Geneigt in die Positur, die er später einmal einnehmen wird, steht der mannsgroße Zeus-Sohn, von einer Kette am Deckenbalken gesichert, da. Claus Hartmann, sein Schöpfer, erklärt:
"Hier haben wir Merkur, den Götterboten Merkur oder Hermes. Kriegt einen schönen Body, schön muskulös. Das wird also ein durchaus moderner Kerl werden, der dann das Schiff ziert."
Ein Götterbote in der Werkstatt von Birgit und Claus Hartmann auf Harriersand, einer von Weser und Nebenarm umspülten, langgestreckten Flussinsel bei Bremen. Doch bis zur Zweckbestimmung als Galionsfigur am Bug des russischen Segelschulschiffs "Mir" stehen noch zahlreiche kosmetische Eingriffe auf dem Operationsplan. Denn der Eichenstamm, aus dem der göttliche Körper erwachsen soll, ist erst grob von der Kettensäge modelliert. Hartmann hat noch einiges vor:
"Der wiegt jetzt 500 Kilo, der wird noch ein bisschen abspecken", meint der Schnitzer und holt zwischen dicken Balken und zahlreichen Holzskulpturen in unterschiedlichen Bearbeitungsstadien ein Modell im Maßstab 1:20 hervor: Merkur mit ausgestrecktem Arm, die Erdkugel in der Hand.
Vor 25 Jahren studierte der Mittfünfziger Medizin an einer Privatuni, mehr auf Wunsch der Eltern als aus eigener Orientierung. Die Studiengebühren waren hoch, das Geld knapp. Da erinnerte er sich an die Familientradition. Bis zu seinem Großvater seien alle Seeleute gewesen, die von ihren Fahrten Galionsfiguren von gestrandeten Schiffen mitbrachten, erinnert sich der verhinderte Mediziner. Ein Teil seiner Kindheit sei das gewesen:
"Das hat mich, glaube ich, schon immer in Richtung Galionsfigur geschoben. Die fand ich als Kind schon mal faszinierend, mal gruselig."
Erstes Gesellenstück brachte 10.000 Mark
Hinzu kam die künstlerische Ader. Schon als Junge habe er geschnitzt, erzählt Hartmann: "Flitzebogen, kleine Figürchen, wie Michel aus Lönneberga."
Eine Idee war geboren und von viel Selbstbewusstsein flankiert, berichtet Claus Hartmann. Es sei "kein Thema, so eine Zwei-Meter-Figur zu machen." Gebraucht werde "nur ein Baumstamm, eine gute Motorsäge, ein paar Winkelschleifer, Schnitzmesser." Und Hartmann bestätigt sich selber: "Alles klar, ne?"
Alles klar! Das Studium wurde abgeschlossen, Plan B 1994 umgesetzt. In Elsfleth, seiner Heimatstadt an der Weser, lag der Dreimastschoner Großherzogin Elisabeth. Claus Hartmann machte Entwürfe und zog los: "Hier, ich bin Schiffsbildhauer und Galionsfigurenschnitzer", hieß es bündig. "Und so hab ich ganz schnell den Auftrag gekriegt."
Claus Hartmann richtete seine Werkstatt im Pferdestall des elterlichen Sommerhauses ein. Eine Backsteinkate , unmittelbar an der Weser gelegen mit eigenem Sandstrand und eigenem Deich zum Schutz gegen Springfluten. Und dann gab es Learning by doing. Das Gesellenstück gelang. 10.000 Mark brachte die hölzerne Dame ein. Der zweite Auftrag folgte umgehend, denn in Elsfleth wurde zeitgleich der Luxussegler Lili Marleen für die damalige Reederei Deilmann gebaut. Hartmann blickt zurück:
"Im Kielwasser dieser Projekte bin ich dann immer bekannter geworden, und dann kam Auftrag auf Auftrag auf Auftrag."
Klinken putzen gehört zum Geschäft
Mittlerweile sind im Atelier der Hartmanns fast 40 Galionsfiguren gefertigt worden - quasi die Fingerabdrücke der weltweit größten Windjammer wie dem Schulschiff Deutschland, Gorch Fock, die russische Sedov, Fridtjof Nansen, Alexander von Humboldt II, Star Clipper und auch die Royal Clipper, mit 133 Metern der größte Segler der Welt.
Viel Klinken putzen gehört dennoch zum Geschäft, sagt der Mittfünfziger, viel Recherche und immer auf den Sails präsent sein. Über Preise für Nixe, Klabautermann und Co., von denen zwei bis drei jährlich die Werkstatt verlassen, will er nicht sprechen. Nur eine Hausnummer ist ihm zu entlocken: irgendwo im mittleren fünfstelligen Bereich.
Merkur geht es gerade an den Pelz. Mit Hammer und Stechbeitel wird das zwischen den Schnittkanälen befindliche Holz herausgeschlagen. Später dann kommt der Winkelschleifer fürs Glätten und Falteneinbringen zum Einsatz. Den Feinschliff besorgen kleinere Werkzeuge, kleine Fräsen. "Wir versuchen, diese Tradition auch ins 21. Jahrhundert zu ziehen", erklärt Hartmann.
Der Bau großer Yachten von über 50, sogar 100 Metern sei stark im Aufwind. Besonders häufig würden Mega-Yachten heutzutage von russischen Oligarchen in Auftrag gegeben. Viele Designer planten bereits eine Galionsfigur ein. Und das nicht nur bei Seglern, sondern auch bei Motoryachten. Das sei ein besonderes Geschäft, erklärt Hartmann, da gehe es nicht mehr nur ums Holz:
"Das sind dann nicht diese drallen Deerns, diese klassische Galionsfigur, die man jetzt aus dem 19. Jahrhundert kennt. Es sind dann Skulpturen. Statt Holz Stahl, also Edelstahl, Bronze."
Da kann eine Figur auch mal mit einer Million Euro zu Buche schlagen. Selten sind die Kosten aber ein Hindernis, weiß Hartmann über seine besondere Kundschaft:
"Es geht um Meter. Wenn sie mit einer Figur noch mal zwei Meter länger werden können als ihr Nachbarmilliardär, da ist das schon wieder ein anderer Schnack."
Die Fertigung von Stahl- und Guss-Figuren wird in Auftrag gegeben. Die Hartmanns liefern dazu die Entwürfe.
Gerne würden die beiden von der Weserinsel auch die gewerbliche Schifffahrt als Kunden haben. Die ersten Fischtrawler ziert bereits eine Galionsfigur, aber bei Containerschiffen sind die Reeder noch zögerlich. Und sein Lieblingsstück? Hartmann überlegt nicht lange:
"Mir gefällt ja immer noch sehr gut der Inuit, das ist so ein Eskimojäger, für die Fridtjof Nansen. Das war meine dritte Galionsfigur,. Da war ich unglaublich stolz. Dieser Baum, eine Ulme, die stammt von Harriersand. Da habe ich als Kind drauf gespielt."
Seit 20 Jahren ist der Kletterbaum von der Weser nun als hölzerner Kurswächter auf den Weltmeeren zuhause.