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Gauck-Kritik
"Es geht um Aufarbeitung, nicht Parteipolitik"

Kathrin Göring-Eckardt hat die kritischen Äußerungen von Joachim Gauck zur Debatte über einen möglichen thüringischen Ministerpräsidenten aus der Linkspartei begrüßt. Der Bundespräsident könne durchaus Position beziehen, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende im DLF. Schließlich habe man sich ein meinungsstarkes Staatsoberhaupt gewünscht.

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt, äußert sich am 01.04.2014 bei einer Pressekonferenz im Bundestag in Berlin nach der Fraktionssitzung der Partei zu aktuellen Themen.
    Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte im Interview die Reaktion der Linkspartei. (dpa picture alliance / Bernd Von Jutrczenka)
    Dass der Eindruck entstanden sei, der Bundespräsident mische sich in Parteipolitik ein, könne sie zwar verstehen. Aber aus ihrer Sicht stecke mehr dahinter. Es gehe letztlich um die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei oder nicht. Diese Diskussion müsse weitergeführt werden, so Kathrin Göring-Eckardt.
    Es stimme eben nicht, dass die Linkspartei die Vergangenheit aufgearbeitet habe. Dazu gehöre das Eingeständnis, dass es den SED-Unrechtsstaat gegeben habe. Ohne eine Entschuldigung bei den Opfern werde die Linkspartei in Thüringen nicht regieren können.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Der Bundespräsident ist zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet. So haben es bisher alle im Amt gehandhabt, mal mehr, mal weniger. Jetzt schaltet sich Joachim Gauck in die Debatte darüber ein, ob die Linkspartei bald mit Bodo Ramelow in Thüringen den ersten Regierungschef stellen soll: mit klaren Vorbehalten. Er bekennt, dass er nicht voll darauf vertrauen kann, dass in der Linkspartei nicht noch viel von der SED des Unrechtsstaates DDR steckt. Das löst Streit und eine Debatte über die Rolle des Staatsoberhauptes aus. Am Telefon ist Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Schönen guten Morgen.
    Katrin Göring-Eckardt: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Fangen wir gleich mit der entscheidenden Frage an. Darf der Bundespräsident das?
    Göring-Eckardt: Ja. Wir haben einen Bundespräsidenten gewählt, der meinungsstark ist, und wir wollten, dass er seine Meinung sagt, nicht nur wir, sondern viele andere auch, und dass er auch seine persönlich dezidierte zugespitzte Meinung sagt und Debatten anstößt. Und insofern: Na klar darf er das.
    Barenberg: Das darf er auch, wenn es gerade eine Mitgliederbefragung in Thüringen gibt, wenn er sich also einschaltet in laufende tagespolitische Debatten und Abläufe?
    Göring-Eckardt: Na ja. Wenn man jetzt sagen würde, er darf sich nicht in bestimmte Sachen einmischen, dann sollten wir mal bitte den Katalog festlegen. Nein, das finde ich nicht. Er kann das machen und ich bin nun wirklich der festen Überzeugung, dass diese Debatte, die ja nicht erst stattfindet, seit der Bundespräsident seine Meinung dazu geäußert hat, auch weiter geführt werden muss, dass das eine besondere Situation ist. Deswegen diskutieren wir ja, dass in Thüringen, während die SPD-Mitglieder abstimmen, das eine weitere Meinung ist, und die wird sicherlich nach den vielen Diskussionen, die da gerade in der SPD stattgefunden haben, jetzt nicht den einen oder anderen, weil es der Bundespräsident jetzt sagt, in die eine oder andere Richtung bringen. Und ich finde, ehrlich gesagt, wenn man sich anschaut, in welcher Situation wir sind, wie da verhandelt worden ist, ist doch auch für die Thüringer, für die drei Parteien völlig klar: Das ist eine außerordentliche Situation. Und der Bundespräsident hat gesagt, das fällt Menschen in seinem Alter, die in der DDR in Unterdrückung groß geworden sind, schwer. Das fällt mir auch schwer, obwohl ich jünger bin, aber auch in der DDR groß geworden bin. Und deswegen sind eine ganze Reihe von Verabredungen getroffen worden, die man normalerweise bei Koalitionen nicht verabredet: Zum Beispiel, dass kein Mensch, der im Sicherheitsapparat der DDR gewesen ist, der Regierung angehören kann, und natürlich die große Debatte über die Frage, war das ein Unrechtsstaat ja oder nein.
    "Eine Debatte, die über Parteipolitik hinausgeht"
    Barenberg: Ich würde gleich noch einen Augenblick reden wollen über die Sache selbst, aber noch mal kurz zurückkommen zu der Frage, ob der Bundespräsident damit eine Grenze überschritten hat. Sie sagen, Sie haben sich einen meinungsstarken Bundespräsidenten gewünscht. Sie haben sich auch eingesetzt für die Wahl von Joachim Gauck. Ist es aber nicht doch so, dass man so langsam den Eindruck bekommt, dass er sich in Grenzbereiche dessen vorwagt, was bisher so üblich war bei Bundespräsidenten?
    Göring-Eckardt: Das kann man sicher sagen, dass man nicht in jedem Fall, in jeder Äußerung eine vergleichbare Äußerung eines anderen Bundespräsidenten findet. Ja. Aber es gab natürlich auch bei anderen immer Aufregung darüber, darf er das da und dazu sagen. Ich finde, ehrlich gesagt, der Eindruck, dass das Parteipolitik sei, der kann ja entstehen. Da verstehe ich auch alle, die sich so geäußert haben. Aber ich glaube, da ist mehr dahinter. Da ist die Frage dahinter, wie man mit Aufarbeitung umgeht, wie man nach 25 Jahren mit einer Partei umgeht, und auch da hat der Bundespräsident ja Recht, wo nicht alle in der Partei sehr klar und sehr eindeutig die DDR als Unrechtsstaat, als Diktatur einordnen, und das ist eine Debatte, die geht über Parteipolitik hinaus.
    Göring-Eckardt kritisiert Opfer-Haltung der Linkspartei
    Barenberg: Nun ist es so in der Debatte, dass die Reaktionen quasi reflexartig sind: Empörung bei der Linkspartei, Verständnis aufseiten der Union beispielsweise. Ist es eigentlich bedauerlich, dass diese Reaktionen, die wir jetzt hören, so erwartbar sind?
    Göring-Eckardt: Ja. Ich meine, wenn man sich die Reaktionen der Linkspartei anguckt, dann ist das wieder diese Haltung nach dem Motto, wir sind Opfer einer Debatte. Nein, das ist nicht so. Ich teile auch nicht, was Katja Kipping gesagt hat, dass die Linkspartei nun wahrlich viel und genug aufgearbeitet habe. Das stimmt nicht. Sonst hätten wir die Diskussion nämlich nicht. Der Bundespräsident hat gesagt, er weiß nicht, ob alle Teile der Linkspartei schon so weit sind, dass sie genügend Abstand zu dem haben, was die SED gemacht hat, und damit hat er einfach Recht. Sonst hätten wir nicht eine Diskussion, die Gregor Gysi anzettelt und versucht, mit ganz vielen rhetorischen Schleifen dann zu vermeiden, deutlich zu machen, dass die DDR ein System war, in dem Unrecht geschehen ist. Aber ehrlicherweise, wenn ich mir die Bundestagsfraktion der Linken angucke, dann sehe ich natürlich auch Leute aus Westdeutschland, die alles nur einordnen können in ein Weltbild, wo es auf der einen Seite um Antiamerikanismus geht und auf der anderen Seite um die Guten. Herr Gehrke hat vor kurzem eine Pressemitteilung herausgegeben, wo es um die Beurteilung der Wahlen in der Ukraine ging in diesem Sinn, und insofern würde ich sagen, das kann man auch nicht nur auf die Ostdeutschen Beziehen.
    "Es geht um Erinnerungskultur, um Aufarbeitung, es geht um ein Schuldeingeständnis der Linken"
    Barenberg: Lassen Sie uns über die Grünen sprechen. Cem Özdemir, einer Ihrer Vorsitzenden, hat ja Gauck in Schutz genommen, hat gesagt, er drückt die Sorgen und die Gefühle der Menschen aus, der Opfer zumal des DDR-Unrechts. Die andere Vorsitzende, Simone Peter, mahnt dagegen parteipolitische Neutralität an. Wir haben gerade Hans-Christian Ströbele gehört. Warum ist es für die Grünen eigentlich gerade offenbar so schwer, da eine eindeutige Haltung einzunehmen?
    Göring-Eckardt: Na ja. Wir sind die Partei, die das Erbe der Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler im Namen trägt und in ihrer Geschichte und auch in ihrer Gegenwart. Und dass es bei uns darüber eine Diskussion gibt, das finde ich, ehrlich gesagt, besser, als wenn man alle gleichschaltet. Ich würde mich freuen, wenn es so eine Debatte auch in der CDU gäbe, wenn man sich anschaut, dass die Union nach 1990 - und zwar kommentarlos und ohne weitere Aufarbeitung - die Blockparteien aufgenommen hat, inklusive der Bauernpartei, die deswegen zu erwähnen ist, weil sie nun in besonderer Weise die SED und die Ideologie der SED auf dem Land durchsetzen sollte, insofern ich finde es gut, wenn wir darüber diskutieren. Ich würde wie gesagt den schnellen Reflex, das ist Parteipolitik, nicht teilen, weil ich sage, da geht es um mehr, da geht es tatsächlich um eine gesellschaftliche Diskussion, es geht um Erinnerungskultur, um Aufarbeitung, es geht um ein Schuldeingeständnis der Linken. Das ist in Thüringen passiert, in der Bundespartei so nicht. Und es geht natürlich auch darum, das aufzuarbeiten und sich um die Opfer zu kümmern. Das ist in den letzten 25 Jahren in Thüringen jedenfalls nicht so passiert, dass alle zufrieden sein können unter CDU-Regierung.
    "Anerkennung des Systems Unrechtsstaat"
    Barenberg: Der Beauftragte für die Stasi-Unterlagen, Ronald Jahn, argumentiert ja ähnlich. Er sagt, viele Menschen gerade in Ostdeutschland hätten die Linkspartei nicht als eine Partei erlebt, die sich wirklich ihrer geschichtlichen Verantwortung gestellt hat. So argumentieren Sie auch. Was fehlt denn vor allem noch zur Aufarbeitung in der Linkspartei?
    Göring-Eckardt: Ich glaube tatsächlich, dass zu einem echten Aufarbeitungsprozess erst mal gehört, dass man sagt, ja, das ist so gewesen, da gibt es auch nichts dran rumzudeuten. Die Rede davon, dass es um Biografien geht, die entwertet würden, die halte ich, ehrlich gesagt, für eine der Ablenkungsmanöver, die da drin sind, weil es geht nicht bei den einen und nicht bei den anderen um Biografien, die man entwertet. Es geht weder darum, dass man entwerten darf die Biografie desjenigen, der im Jugendwerkhof, also dem Jugendknast der DDR furchtbar gelitten hat, und auch nicht derjenigen, die ein richtiges Leben im falschen geführt haben, weil sie fröhliche Familienfeste gefeiert haben in einer Diktatur. Man muss trotzdem klar und deutlich sagen, das System war es, und dann wird man irgendwann sehen müssen, ob sich eine Partei, die ja Schild und Schwert der DDR als Partei gewesen ist, also eine führende Rolle hatte, auch dafür entschuldigen kann, ob es dann irgendwann auch zu einem Versöhnungsprozess kommen kann. Aber zunächst mal geht es darum, dass es tatsächlich eine Anerkennung des Systems Unrechtsstaat gibt und ob es eine tatsächliche Entschuldigung gibt bei den Opfern und eine echte Aufarbeitung. Das hat mit Geld zu tun, das hat mit Energie zu tun, die da hineingesteckt wird, und ohne das wird es so eine Koalition in Thüringen auch nicht geben.
    Barenberg: ..., sagt Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Göring-Eckardt: Ich bedanke mich auch. Auf Wiederhören!
    Barenberg: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.