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Garzweiler II
Kohle statt Kirche

Das Dorf Keyenberg muss dem Braunkohletagebau Garzweiler II weichen. Auch die alte Kirche aus dem 19. Jahrhundert wird abgerissen. Im umgesiedelten Dorf wird nur noch eine Kapelle stehen. Die reicht zwar für die schwindende Zahl der regelmäßigen Besucher, doch die Vorsitzende des Ortsausschusses sagt: "Da wird noch so manche Träne fließen."

Von Dirk Eckert |
    Jahrelang stand dieses Schild am Ortseingang von Keyenberg, bald wird es den Kohlebaggern weichen, so wie die Kirche und Häuser im Hintergrund
    Jahrelang stand dieses Schild am Ortseingang von Keyenberg, bald wird es den Kohlebaggern weichen, so wie die Kirche und Häuser im Hintergrund (picture-alliance / dpa / Caroline Seidel)
    An der alten Kirche hängt der neue Plan. In grün, gelb, blau und rot sind die Grundstücke markiert, so kann jeder sehen, welche Parzellen schon verkauft, vorgemerkt oder noch zu haben sind. Keyenberg muss umziehen. Das kleine Dorf bei Erkelenz muss dem Braunkohletagebau Garzweiler II weichen. Alle Proteste von Anwohner und Klimaschützern waren vergeblich: Die Häuser aus rotem Backstein, die Straßen, die Felder, alles wird verschwinden. Schon jetzt ist es gespenstisch still auf den Straßen. Auch die alte Kirche, ein neugotischer Bau aus dem 19. Jahrhundert, muss weichen. Im berühmten Prümer Urbar, einer mittelalterlichen Urkunde aus dem Jahr 893, wird Keyenberg mit seinem Priester erstmals urkundlich erwähnt.
    Die Kirche ist zwar denkmalgeschützt, aber das rettet sie nicht vor den Baggern. Lediglich die Innenausstattung könnte abtransportiert werden. Da ist ein prächtiger Hochaltar aus dem 19. Jahrhundert, da sind hohe Kirchenfenster, Heiligenbilder und -figuren, die fast original erhaltene Orgel von 1886 - all das wollen die Keyenberger nicht den Baggern überlassen. Nur - wohin damit? Agnes Maibaum, die Vorsitzende des Ortsausschusses, macht sich keine Illusionen, wie schwierig es wird, die Kirche auszuräumen. Sie zeigt auf die meterhohe Kanzel mit dem Holzdach:
    "Also die Kanzel werden wir auf keinen Fall mitnehmen können, die ist aus Holz geschnitzt und die wird in die neue Kapelle auf keinen Fall reinpassen. Wir werden dann entweder überlegen, vielleicht gibt es auch Anfragen von Kirchen hier aus der Umgebung, die sowas gerne hätten. Aber sonst würden wir zunächst mal überlegen, sie wirklich einzulagern und dann die Fühler auszustrecken, was man damit an anderer Stelle vielleicht sinnvolles und Gutes machen kann. Also wir würden sie auf keinen Fall zersägen und Brandholz draus machen, auf keinen Fall."
    Drei Kirchen werden zu einer Kapelle
    Am neuen Standort wird nur eine Kapelle gebaut, die mit 80 Sitzplätzen viel kleiner ist als die Heilig-Kreuz-Kirche mit ihren 350 Sitz- und 200 Stehplätzen. Außerdem ist die neue Kapelle nicht nur für die Gläubigen aus Keyenberg da, sondern auch für die Gemeinden Kuckum und Berverath, die ebenfalls mitsamt ihren Kirchengebäuden dem Tagebau zum Opfer fallen. Josef Bodewig vom Kirchenvorstand weiß, dass da nicht jeder alles mitnehmen kann:
    "Wir müssen uns kleiner fassen, wir müssen uns einigen. Wir müssen versuchen, die wichtigen Dinge mitzunehmen. Und jeder Ort soll sich in einem neuen Sakralgebäude wiederfinden können. Und das kann man nicht, wenn man alles, was man schön gefunden hat hier, da mit hinein nimmt. Das passt dann nicht."
    Dass der neue Kirchenbau so klein wird, hat seinen Grund: Auch im Rheinland gehen immer weniger Menschen in die Kirche. Und der Unterhalt der immer weniger genutzten Gebäude geht ins Geld. Auch in Erkelenz müssen deshalb Kirchen geschlossen werden. Die Kirchengemeinde setzt das dadurch um, dass sie die drei Gotteshäuser, die dem Tagebau zum Opfer fallen, durch nur eine Kapelle ersetzt. Der Erkelenzer Pfarrer Werner Rombach:
    "Es sind Plätze weniger da. Weil, es kommen nicht mehr so viele Gottesdienstbesucher regelmäßig zu den Gottesdiensten."
    Dass die Kirche nicht mehr so viele Gotteshäuser unterhalten kann, hat auch Folgen für die Verhandlungen mit RWE Power. Denn natürlich werden die Einwohner von Keyenberg wie auch die Kirche für den Verlust entschädigt. Die Höhe der Entschädigung muss aber verhandelt werden. Da fließt vieles ein: wie viel Quadratmeter Land die Kirche verliert, welchen künstlerischen Wert die Kirchen haben. Aber die Frage ist auch, wie viel Geld die Kirche braucht, um Ersatz zu schaffen. Und die ernüchternde Antwort darauf lautet: Nicht mehr so viel, denn es kommen ja ohnehin weniger Menschen in die Kirche. Werner Rombach:
    "Und wenn die Zahlen weiter sinken, kann ich diesen Anspruch nicht mehr haben, habe aber auch letztendlich als Pfarrer nicht mehr die Möglichkeit, über Predigten oder sonst was hier Leute zum Widerstand aufzurufen und damit im Grunde genommen Verhandlungen zu beeinflussen, ganz platt gesagt. Wir sind da etwas in die Defensive geraten."
    Wie viel ist die Kirche wert?
    Wie viel die Kirche von Keyenberg am Ende wert ist, ist noch nicht abzusehen. Bevor überhaupt verhandelt wird, muss noch ein Gutachten erstellt werden. Im benachbarten Borschemich betrug die Entschädigung drei Millionen Euro für Kirche und Pfarrhaus zusammen. Werner Rombach zeigt sich jedenfalls ganz zufrieden mit den Verhandlungen:
    "Und bisher ist man sich nach zähen Verhandlungen dann einig geworden, dass beide Seiten dann sagen konnten, ja, so ist es, damit können wir jetzt leben, damit können wir Zukunft planen. Bisher ist das gut gegangen."
    Doch langsam läuft die Zeit ab. Insgesamt müssen 7.600 Menschen aus 12 Orten für Garzweiler II umziehen. 2029 muss die letzte Ortschaft geräumt sein, dann kommen die Kohlebagger. Agnes Maibaum muss bis dahin nach Lösungen für Keyenberg und seine Kirche suchen:
    "Wenn eine Kirche umsiedelt, ist das schon schwierig. Aber wenn drei - das ist noch viel viel schwieriger, da macht sich überhaupt keiner ein Bild von. Und auch RWE Power kann überhaupt gar nicht ermessen, was wir hier alles aufgeben müssen. Wir werden natürlich in irgendeiner Weise finanziell entschädigt. Aber das ist eine Sache. Aber die Emotionen, die gerade mit einem Gotteshaus verbunden sind, die kann einem keiner bezahlen, das ist einfach so. Und da wird noch so manche Träne fließen."