Alles war vorbereitet für den "Post-Corona-Aufgalopp", wie die Galopprennsport-Zeitschrift Sport-Welt am Donnerstag berichtete. Acht Rennen, 83 Pferde – und viele Top-Jockeys hatten sich für den Wiedereinstieg in die Saison an diesem Montag beim Dortmunder Rennbahn-Präsident Andreas Tiedtke angemeldet.
"Auch wenn ich die Chance deutlich unter 50 Prozent sehe, hoffe ich, dass wir noch in irgendeiner Form grünes Licht bekommen", sagte Tiedtke dem Deutschlandfunk noch am Freitag. Und auch der Dachverband des Galopprennsports, Deutscher Galopp, hatte bis zuletzt gehofft, dass das Geisterrennen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden kann – noch bevor im Fußball der Ball rollt.
"Zeitlich kaum realisierbar"
Nun wurde es abgesagt, die aktualisierte Fassung der Corona-Schutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen untersagt Sportveranstaltungen bis zum 10. Mai. Erst wenn ein Beschluss des Bundes vorliegt und in die Verordnung des Landes eingearbeitet wurde, teilte das zuständige, nordrhein-westfälische Landwirtschaftsministerium diesem Sender jedoch bereits am Donnerstag mit, könnten wieder Galopprennen abgehalten werden. Wurde das dem Verband nicht kommuniziert? Oder warum hat man bis zwei Tage vor dem Renntag in Dortmund an den Planungen festgehalten? André Hahn, Obmann der Linken im Bundestags-Sportausschuss, war darüber schon vor der Absage sehr überrascht:
"Um es mal so zu sagen: Ich halte das für ganz schön sportlich und eigentlich zeitlich kaum realisierbar. Ich weiß auch nicht warum gerade der Galopprennsport der erste Sport sein soll, der wettkampfmäßig wieder stattfindet. Und natürlich ist bekannt, dass Präsident Vesper aus seiner Zeit als Funktionär beim DOSB, beim Deutschen Olympischen Sportbund, natürlich gute Kontakte in die Politik hat. Aber das allein kann ja kein Grund sein."
Leistungsprüfungen für die Zucht
War es auch nicht. Denn Verbands-Präsident Michael Vesper, der nicht nur elf Jahre lang Vorsitzender des DOSB war, sondern zuvor als Grünen-Politiker auch Sportminister und stellvertretender Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, hatte sich mit seinen Verbands-Kollegen und Kolleginnen in den vergangenen Wochen mächtig ins Zeug gelegt. Vor wenigen Tagen veröffentlichte der Verband ein Konzept, mit dem Pferderennen in Corona-Zeiten ohne Zuschauer und mit organisatorisch stark begrenztem Rahmen durchgeführt werden könnten. Es sah u.a. vor: Jockeys mit Mundschutz, Temperaturmessungen am Eingang, strenge Zugangsbeschränkungen, keine Siegerehrungen. Und natürlich: 1,5 Meter Abstand halten – auch die Jockeys beim Aufsteigen und Absatteln.
"Beim Galopprennen gibt es keine Blutgrätsche und keine Berührungen. Wir können die behördlichen Vorgaben zu 100 Prozent einhalten."
Meint Galopper-Präsident Vesper. Doch was passiert, wenn jemand positiv getestet wird? Im Konzept steht dazu nichts. Der deutsche Trainer- und Jockey-Verband trägt das Konzept aber mit. Vesper führt daneben noch ein weiteres Argument für den Saisonstart an:
"Wir sind verpflichtet nach dem Tierzuchtgesetz und den entsprechenden Verordnungen Leistungsprüfungen durchzuführen und diese Leistungsprüfungen sind jetzt seit erste Hälfte März nicht mehr möglich gewesen. Wir brauchen sie aber."
"Wir sind verpflichtet nach dem Tierzuchtgesetz und den entsprechenden Verordnungen Leistungsprüfungen durchzuführen und diese Leistungsprüfungen sind jetzt seit erste Hälfte März nicht mehr möglich gewesen. Wir brauchen sie aber."
Rennen in Niedersachsen am 7. Mai?
Tatsächlich: Nach dem Tierzuchtgesetz ist die sogenannte Vollblutzucht eine staatliche Aufgabe, deren Organisation an den Dachverband "Deutscher Galopp" delegiert ist. Galopprennen firmieren in diesem Kontext als Leistungsprüfungen, mit denen die Rennleistung der Pferde ermittelt werden soll. Für die Zucht würde ohne Rennen ein kompletter Jahrgang verlorengehen – und damit eventuell auch einige Besitzer und Züchter. Trotzdem: Mit dem Tierzuchtgesetz zu argumentieren, findet Linken-Politiker André Hahn zu weit hergeholt:
"Wir haben eine ganz besondere Situation. Es sind Grund- und Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt, um Gesundheit und Leib und Leben in der Corona-Krise zu schützen. Und sich dann auf das Tierzuchtgesetz zu berufen, das halte ich schon für ziemlich schwierig."
Genau so sieht es das NRW-Landwirtschaftsministerium: Pferderennen seien zwar laut Tierzuchtgesetz Leistungsprüfungen. Doch sind sie gleichzeitig eine sportliche Veranstaltung und mit der Betätigung von Menschen in einer Wettkampfsituation verbunden. Auf der Rennbahn in Hannover wiederum soll am 7. Mai ein Rennen stattfinden, theoretisch ist das sogar möglich: Die aktuelle niedersächsische Corona-Schutzverordnung, laut der Sportveranstaltungen verboten sind, läuft einen Tag zuvor, am 6. Mai aus.
Die Region Hannover hat als zuständige Kommunalbehörde das Rennen infektionsschutzrechtlich bereits gestattet. Die Begründung: Alle an der Leistungsprüfung unmittelbar Beteiligten handeln in Ausübung Ihres Berufes. Aber ist das nicht in anderen Sportarten genau so? Noch einmal André Hahn:
"Es gibt auch Handballer, die von ihrem Sport leben können. Und die haben den selben Anspruch tätig sein zu wollen. Das ist für mich kein schlüssiges Argument."
Genehmigung für Hoppegarten am 10. Mai liegt vor
Das Land Niedersachsen müsste der Durchführung noch final zustimmen. Seltsam nur: An diesem Wochenende findet im niedersächsischen Luhmühlen mit Genehmigung vom Landkreis Lüneburg und dem niedersächsischen Landwirtschafts-Ministerium bereits ein offizielles Profi-Springreitturnier statt – online im Livestream verfolgbar. Warum hier eine Ausnahmegenehmigung erteilt wurde?
Spannend auch der Blick nach Brandenburg. Östlich von Berlin, auf der Rennbahn Hoppegarten, soll am 10. Mai ein Galopprennen stattfinden, sagt der dortige Rennbahnbesitzer Gerhard Schöningh:
"Wir haben also ganz klar eine Genehmigung der Gemeinde und des Landkreises Märkisch-Oderland. Wir hatten den Amtsarzt da, der hat das Konzept zur Durchführung dieser Renntage genau vor Ort geprüft."
Versuch mit frei empfangbaren Streams
Das Land Brandenburg gesteht den Kommunen in seiner Eindämmungs-Verordnung das Recht zu, im Einzelfall Ausnahmegenehmigungen für Sportveranstaltungen zu erteilen. In Brandenburg könnte demnächst also ein Galopp-Geisterrennen stattfinden, während es in NRW untersagt bleibt. Droht hier ein föderaler Flickenteppich im Sport mit kommunalen Ausnahmegenehmigungen? All zu lange wird die Politik den Sport wohl nicht mehr warten lassen können – auch im Hinblick auf Lockerungen in anderen Bereichen des Lebens.
Der Galopprennsport würde den Saisonstart jedenfalls begrüßen und wirbt wie schon seit Mitte April weiter für einen Start der Saison. Finanziell geht es der Branche seit Jahren schlecht. Wetteinnahmen – und damit die Haupteinnahmequelle - sind um 80 Prozent gesunken, jetzt bleiben für die oft sehr engagierten Rennbahn-Betreiber auch Zuschauer- und Sponsoreneinnahmen aus.
Die Branche will die sportarme Zeit auch für sich nutzen, um über frei empfangbare Live-Streams mehr Menschen für Galopprennen – und damit auch für Online-Wetten – zu begeistern. Eine positive Nachricht gibt es schon vorab: Auf Nachfrage berichtet Verbands-Präsident Michael Vesper, dass er auf 20 Prozent seiner sechsstelligen Aufwandsentschädigung, die er für sein Präsidenten-Amt erhält, verzichten wird.