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Moritz Baßler: "Populärer Realismus"
Gas geben und Spaß haben

Moritz Baßler versucht, unserer Wohlstands- und Überflussgesellschaft eine entsprechende Literaturtheorie zu liefern.

Von Helmut Böttiger |
Moritz Baßler: "Populärer Realismus"
Zu sehen sind der Autor und das Buchcover
Moritz Baßler: "Populärer Realismus" (Buchcover: Verlag C.H. Beck / Foto: Christoph Mukherjee)
Gehen wir gleich in medias res:  "Wenn Fantasy der Inbegriff des Populären Realismus ist, jener Literatur also, die unter den demokratischen, ökonomischen und medialen Bedingungen der westlich geprägten Überflussgesellschaften, in denen wir leben, zum International Style gegenwärtigen Erzählens geworden ist, dann gilt womöglich für unsere Literatur generell, dass sie nicht mehr von der selben Art ist wie die traditionelle Romanliteratur des Abendlandes."

Kritik am "realistischen" Konfektionsroman

So Moritz Baßler in seinem literaturtheoretischen Abriss über „Populären Realismus“. Wichtig ist dabei das Wort von der westlichen, marktwirtschaftlich organisierten „Überflussgesellschaft“. Baßler scheint sie fast als etwas Zeitloses anzusehen, als etwas von vornherein Gegebenes. Dass diese Form von Gegenwart vielleicht auch einmal gefährdet sein könnte, ist offenkundig nicht vorgesehen. Möglicherweise liegt es daran, dass Baßler zur „Generation Golf“ gehört, die in den achtziger Jahren die Devise „Ich geb Gas, ich will Spaß“ zu ihrer Lebensmaxime erhob. Eine entscheidende Rolle spielt in allen literarischen Exegesen Baßlers die Möglichkeit des Konsums. Da wird er regelmäßig polemisch und richtet sich gegen  

"eine gängige Kritik an unserer Wohlstands- und Konsumgesellschaft, die immer schon zu wissen meint, hier fehle das Wesentliche, und der ihre Auffassung, Konsum sei oberflächlich und schlimm, längst zur zweiten Natur geworden ist."

Neben solch einer Form von Kulturkritik verachtet Moritz Baßler besonders eine überkommene Vorstellung von Hochkultur. Er setzt darauf, was das Publikum will:  
"Es geht hier also ausdrücklich um Eigenschaften einer Kunst, die man auch demokratisch nennen könnte, weil sie über avantgardistische Szenen, dilettierende Liebhaberzirkel und professionelle Kreise hinaus ein Publikum anspricht und zum Kauf bewegt, das sich nur eine begrenzte Zeit und Energie im Umgang mit dieser leisten kann und will.


Funktioniert Erfolgsliteratur nach dem immergleichen Schema?

Es wirkt programmatisch, dass Baßlers Buch mit einer Würdigung des Bestsellerautors Sebastian Fitzek beginnt. Dieser ist so etwas wie die Speerspitze jenes „Populären Realismus“, der weiß, wie man die Leser packt, der leicht lesbar ist und sich nicht mit formalen Sperenzchen aufhält. Baßler hat natürlich auch Kritikpunkte. Das Vorgestanzte, Klischeehafte und Abgedroschene an Fitzeks Texten nimmt er selbstverständlich wahr. Es fällt aber auf, dass seine Kritik an einem Autor wie Daniel Kehlmann im Vergleich weitaus heftiger ausfällt. Kehlmann glaube nämlich immer noch, Konzessionen an eine Art von Hochkultur machen zu müssen, die bildungsbeflissene Leser anscheinend erwarten. Lange Kapitel widmet Baßler den amerikanischen Fernsehserien und den Fantasy-Romanen, die die Erwartungen des Publikums adäquat bedienen. Dabei operiert er in wissenschaftlichem Habitus mit durchaus differenzierten ästhetischen Maßstäben. Langweilige, erwartbare Texte, die die allgemeine Weltsicht von vornherein abrufen und bestätigen, sind ihm eher ein Gräuel. Mehr als nur einen Seitenhieb kriegt deswegen ein Schriftsteller wie Heinrich Böll ab, der als sogenannter „Gutmensch“ die beliebteste Zielscheibe der 80er-Jahre-Generation war:         

"Das Falsche und schlechthin Negative der NS-Ideologie funktioniert zwar 1950 problemlos als Sinngarant der Erzählung, aber nur, weil die entsprechende Bewertung zu diesem Zeitpunkt längst Allgemeingut und offizieller Standpunkt geworden ist."
Diese Behauptung ist auf geradezu groteske Weise falsch. Baßler setzt seine eigene Gegenwart ganz selbstverständlich absolut und verkennt vollkommen, dass Böll in den fünfziger Jahren keineswegs für einen common sense stand. In einer Zeit der Verdrängung und der Hetze gegen alles, was irgendwie kritisch war, gehörte Mut dazu, die Verbrechen der Nazis überhaupt zu thematisieren. Baßler versteigt sich sogar zu Äußerungen wie:

"Im Verfahren unterscheidet sich Bölls Text nicht von einer nationalsozialistischen Erzählung, die zu ihrem Funktionieren, sagen wir, einen akzeptierten heldisch-völkischen oder antisemitischen Mindframe voraussetzt."

Merkwürdiges Böll-Bashing

Solch eine Fehlleistung ist nur dadurch zu erklären, dass der Autor mit einem unhistorischen, strukturalistisch geprägten Modell von „Erzählverfahren“ operiert. Baßler interessiert sich nicht einmal im Ansatz für Bölls Versuch, mit jedem seiner Sätze ein atmosphärisch sofort spürbares Gegenbild zu den menschenverachtenden und pathetisch-stolzen Nazitönen zu entwerfen. „Schwere Geschichtszeichen“, wie er es nennt, lehnt Baßler mit herablassender Gebärde ab. Auch eine Literatur der „Erinnerung“ ist für ihn negativ besetzt. Stattdessen plädiert er für das lustvolle Spiel mit den Medien, für eine schillernde Autorenpersona als Markenzeichen und für die Freude an der Zukunft. Vor diesem Hintergrund hält Baßler, bei aller Kritik an Einzelphänomenen, seinen „Populären Realismus“ für die dominante und auch ästhetisch relevante Richtung der Gegenwartsliteratur. Wichtige Schriftsteller, die ihm nicht in den Kram passen, kommen gar nicht erst vor oder werden nebenbei mit einem Halbsatz abgehakt, etwa Marcel Beyer, Lutz Seiler, Anja Kampmann, Ulrich Peltzer, Reinhard Jirgl, Sibylle Lewitscharoff oder Emine Sevgi Özdamar, um nur einige beliebige Namen zu nennen. Baßlers Helden, die er auf zum Teil interessante Weise interpretiert, sind dagegen Christian Kracht, Wolfgang Herrndorf, Rainald Goetz oder Wolf Haas sowie einige Debütantinnensternschnuppen, die tatsächlich alle weiblich sind. Insgesamt ist seine Sicht auf Literatur, wenn auch auf rhetorisch ausgefeilte Weise, ideologisch auffallend verengt. Man könnte fast meinen, er begrenze die Popkultur auf die FDP-Wähler unter den Clubgängern.
Moritz Baßler: "Populärer Realismus. Vom International Style gegenwärtigen Erzählens"
C.H. Beck Verlag, München.
407 Seiten, 24 Euro.