"Welcome to Banjul" prangt in großer Schrift am Hafen der Hauptstadt von Gambia. Liebevoll nennen sie ihre Heimat "die lächelnde Küste Afrikas". Dennoch verlassen Zehntausende das kleinste Land des Kontinents – mit einem Traum: ein besseres Leben in Europa. Gambia ist eines der Hauptherkunftsländer afrikanischer Flüchtlinge: Jeder vierte bis fünfte, der es über das Mittelmeer schafft, soll von hier kommen.
Flüchtende Teenager: ein landesweiter Trend
"Backway", durch den Hintereingang, heißt das unter den Einheimischen: durch die Sahara und dann auf Booten übers Mittelmeer immer in Richtung Norden - ein lebensgefährlicher Weg. Sogar 15-Jährige sind dabei, sagt Fatou Gaye. Elf Jugendliche aus ihrem Dorf sind bei dem Versuch gestorben, nach Italien zu gelangen. Trotzdem haben sich schon viele wieder auf den Weg gemacht; für die gambische Gesellschaft ein Albtraum:
"Wir reden nicht über Einzelfälle, sondern über einen landesweiten Trend. Viele Eltern in Gambia verlieren ihre Kinder auf dem Weg nach Europa. Jugendliche, die gehen, hinterlassen eine wirtschaftliche Lücke. Denn eigentlich würden sie ihren Eltern auf dem Feld helfen."
In dem westafrikanischen Land mit nur knapp zwei Millionen Menschen gibt es weder Krieg noch Seuchen. Dennoch wandern überproportional viele Gambier aus ihrer Heimat ab. Meist sind es junge Männer. Sie ziehen zunächst aus ländlichen Regionen in die Stadt, von dort geht es weiter nach Europa. Die Gründe dafür sind weit verbreitete Armut, hohe Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit einerseits, und andererseits falsche Erwartungen. Gambier, die es nach Spanien, Italien oder Deutschland geschafft haben, zeichnen ein einseitiges Bild vom Leben in Europa. Vor allem die regelmäßigen Geldzahlungen an die Familien in Afrika schüren die Sehnsüchte.
"Die Jugendlichen hier bekommen nur die Oberfläche geschildert. Gambier, die schon drüben sind schicken Bilder von schönen Autos und Häusern. Klar denkt man dann: Du gehst nach Europa, verdienst dein Geld und kommst zurück. Deshalb kann ich sagen, dass die meisten von ihnen aus wirtschaftlichen Gründen gehen."
"Wenn immer wieder Journalisten fliehen - wer klärt die Menschen dann auf?"
Die meisten, aber nicht alle: Aus politischen Gründen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten Dutzende Journalisten das Land verlassen. Präsident Yahya Jammeh, der seit mehr als 21 Jahren regiert, unterdrückt regierungskritische Meinungen. Kritische Reporter werden systematisch verfolgt. Wer bleibt und berichtet, kann im Gefängnis landen. Der 30-jährige Sanna kennt das Risiko:
"Als Journalist lebt man in Gambia in ständiger Angst, weil die Gesetze, die Meinungs- und Pressefreiheit eigentlich schützen sollen, tatsächlich als die schlimmsten im Land gelten. Für eine Veröffentlichung von Falschinformationen im Internet gibt es 15 Jahre Haft und eine Geldstrafe von umgerechnet 60.000 Euro. Das macht mir Angst. Denn schon bei einfachen Tatsachen können sie dir einfach sagen: 'Das sind Falschinformationen'."
Der Journalist und Blogger will anonym bleiben und deshalb seinen vollen Namen nicht nennen. Viele seiner Kollegen wurden vom Geheimdienst verhaftet und gefoltert, einige verschwanden spurlos. Seit 2013 verschärft sich zunehmend die Gesetzeslage für unabhängige Medien. Auch wegen solcher Vorfälle steht es in Gambia um die Pressefreiheit schlecht. Im internationalen Vergleich liegt das Land weit am Ende. Sanna aber bleibt:
"Im Moment denke ich nicht an Flucht. Wenn immer wieder Journalisten fliehen, wer berichtet dann über das Schicksal der Einheimischen, wer klärt die Menschen auf? Das ist unsere Aufgabe."
Zwischen Afrika und Europa - gemeinsame Lösung nötig
Präsident Jammeh regiert das Land mit eiserner Faust, unterdrückt die Opposition, wettert gegen Homosexuelle und behauptet, dass er Aids-Patienten heilen könnte. Nächstes Jahr stehen Wahlen an. Dann will er auch das Problem der Migration lösen. Mit seiner landesweiten Kampagne Vision 2016 hat der Präsident der Landflucht den Kampf angesagt: "Iss, was du anbaust und bau an, was du isst". Damit könnte er Gambia von Nahrungsmittelimporten unabhängiger machen und in der Landwirtschaft Arbeitsplätze schaffen.
Eine Mehrheit der jungen Menschen mit Schulabschluss will jedoch nicht wie ihre Eltern auf den Feldern arbeiten – sie suchen nach Perspektiven, die sie in Gambia nicht finden. Deshalb, so glaubt Fatou Gaye, werden weitere Menschen losziehen, von der "lächelnden Küste Afrikas" nach Europa. Die Expertin für Migration fordert eine europäisch-afrikanische Lösung:
"Europa und Afrika müssen sich als Partner zusammensetzen und reden. Keine Seite kann das Problem alleine lösen. Deutsche können es alleine nicht, denn es sind ja keine Deutschen, die nach Deutschland fliehen. Es sind Afrikaner, die aus Afrika nach Deutschland gehen. Deshalb müssen Deutsche und Afrikaner an einem Tisch zusammenkommen und das Thema angehen. Wir müssen es endlich gemeinsam anpacken."