Die Gründe für die hohen Preise liegen zum einen in der wirtschaftlichen Erholung der Staaten nach der Corona-Krise. Die starke Nachfrage treibt die Rohöl- und Gaspreise in die Höhe. Zudem hat der kalte zurückliegende Winter Lagerbestände geleert. Außerdem sind in Deutschland seit Januar durch die Einführung der CO2-Bepreisung 25 Euro je Tonne Kohlendioxid fällig, das beim Verbrennen von Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas entsteht.
Es gibt auch Stimmen, die Russland mitverantwortlich machen, da es kaum zusätzliches Erdgas liefere. Etwa bei den Grünen in Deutschland nährt dies den Verdacht, damit wolle das Land Druck auf eine schnelle Inbetriebnahme der Gas-Pipeline Nordstream 2 machen. Die russische Regierung betont indes, man liefere nach den bestehenden Verträgen das Maximum. Mehr sei nur nach Aushandlung neuer Abkommen möglich. "Gazprom macht zur Zeit bei den Lieferungen so eine Art Dienst nach Vorschrift",
sagte hingegen der FDP-Politiker Graf Lambsdorff (21.10.2021) im Deutschlandfunk
. Das russische Unternehmen erfülle gerade noch die vertraglichen Verpflichtungen, reagiere aber nicht auf die gestiegene Nachfrage.
Momentan gehen die EU-Mitgliedsstaaten unterschiedlich mit den hohen Energiepreisen um. 20 EU-Staaten haben unter anderem mit Steuer-Senkungen oder Hilfen für Ärmere reagiert. In Spanien hat es bereits im Sommer Demonstrationen wegen der hohen Strompreise gegeben. Mittlerweile hat die Regierung die Mehrwertsteuer auf Strom vorübergehend gesenkt. Daneben fordert Spanien gemeinsame Maßnahmen auf europäischer Ebene - unter anderem den Aufbau einer strategischen Gasreserve. Damit könnten die Staaten ähnlich wie bei der Beschaffung von Covid-Impfstoffen gemeinsame Lieferverträge abschließen. Die EU könnte dadurch in den Verhandlungen mit den Energielieferanten mit einer Stimme sprechen, so die Position der spanischen Regierung.
Vor Energiedemonstranten fürchtet sich auch die französische Regierung. Die Proteste der Gelbwesten sind dort nicht vergessen. Paris hat angekündigt, die Strom- und Gaspreise zu deckeln und will ärmeren Haushalten je 100 Euro zahlen. Um Preisanstiege zu dämpfen, will Frankreich zudem den Gasmarkt stärker regulieren und den Strompreis vom Gaspreis entkoppeln. Ungarns Regierungschef Viktor Orban kritisiert, der steigende CO2-Preis sei verantwortlich für die rasant steigenden Energiepreise.
In Deutschland treffen die hohen Energiepreise auf die Gespräche zur Regierungsbildung und die Bemühungen, die Klimaschutzziele zu erreichen. Unter anderem der Preis auf den CO2-Ausstoß verteuert fossile Brennstoffe weiter. Die noch amtierende Bundesregierung plant bisher keine weiteren Maßnahmen gegen die steigenden Energiepreise. Es seien bereits Entlastungen wie eine Erhöhung der Pendlerpauschale beschlossen worden.
Angesichts stark gestiegener Energiepreise will die EU-Kommission einen gemeinsamen Gas-Einkauf der Staaten prüfen. Man werde untersuchen, ob so ein Vorgehen den Ländern Vorteile bringe, erklärte die Kommission am Mittwoch (13.10.2021) in Brüssel. "Die aktuelle Lage ist außergewöhnlich, der Energie-Binnenmarkt hat uns aber 20 Jahre genutzt", sagte Energie-Kommissarin Kadri Simson. Sie stellte eine sogenannte Toolbox mit Werkzeugen vor, die EU-Länder anwenden können, ohne gegen die europäischen Wettbewerbsregeln zu verstoßen.
Unter anderem schlägt die Kommission direkte Zahlungen, Steuererleichterungen und Subventionen für kleine Unternehmen vor. Sie erwägt aber auch mittelfristige Reformen, um den europäischen Energiemarkt auf lange Sicht robuster zu machen. Auch soll die Konstruktion des europäischen Energiemarktes unter die Lupe genommen werden. Die mittelfristigen Maßnahmen der "Toolbox" sollen bei einem EU-Gipfel noch im Oktober besprochen werden. Langfristig sollen Investitionen in erneuerbare Energien für stabile Preise und mehr Unabhängigkeit sorgen.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband verlangte Unterstützung vor allem für ärmere Haushalte, um die Belastungen durch die Inflation auszugleichen. Sein Hauptgeschäftsführer Schneider sagte im ZDF, unter anderem seien höhere Heizkostenzuschüsse für Geringverdienende nötig.
Im Dlf sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Ulrich Schneider am 15.10.2021
, kurzfristig fordere man von der jetzigen Regierung, dass zu diesem Winter schnellstens vernüftige Hilfsmaßnahmen für die Ärmsten aufgelegt werden, "damit Lebensmittel und Energie nicht zum Luxusgut werden". In Italien würden einkommensarmen Haushalten zum Beispiel Schecks geschickt. Einmalige Leistungen für Bezieher von Grundsicherung oder Hartz IV seien auch in Deutschland möglich. "Das geht alles, wenn man nur will."
Auch der Bund der Steuerzahler sprach sich für eine Unterstützung der Verbraucher aus. Angesichts der hohen Spritpreise fordert er eine Anhebung der Pendlerpauschale auf 40 Cent ab dem ersten Kilometer. Sein Präsident Reiner Holznagel sagte der "Augsburger Allgemeinen", die Politik müsse jetzt handeln, um die Bürger zu entlasten. Das Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Körzell, schlug vor, die Pendlerpauschale durch ein einheitliches und einkommenunabhängiges Mobilitätsgeld für alle Verkehrsmittel zu ersetzen.
In Deutschland müsse man sich zunächst einen Überblick verschaffen, wie stark die Preise tatsächlich steigen – und dann für Härtefälle Abmilderung schaffen, sagte die Bundestagsabgeordnete
Julia Verlinden (Bündnis 90/Die Grünen) am 13.10.2021 im Dlf.
Von der jetzigen Verteuerung der Energiepreise profitiere der Staat nicht, anders als bei einer CO2-Besteuerung. Einnahmen daraus könnten an Bürgerinnen und Bürger zurückverteilt werden, etwa über die Pro-Kopf-Umlage.
Die steigenden Preise seien ein "allerhöchstes Zeichen, die Energiewende voranzubringen", meint Verlinden. Wenn Deutschland abhängig von fossilen Energieträgern bleibe, werde man von einer Krise in die nächste stolpern. So müssten Mieterstrommodelle* verbessert werden, damit Solarstrom vom Dach direkt genutzt werden könne.
Die Politik könne Preise drosseln, die Frage sei aber, ob sie das sollte, sagte
Götz Reichert, Wirtschafts- und Energieexperte am Centrum für Europäische Politik
am 13.10.2021 im Dlf. "Die Politik sollte kurzfristige Härten abfedern - insbesondere für einkommensschwache Haushalte." Seiner Ansicht nach aber wäre es "gefährlich", ständig an der Preisschraube zu drehen. Es gebe ein Spannungsfeld zur Klimapolitik, die ja eben auf steigende Preise für fossile Energien setze. "Und das ist ja auch politisch so gewollt", sagte Reichert. Dieser Lenkungseffekt über lange Zeit sei von den politisch Verantwortlichen in Deutschland und in Europa beabsichtigt, um mehr für den Klimaschutz zu tun. Europa solle aber gemeinsam Gas einkaufen, um als Block einen günstigeren Preis zu zahlen.
Finanzwissenschaftler Aloys Prinz von der Universität Münster erwartet für 2020 und 2021 steigende Energiepreise.
Prinz machte am 5.10.2021 im Deutschlandfunk
die Nullzinspolitik der EZB für die Lage mitverantwortlich. Es zeigten sich jetzt die wahren Folgen dieser Politik.
Der
Ökonom Jens Südekum
sieht in der hohen Inflation im Energiebereich ein "temporäres Phänomen", verursacht durch Sondereffekte, unter anderem die temporäre Mehrwertsteuersenkung, die nun zurückgenommen wurde. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) gehe derzeit davon aus, dass die Inflationsrate wieder zum Vor-Pandemie-Niveau von unter zwei Prozent zurückkehren werde. Südekum sprach von "deutlich entspannten Inflationsraten" ab Mitte 2022. Er warnte zudem vor Panikreaktionen – verfrühte geldpolitische Maßnahmen wie Zinserhöhungen durch die EZB seien vorerst nicht nötig. Das würde die Situation nur verschlimmern.
Südekum schlug vor, eine "große Rücklage" in Deutschland einzurichten, solange die Schuldenbremse noch außer Kraft gesetzt sei. Eine solche Rücklage könne "für alles Mögliche" verwendet werden. Unter anderem ließe sich damit der zusätzliche Ausgabenbedarf in Deutschland von rund 75 Milliarden pro Jahr für Investitionen und die Klimawende auffangen. Denn auch die Mehreinnahmen durch eine globale Mindeststeuer reichten dafür nicht aus. Im Folgejahr könnte die "große Rücklage" dann aufgelöst werden.
(Quellen: Carolin Born, dpa, Reuters, tei)
*Wir haben ein Wort korrigiert.