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Galaktische Geisterfahrer

Astronomie. - Weil sich das Weltall in alle Richtungen ausdehnt, entfernen sich Galaxienhaufen wie Rosinen in einem aufgehenden Kuchen immer weiter voneinander. Doch nun haben Wissenschaftler eine Ansammlung von Galaxienhaufen entdeckt, die der Expansion des Kosmos trotzen und sich eigensinnig in eine andere Richtung zu bewegen.

Von Guido Meyer | 03.02.2010
    "Es gibt eigentlich keinen physikalischen Effekt, der das erklären könnte."

    Wenn Wissenschaftler sich so äußern, dann stehen sie meist vor einem großen Rätsel.

    "Was zieht Galaxienhaufen, was also die größten Massekonzentrationen im Universum sind, alles in die gleiche Richtung, über solche enormen Entfernungen hin?"

    Harald Ebeling guckt am Institut für Astronomie der Universität von Hawaii von Honolulu aus hinaus ins All - und entdeckt dort Merkwürdiges.

    "Was also kann so eine Strömungsbewegung hervorrufen, über solche enormen Entfernungen?"

    Fragen über Fragen, aufgeworfen von 1400 Galaxienhaufen, die sich in einer Entfernung von rund drei Milliarden Lichtjahren von der Erde eine Sonderrolle im All herausnehmen. Sie rasen zwischen den Sternbildern Zentaur und Vela mit etwa drei Millionen Stundenkilometern in die falsche Richtung - in eine Gegend nämlich, aus der sie eigentlich fliehen sollten, da die Expansion des Weltraums diesen immer weiter auseinander treibt.

    "So ein Galaxienhaufen, der hat eine Masse von zehn hoch fünfzehn Sonnenmassen. Das ist eine Eins mit 15 Nullen hintendran. Das ist ein ziemlicher Haufen Masse. Um so etwas zu beschleunigen über große Entfernungen, braucht man ungeheure Massekonzentrationen. Das widerspricht dem kosmologischen Prinzip, dass Masse auf großen Skalen ungefähr gleichmäßig verteilt ist. So eine enorme Konzentration kann man theoretisch nicht erklären."

    Und da alles, was für Astronomen im Dunklen liegt, auch so heißt - so wie Dunkle Energie und Dunkle Materie -, hat diese Bewegung einen entsprechenden Namen bekommen: die Dunkle Strömung, wie Alexander Kashlinsky vom Goddard Space Flight Center der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa im US-Bundesstaat Maryland erläutert.

    "Wir haben dieses Phänomen 'Dunkle Strömung' genannt, weil die vorhandene, von uns beobachtete Massenverteilung im All diese Bewegung nicht erklären kann. Sie vollzieht sich entgegen der Ausdehnungsrichtung des Weltraums."

    Also müsse die Ursache für die treibende Kraft der galaktischen Geisterfahrer außerhalb des von uns beobachtbaren Weltraums liegen, folgern die Wissenschaftler. Und das heißt: mindestens 45 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt, jenseits des Ereignishorizonts, den wir von der Erde aus einsehen können, jenseits einer Entfernung also, aus der das Licht seit dem Urknall Zeit hatte, uns zu erreichen.

    "Das Ganze muss also so weit weg sein, dass wir es nicht mehr sehen könnten. Und das katapultiert das Ganze aber in einen Bereich im frühen Universum, der uns also überhaupt nicht zugängig ist. Und da würden wir also tatsächlich solche Ungleichheiten finden, die diese Strömungsbewegung hervorrufen."

    Wenn es keine Ansammlung von Masse ist, da diese nach allen bisherigen Annahmen auf der kosmologischen Skala gleichmäßig verteilt ist, dann müssten es eben "Ungleichheiten" im Raum selbst sein, die diese mehr als tausend Galaxienhaufen auf ihre eigensinnige Bahn zwingen, so das Astronomenteam.

    "Da wäre eine wahrscheinlichere Erklärung, dass einfach die Raumzeit ein bisschen geneigt ist. Man könnte sich das so vorstellen, dass die Strömungsbewegung nicht dadurch hervorgerufen wird, dass man an irgendeiner lokalen Stelle eine enorme Massenkonzentration hat, sondern dass im Wesentlichen alle Masse so auf einer schiefen Ebene rutscht. Das heißt, es gibt keine großen Unebenheiten oder Ungleichmäßigkeiten, sondern es ist ein gleichmäßiger Gradient in der Raumzeit, der das Ganze hervorruft."

    Dass wir den Kosmos als gleichförmig empfinden, wäre demnach eine Illusion, weil wir in unserem beobachtbaren Universum in einer Art Blase leben, die homogen ist. Der Raum außerhalb des Ereignishorizontes wäre von der Expansion des Alls noch nicht ausreichend auseinandergezogen, gestreckt und geglättet worden.

    "Sehr früh in der Geschichte des Universums war die Raum-Zeit inhomogen. Sie enthielt jedoch eine oder mehrere kleine, homogene Blasen. Mit der Ausdehnung des Alls expandierte auch dieser Blasen bis zu einer Größe, die heute den gesamten, von uns einsehbaren Teil des Kosmos' umfasst. Wenn wir aber weiter hinausgehen und diese Blase verlassen könnten, sähen wir Unregelmäßigkeiten in der Raum-Zeit, die für diese Dunkle Strömung verantwortlich wären."

    So wie sich Planeten deswegen um die Sonne bewegen, weil diese den Raum krümmt, würden die Galaxienhaufen am Rande des Alls also einfach nur den "Verwerfungen" des Raumes dort draußen folgen. Bislang freilich ist all das nur eine gewagte Theorie, von der völlig unklar ist, wie sie sich je bestätigen ließe. Sollte sie dennoch korrekt sein, käme das freilich einer Revolution unseres Weltbildes gleich.