Seit dem frühen Morgen des 1. Januar 2025 fließt kein russisches Gas mehr über die Ukraine in Richtung Europa. Allerdings ist noch nicht ganz klar, ob die Gaslieferungen aus Russland durch die Ukraine in die EU tatsächlich endgültig vorbei sind. Die Verhandlungen über Alternativen haben jedoch noch zu keinem Ergebnis geführt.
Doch wohin in der EU floss überhaupt noch russisches Gas? Welche Auswirkungen hat der Lieferstopp - auch auf Deutschland?
Inhalt
- Warum hat die Ukraine den Gastransit aus Russland gestoppt?
- Wer ist von dem Lieferstopp betroffen?
- Wie verändern sich Versorgung und Gaspreis in Europa?
- Wie wirkt sich der Durchleitungsstopp auf die Ukraine und auf Russland aus?
- Welche Reaktionen gibt es auf den Gaslieferstopp?
- Wie ist Deutschland betroffen?
Warum hat die Ukraine den Gastransit aus Russland gestoppt?
Am Morgen des 1. Januar 2025 hat der ukrainische Gasnetzbetreiber den Gastransit aus Russland durch das Land komplett eingestellt – nach mehr als einem halben Jahrhundert, und fast drei Jahre nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine.
Zwar war die durchgeleitete Gasmenge bereits deutlich reduziert worden, doch beendet wurde der Transit erst mit Auslaufen des Vertrages des ukrainischen Versorgers Naftogaz mit dem russischen Konzern Gazprom am 31. Dezember 2024 um Mitternacht. Der Vertrag hatte die Durchleitung nach Mitteleuropa ermöglicht.
Die Ukraine verlängerte den 2019 geschlossenen Fünf-Jahres-Vertrag nicht. So will sie verhindern, dass Russland die Einnahmen aus dem Gasexport für seinen Krieg gegen das Land einsetzen kann. Das hatte die Ukraine lange im Voraus angekündigt.
Ob die Entscheidung endgültig ist, dass kein Gas aus Russland mehr durch die Ukraine fließen darf, ist allerdings noch nicht ganz klar. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj deutete an, es könnte Gas fließen. Voraussetzung: Es ist kein russisches Gas, das aus Russland weitergeleitet wird. Selenskyj machte auch den Vorschlag, Russland solle Gas liefern, aber erst dann aus der Europäischen Union bezahlt werden, wenn der Krieg zu Ende ist. Also ein Anreiz, den Krieg schneller zu beenden. Doch die bisherigen Verhandlungen führten zu keinem konkreten Ergebnis.
Wer ist vom Lieferstopp betroffen?
Das Erdgas, das die Ukraine noch im vergangenen Jahr aus Russland in die Europäische Union leitete, ging an Länder wie Ungarn, die Slowakei und Österreich. Diese EU-Länder können Gas über andere EU-Länder bekommen, zum Beispiel Flüssiggas LNG, das jedoch teurer ist.
Nach Ungarn kann Russland weiterhin Gas durch die TurkStream-Pipeline im Schwarzen Meer exportieren. In der Slowakei und Österreich, potenziell in Ungarn und der Region werde der Transitstopp Auswirkungen auf die Gaspreise haben, so Georg Zachmann. Er ist Fachmann für Energiepolitik bei der Brüsseler Denkfabrik Bruegel und am Helmholtz-Zentrum in Berlin.
Die Slowakei ist hier unter den EU-Staaten am stärksten betroffen, da sie Gas nur über die betroffene Pipeline über die Ukraine bezog. Vor allem wegen ihrer Anbindung an das europäische Pipelinenetz und gut gefüllter Gasspeicher dürfte sich der ukrainische Transitstopp in den betroffenen EU-Staaten jedoch nicht allzu heftig auswirken.
Republik Moldau am stärksten betroffen
Anders sieht es jenseits der Grenzen der Europäischen Union bei der Republik Moldau aus, die zwischen der Ukraine und dem EU-Staat Rumänien liegt. Die dortige Elektroenergieproduktion ist zu einem großen Teil von russischen Gaslieferungen abhängig. Wegen der absehbaren Energiekrise hatte die Regierung bereits Anfang Dezember den Notstand ausgerufen.
Aus dem Land waren angesichts des Lieferstopps insbesondere aus der von pro-russischen Kräften kontrollierten Region Transnistrien massive Versorgungsprobleme gemeldet worden.
Vor allem in Moldau könnte der Gaslieferstopp auch politische Auswirkungen haben. Die Regierung befürchtet, Russland ziele darauf ab, prorussische Kräfte an die Macht zu bringen. Steigende Preise könnten sich bei der Parlamentswahl 2025 zugunsten der prorussischen Opposition auswirken. In der Region Transnistrien, wo einige Tausend russische Soldaten stationiert sind, könnte die Situation instabil werden.
Wie verändern sich Versorgung und Gaspreis in Europa?
Laut der polnischen EU-Ratspräsidentschaft ist die Versorgungslage in der Europäischen Union nach dem Ende des Gastransits durch die Ukraine „stabil“.
Auch Energiepolitik-Experte Georg Zachmann sieht die Versorgungssicherheit auch im nächsten Winter gewährleistet. In der Gasversorgung der EU mache russisches Gas noch etwa 15 Prozent aus. „Davon laufen fünf Prozent über die Türkei, fünf Prozent über verflüssigtes Erdgas aus LNG und die letzten fünf Prozent kamen über die Ukraine.“ Wenn diese letzten fünf Prozent nun tatsächlich endgültig wegfallen, könne man sie ersetzen durch zusätzliche LNG-Importe aus anderen Quellen.
Von der EU-Ratspräsidentschaft hieß es auch, es sei "keine bemerkenswerte Erhöhung der Gaspreise" festgestellt worden. Allerdings bekam der europäische Gaspreis Auftrieb: Am ersten Handelstag des Jahres stiegen die Referenzpreise für Januar um bis zu 4,3 Prozent auf 51 Euro pro Megawattstunde und damit auf den höchsten Stand seit Oktober 2023. Ungeachtet dessen bezeichnete die EU-Ratspräsidentschaft lediglich die Lage im Nicht-EU-Mitgliedstaat Moldau als "besorgniserregend".
Insgesamt sei der Gaspreis in ganz Europa immer stärker von den Preisen für LNG geprägt, so Ökonom Zachmann. Insgesamt werde die Abhängigkeit von der Weltmarktkonjunktur stärker, zumindest kurzfristig. Langfristig sinke sie mit dem Ausstieg aus dem Erdgas wieder.
Wie wirkt sich der Durchleitungsstopp auf die Ukraine und auf Russland aus?
Auch auf die Ukraine und Russland wirkt sich der ukrainische Lieferstopp russischen Gases nach Europa aus. Allerdings sei der Effekt auf Russland deutlich größer als der auf die Ukraine, so der Experte für Energiepolitik, Georg Zachmann. Sollte der Stopp endgültig sein, beende er „eine 50-jährige Geschichte der Zusammenarbeit ursprünglich der Sowjetunion und dann Russlands mit Westeuropa“. Damit habe Russland zum einen „wahnsinnig viel Geld verdient“. Zum anderen habe es über die selektive Belieferung von Ländern über die verschiedenen Gasstränge – über die Ostsee mittels Nordstream, über Polen, über die Ukraine und über die Türkei – inklusive der Möglichkeit des An- und Abdrehens des Gashahns großen politischen Einfluss in der EU ausgeübt.
Mit dem Wegfall des Ukraine-Transits sei nun – mit Blick auf die Gasstränge – „der dritte dieser vier Arme abgeschlagen und Russland kaum mehr in der Lage, hier politische Spiele zu spielen“, sagt Zachmann.
Auch finanziell wirke sich der ukrainische Gaslieferstopp auf Russland deutlich stärker aus als auf die Ukraine: Russland fielen Einnahmen in Höhe von wohl fünf Milliarden Dollar weg. Diesen Ausfall könne es zumindest kurzfristig kaum kompensieren. Die Ukraine hingegen hätte demnach wahrscheinlich für den Transit einige Hundert Millionen Euro erhalten.
Welche Reaktionen gibt es auf den Gaslieferstopp?
In der Slowakei, die unter den betroffenen EU-Staaten am meisten von russischem Gas abhängig war, führte der ukrainische Gaslieferstopp zu politischen Protesten: Der linkspopulistische und prorussische Ministerpräsident Robert Fico drohte angesichts des Lieferstopps, die Unterstützung für ukrainische Flüchtlinge einzuschränken. Zudem wiederholte er die bereits früher ausgesprochene Drohung, die Slowakei könnte Stromlieferungen in die benachbarte Ukraine einstellen. Daraufhin protestierten in Bratislava Anfang Januar 2025 rund 4.000 Ukraine-Unterstützer gegen Fico.
Die Slowakei und auch Ungarn hatten sich über die Entscheidung der Ukraine, die Durchleitungen zu beenden, beschwert. Inzwischen hat die slowakische Regierung aber mehrfach selbst betont, dass keine Lieferengpässe drohen.
Wie ist Deutschland betroffen?
Da Deutschland kein Gas mehr per Pipeline bezogen hat, werde sich aus dem ukrainischen Transitstopp für die Versorgung hierzulande kaum eine Veränderung ergeben, erläutert Energiepolitik-Experte Georg Zachmann.
Auch laut Bundeswirtschaftsministerium hat der Lieferstopp keine Auswirkungen auf Deutschland.
abr