Die Zahlen der Bundesregierung sehen erst mal toll aus: Die Anzahl der Ganztagsschulen und Ganzschüler hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdreifacht. Manuel Lösel, Staatssekretär in Hessen und Vertreter der Kultusminister-Konferenz, zog bei der Tagung in Berlin eine sehr positive Bilanz:
"Ganztagsschulen haben positive Auswirkungen auf das Sozialverhalten. Sie senken die Zahlen der Sitzenbleiber, Kinder und Jugendliche finden neue Freunde und nutzen ein breiteres Bildungsspektrum. Ganztagsschulen wirken sehr positiv auf die Zufriedenheit von Lehrern."
Ganz so positiv sei die Bilanz bisher nicht, sagt Natalie Fischer. Die Professorin an der Uni Kassel erforscht mit Geld vom Bund die Entwicklung von Ganztagsschulen. Für eine so durchgehend positive Bilanz fehlten die Daten, zu unterschiedlich setzten die Bundesländer Ganztagsschulen um:
"Und vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die Effekte empirisch bisher relativ schwach ausfallen. Das muss man sagen, dass wir bis jetzt Hinweise darauf haben, dass Ganztagsschule wirken kann im Hinblick auf Schulmotivation, Schulfreude, Schulbindung. Aber es sind noch relativ kleine Effekte, wenn man sich bundesweit die Ganztagsschulen anschaut."
Nicht nur den ganzen Tag, sondern auch jeden Tag
Denn damit eine Ganztagsschule all diese positiven Effekte hat, müssen viele Voraussetzungen erfüllt sein, und die sind eben oft noch nicht erfüllt. Zu diesen Voraussetzungen gehört, dass Kinder mitbestimmen können, wie sie ihren ganzen Tag an der Schule gestalten. In einigen Ländern gelten Schüler als Ganztagsschüler, die nur an einem Tag den ganzen Tag in der Schule seien. Kinder müssten jedoch wirklich jeden Tag und über Jahre den ganzen Tag in der Schule sein. Fischer hat herausgefunden:
"Wenn Schüler eben über vier Jahre dabei bleiben und regelmäßig Angebote nutzen, dass sich dann auch positive Ergebnisse auf die Notenentwicklung zeigen lassen."
Das führt zum weiteren wichtigen Erfolgsfaktor. Damit Ganztagsschulen bringen, was sie bringen können, müssen Kinder zu Lehrern und Betreuern eine feste Bindung aufbauen.
"Da hapert es auf jeden Fall noch. Die Schulen, die Länder haben nicht immer die Mittel, das Personal langfristig einzustellen mit festen Verträgen. So kann sich manchmal keine stabile Beziehung entwickeln und keine stabile Einbindung des Personals in die Schule."
Die Länder müssten also Geld investieren in Personal und Lehrerstunden, damit sich Betreuer und Lehrer besser abstimmen können. Unterdessen zieht der Bund sich weitgehend aus der Finanzierung der Ganztagsschulen zurück - etwa aus der Finanzierung der Service-Agenturen, die Ganztagsschulen beraten.
Länder sollen Ganztagschulprogramm fortführen
Der Vertreter der Kultusministerkonferenz, Manuel Lösel, verkündete heute jedoch, "dass die Länder beabsichtigen, das Ganztagschulprogramm fortzuführen. Sie werden im Rahmen des Programms entsprechende Strukturen zur Beratung und Entwicklung der Ganztagsschulen vorhalten und vernetzen."
Der Bund will Ganztagsschulen nur noch erforschen, sagte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka: "Das Forschungsprogramm machen wir weiter, das wird in keiner Weise reduziert."
Und da gibt es viel zu tun, sagt Bildungsforscherin Natalie Fischer von der Uni Kassel. Ungeklärt sei nach wie vor, wie Unterricht und Zeit an einer Ganztagsschule eigentlich genau strukturiert sein müssen:
"Muss man in der Leseförderung so arbeiten wie im Deutschunterricht? Da gibt es mit Sicherheit einzelne gute Konzepte. Dass man hier mal guckt, wie muss denn die Schule gestaltet sein, damit es schülergerecht ist, wenn die doch den ganzen Tag da verbringen."
Der Ganztagsschulkongress "Ganztägig bilden. Ideen für mehr" fand am 17.09.2015 in Berlin statt.