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Gasstreit Ukraine-Russland
Schockenhoff: Russland ist auf Gasexporte angewiesen

Der Westen solle im Konflikt um Gaslieferungen selbstbewusster agieren, sagt Unions-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff im Deutschlandfunk. Russland und Präsident Putin seien "von den Gaslieferungen deutlich abhängiger als seine Kunden - wenn diese geschlossen auftreten. Dort liegt der Hebel".

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
    Andreas Schockenhoff (picture alliance/ZB/Karlheinz Schindler)
    Im Streit zwischen Russland und der Ukraine um Gaslieferungen läuft am Montagmorgen um 8 Uhr MESZ eine weitere Zahlungsfrist Russlands ab. Ab dann droht Moskau damit, Gas nur noch gegen Vorkasse zu liefern oder der Ukraine den Gashahn abzudrehen. Andreas Schockenhoff kritisierte im Deutschlandfunk, dass Russland einen "willkürlichen Preis" als politisches Mittel einsetze. Der Preis werde für jeden Kunden nach politischem Wohlverhalten anders gestaltet.
    Demokratie eine Gefahr für Putins "kleptokratisches System"
    Schockenhoff war 2013 Russland-Beauftragter der Bundesregierung. Es gebe gegensätzliche Interessen zwischen Europa und Russland in der Ukraine. "Wir wollen eine stabile rechtsstaatliche Entwicklung, das Putin-Regime das Gegenteil. Denn eine demokratische Entwicklung ist eine Gefährung für sein kleptokratisches System." Es handele sich um einen harten Machtkampf. Putin wolle Unsicherheit und dass die Entwicklung zu einer rechtsstaatlichen Demokratie scheitert.
    In diesem Machtkampf habe der Westen jedoch starke Mittel, auch wenn ein militärisches Eingreifen zurecht ausgeschlossen worden sein. Langfristig sei Russland von den Gaslieferungen deutlich abhängiger als seine Kunden, "wenn diese geschlossen und einig auftreten. Dort liegt der Hebel". Russland habe eine rückständige Wirtschaftsordnung, die sich zum Problem entwickle.
    Zwei Dinge seien wichtig: "2008 nach der Georgien-Krise hat Putin Europa erfolgreich gespalten. Das darf uns nicht erneut passieren." Zum anderen müsse die Entwicklung Richtung Rechtstaatlichtkeit und Demokratie in der Ukraine erfolgreich sein.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Anfang Juni wurde in der Normandie des 70. Jahrestages der Landung der Alliierten gedacht. Unter den Gästen neben Barack Obama und Angela Merkel war auch der russische Staatspräsident Wladimir Putin. Das Erinnern an den D-Day, es hat für einen Moment den Westen und Russland wieder einander näher gebracht und einige Zeichen und Ankündigungen von Putin haben dann auch Hoffnung gemacht. Aber jetzt haben prorussische Separatisten ein Militärflugzeug abgeschossen. 49 ukrainische Soldaten sind tot. Außerdem: Die Gasgespräche zwischen beiden Ländern sind gescheitert, alles keine guten Zeichen.
    Bis letztes Jahr war Andreas Schockenhoff Russland-Beauftragter der Bundesregierung, jetzt ist er stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Mit ihm möchte ich mich über die Gasverhandlungen und auch über andere wichtige Themen unterhalten, die am Wochenende die Schlagzeilen in der Ukraine dominiert haben. Guten Morgen, Herr Schockenhoff!
    Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Herr Meurer.
    Meurer: In wenigen Stunden läuft das Ultimatum ab in Sachen Gaslieferungen Russlands an die Ukraine. Läuft es auf ein Scheitern hinaus?
    Schockenhoff: Es läuft nicht auf ein Scheitern hinaus, aber wir müssen ganz realistisch erkennen, dass die Europäische Union und Moskau in unserer gemeinsamen Nachbarschaft gegenteilige Interessen haben. Wir wollen eine stabile rechtsstaatliche Entwicklung dort haben, weil Instabilität die Friedensordnung in Europa gefährdet, aber das Putin-Regime will genau das Gegenteil, denn eine demokratische Entwicklung, die erfolgreich ist, wirtschaftlich erfolgreich ist, Korruption bekämpft, ist eine Gefährdung für sein eigenes kleptokratisches System. Deswegen will Putin Unsicherheit. Er will, dass die Hinwendung zu einer modernen rechtsstaatlichen demokratischen Entwicklung scheitert. Es handelt sich also um einen sehr harten Machtkampf.
    Nun ist die Frage, ob wir in diesem Machtkampf mitladen oder nicht. Zu Recht haben alle vernünftigen Politiker in der EU militärische Antworten auf eine militärische Aggression Russlands ausgeschlossen. Wenn wir aber nicht militärisch reagieren, ist die Frage, ob wir gar nicht reagieren.
    Wir haben Mittel in diesem Machtkampf und dann ist die zweite Frage, ob wir bereit sind, diese Mittel auch hart in einem Streit mit einem Gegner, der grundsätzlich eine andere Ordnung in Europa will als wir, einsetzen.
    Meurer: Bevor wir über diese Sanktionen reden, Herr Schockenhoff, noch mal zum Thema Gasverhandlungen. Gibt es eine Berechtigung für Russland zu sagen, wenn denn die Ukraine sich von uns abwendet, dann, bitte schön, müssen sie eben auch die Gasrechnungen teurer bezahlen?
    Schockenhoff: Russland setzt Gas, vor allem einen willkürlichen Preis, der nach politischem Wohlverhalten für jeden Kunden anders gestaltet wird, als Mittel in diesem Machtkampf ein. Aber langfristig ist Russland von diesen Gaslieferungen wesentlich abhängiger als wir. Russland hat seine Reichtümer nicht benutzt, um das Land zu diversifizieren. Russland hat eine rückständige Wirtschaftsordnung, die mehr und mehr zum wirtschaftlichen Problem wird, und die Energiemärkte verändern sich weltweit, sodass auch die Möglichkeiten, Gas und Energie anderweitig zu beziehen, für die EU insgesamt und mittelfristig auch für die Ukraine steigen.
    Also ist Russland von diesen Gaslieferungen abhängiger als seine Kunden, wenn die Kunden geschlossen und einig auftreten. Dort liegt der Hebel. Also wird Russland langfristig auf einen Kompromiss einsteigen müssen, wenn es nicht kurzfristig sogar die Hauptquelle des russischen Haushaltes versiegen lassen will.
    Meurer: Wenn Russland den Gashahn zudreht, obwohl dann die Einnahmen verloren gehen, was bedeutet das für die EU und für Deutschland?
    Schockenhoff: Das bedeutet, dass zwei Dinge jetzt für uns das Wichtigste sind. Das Erste ist Geschlossenheit. 2008 nach der Georgien-Krise hat Putin die Europäische Union erfolgreich gespalten. Er hat die einen bestraft, auch mit einem überzogenen Gaspreis, und er hat andere mit bilateralen Verträgen, die ihm entgegengekommen sind, bilateral, also einzelne Staaten, aber auch nichtstaatliche Akteure, belohnt. Das darf uns nicht erneut passieren. Wir müssen zusammenstehen. Und wenn die Ukraine nicht mit Gas beliefert wird, dann wird der Westen insgesamt nicht beliefert. Dann müssen wir bereit sein, auch umgekehrt aus dem Gas, das insgesamt aus Russland nach Europa kommt, die Ukraine mitzuversorgen. Dann muss sich Russland fragen, ob es ein einzelnes Land gezielt herausgreift und bestraft, oder ob es insgesamt seine Absatzmärkte infrage stellt. Das kann Russland überhaupt nicht eingehen, ein solches Risiko.
    Und das Zweite: Wir müssen dafür sorgen, dass die Hinwendung zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Kampf gegen die Korruption ein Erfolg wird. Denn nichts ist für das kleptokratische Regime in Moskau gefährlicher als eine erfolgreiche rechtsstaatliche, demokratische, freiheitliche Entwicklung in seiner Nachbarschaft.
    Meurer: Dominierendes Ereignis am Wochenende, Herr Schockenhoff, war der Abschuss eines ukrainischen Militärflugzeuges durch prorussische Separatisten. Alle ukrainischen Soldaten an Bord, 49, sind ums Leben gekommen. Gehen Sie fest davon aus, dass die Rakete oder die Raketen, die die Separatisten benutzt haben, um die Maschine abzuschießen, aus Russland stammen?
    Schockenhoff: Ja selbstverständlich! Man kennt ja die Typen. Man kennt bei vielen Waffen, sogar die Seriennummern. Es ist ganz eindeutig, dass Russland Waffen liefert, aber auch, dass russische Geheimdienstleute, russische Soldaten zu Tausenden im Osten der Ukraine aktiv sind. Sie sagen das übrigens auch selber und die sogenannten Separatisten sagen ja auch, dass sie sich in ihren Einheiten - in der Regel ist so das Bauprinzip: Ein russischer Geheimdienstmann, ein russischer Elitesoldat plus vier ukrainische Separatisten bilden eine Zelle, die sich dann wieder zu größeren Einheiten organisieren. Und die Ukrainer sagen selber, wir unterstellen uns der Führung der Russen, weil die geschult sind und weil sie unmittelbar geführt werden, weil sie Anweisungen haben, weil sie auch über militärische Führungsinstrumente verfügen. Also das ist eindeutig.
    Übrigens spielt Russland hier mit einer Verunsicherung, mit einer Täuschung und mit Tricksen. Auf der einen Seite wird das geleugnet, auf der anderen Seite werden Geheimdienstleute, Soldaten dafür dekoriert, dass sie in der Ukraine im Krieg sich bewähren. Das ist Teil dieser nicht offenen und transparenten, sondern mit Tarnung und Täuschung und Verunsicherung arbeitenden Taktik.
    Meurer: So schlimm dieser Angriff auf das Flugzeug gewesen ist, ist das der richtige Weg, wenn der neue ukrainische Präsident jetzt von Vergeltungsaktionen spricht?
    Schockenhoff: Nein! Aber wer gehofft hat, nach den ukrainischen Wahlen gäbe es jetzt plötzlich einen Durchbruch in Friedensverhandlungen, von heute auf morgen würde Putin, der eine aggressive Politik macht und eine andere Lösung in dieser Region will, als sie Europa will, als sie die Mehrheit der Menschen in der Ukraine wollen, der sieht sich getäuscht. Es ist ein hartes Machtspiel und Putin reagiert auf Druck, und deswegen ist es die Frage: Das gefällt uns nicht. Wir würden sehr gerne andere Mittel verwenden. Aber ob wir zuschauen und sagen, wir sind lieb, aber wenn die anderen nicht lieb sind, haben wir Pech gehabt, oder ob wir sagen, wir werden nie mit militärischen Mitteln vergelten, aber wir sind bereit, unsere Werte und unsere Gesellschaftsordnung, unsere politische Ordnung auch mit den Machtmitteln, die wir haben, robust zu verteidigen. Und dazu gehören eben wirtschaftliche Instrumente. Diese spielen ...
    Meurer: Neben diesen Sanktionen, Herr Schockenhoff – Entschuldigung, wenn ich noch mal auf den Punkt komme -, fordern Sie, dass die ukrainische Regierung eine Vergeltungsaktion unterlässt?
    Schockenhoff: Nein! Die ukrainische Regierung muss erstens Sicherheit schaffen und ein reiches Land - im Osten des Landes sind reiche Ressourcen, sind wirtschaftliche Schätze, droht eine humanitäre Katastrophe. Ich fordere zunächst, dass die ukrainische Regierung das nicht tatenlos dorthin schlittern lässt, sondern dass sie mit allen rechtsstaatlichen Mitteln – und ein Rechtsstaat muss sich wehren müssen ...
    Meurer: Aber haben wir da nicht eine Spirale der Gewalt?
    Schockenhoff: Dort wo ein Rechtsstaat militärisch angegriffen wird, muss er sich natürlich auch militärisch wehren. Das ist ganz klar. Aber auf der anderen Seite immer auch das Angebot zu Gesprächen machen. Deswegen fordere ich, um auf Ihre Frage zu kommen, dass Poroschenko nicht nur Vergeltung ankündigt, sondern dass er jeder Zeit auch zu konstruktiven Gesprächen bereit ist. Aber konstruktive Gespräche sind nur möglich, wenn Putin merkt, dass er mit Gewalt nicht einseitig seine Interessen durchsetzen kann, die die Existenz der Ukraine ausschließen.
    Meurer: Aber Gespräche sind dann Lichtjahre entfernt. Es wird weiter gekämpft, geschossen und gestorben.
    Schockenhoff: Putin reagiert sehr, sehr kurzfristig und sehr, sehr machtpolitisch auf Druck. Noch am Tag der ukrainischen Wahl – das war vorletzten Sonntag – hat Putin gesagt, er werde niemals diesen Staat anerkennen und diese Wahlen anerkennen. Nachdem die EU sehr ruhig, aber klar gesagt hat, von dem Umgang mit dem Wahlausgang durch Putin hänge auch die Frage ab, ob es zu einer nächsten Stufe von Sanktionen kommt, hat Putin eine Woche später beim D-Day in der Normandie mit Poroschenko gesprochen.
    Also Putin ist ein sehr robuster und knallharter Machtpolitiker, aber er ist ein Realist. Und wo er sieht, dass er den Kürzeren zieht, dass die Gegenseite nicht machtlos ist, sondern Machtinstrumente, die durch unsere wirtschaftliche Stärke uns gegeben sind, auch wenn es für uns selber schwierig ist, bereit ist einzusetzen, dann wird er reagieren, und deswegen ist die Frage, ob wir einfach tatenlos zuschauen, oder ob wir sagen, wir wollen diesen Streit nicht, aber wir sind in diesem Streit nicht zahnlos und wir werden uns wehren. Wir werden auf jeden Fall eine Friedensordnung, die wir über 40 Jahre in der Europäischen Union aufgebaut haben, und die Werte, auf der diese Friedensordnung beruht, nicht tatenlos aufgeben.
    Meurer: Andreas Schockenhoff, stellvertretender Unions-Fraktionsvorsitzender, plädiert weiter für einen harten Kurs gegen Russland. Danke schön, Herr Schockenhoff, und auf Wiederhören.
    Schockenhoff: Auf Wiederhören, Herr Meurer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.