen wieder, dessen Ingredienzien aus einem psychedelischen Horrortrip stammen könnten.
Diese beklemmenden Sequenzen seines Romans montiert der Autor nach geradezu filmischen Gesetzen – wie man seinem Schreiben überhaupt, nach den drei bislang auf Deutsch erschienen Romanen zu urteilen, eine Affinität zu diesem Medium attestieren kann. Wie "Das Phantom des Alexander Wolf" bietet sich auch "Die Rückkehr des Buddha" für eine Verfilmung geradezu an.
Gasdanows Helden sind traumatisiert. Ihr Trauma ist das Exil, der Verlust der Heimat, des festen Bodens unter den Füßen, wie es im Traum vom Absturz im Gebirge deutlich wird. Ihre Tagträume, in denen Raum und Zeit aufgehoben sind, erlauben ihnen und ihrem Autor die Erinnerung an Russland – besonders im "Abend bei Claire" hat Gasdanow diese Möglichkeit genutzt.
In der "Rückkehr des Buddha" bezeichnet der Ich-Erzähler seine Existenz auf fast jeder Seite als "phantomhaft". Der Begriff taucht hier übrigens weit häufiger auf im "Phantom des Alexander Wolf". Immer wieder entzieht der Autor seinem Helden die Bodenhaftung in der Realität, aber nicht um das alte Russland zu beschwören, sondern um den stalinistischen Terror, das totalitäre Sowjetregime ins Visier zu nehmen. Trat uns Gaito Gasdanow in den beiden vorangehenden Romanen eher als an seelischen Verstrickungen und den Winkelzügen des Zufalls interessierter Autor entgegen, so lesen wir ihn hier erstmals als dezidiert politischen Zeitgenossen.
Gekleidet im bewährten Gewand des Psychothrillers
Es sind kafkaeske Albträume, in die Gasdanow seinen russischen Studenten schickt. So landet der Held nach einem Kampf mit einem Unbekannten in einer finsteren Pariser Gasse und einem schweren Schlag auf den Kopf im Untersuchungsgefängnis eines sogenannten "Zentralstaates", in dem unschwer die Sowjetunion zu erkennen ist. Die Porträts des Mannes "in einem Mittelding zwischen Sakko und Uniformrock, behängt mit Orden, Ankern und Sternen" an den Wänden auf dem Weg zum Verhör sind ebenso eindeutig zuzuordnen wie die Verhörmethoden selbst.
Der Häftling wird von vornherein des Hochverrats für schuldig befunden, weil er die Unfehlbarkeit des Untersuchungsführers bezweifelt. Dessen leere Pathetik, die Zirkelschlüsse, das Arsenal der standardisierten Beschimpfungen und Drohungen – all das deckt sich mit den Berichten der Opfer stalinistischer Willkür. Auch Gasdanow in wird davon Kenntnis gehabt haben – den rechthaberischen Duktus, den geschwollenen Stil konnte er im Übrigen tagtäglich der "Prawda" entnehmen. Man darf vermuten, dass der Schriftsteller drei Jahre nach dem Erscheinen dieses Romans nicht nur aus finanziellen Gründen eine feste Stelle bei "Radio Liberty" in München antrat.
Meisterhaft gelingen Gasdanow in der "Rückkehr des Buddha" die Übergänge zwischen der Pariser Realität und den Traumerlebnissen, meisterhaft führt er seinen Helden immer wieder zurück in die Wirklichkeit. Wollte man als Leser genau den Punkt fixieren, an dem die Phantasie abhebt oder wieder landet – man würde sich schwertun, so subtil ist das gemacht!
Gekleidet hat der Autor seine politische Stellungnahme in das bewährte Gewand des Psychothrillers, wobei, wie die Übersetzerin Rosemarie Tietze in ihrem schönen Nachwort launig anmerkt, hier "mehr Psycho als Thriller" zu finden ist. Dient die "Psycho"-Komponente der Kritik an den stalinistischen Zuständen, so wartet die "Thriller"-Ebene weniger mit der üblichen Krimi-Frage nach dem Mörder auf, sondern mit einer Kette wundersamer Begebenheiten, in deren Verlauf der junge Ich-Erzähler des Mordes verdächtigt wird und nur durch das Wiederauftauchen einer aus dem Arbeitszimmer des Opfers verschwundenen Buddhafigur entlastet werden kann. Wie der Zufall hier spielt, soll nicht verraten werden. Nur soviel sei gesagt: Es ist spannend – und am Ende fährt der Held auf einem Ozeanriesen seinem Glück in Australien entgegen.
Gaito Gasdanow: "Die Rückkehr des Buddha"
Carl Hanser, München 2016, 220 Seiten, 19,90 Euro
Carl Hanser, München 2016, 220 Seiten, 19,90 Euro