Vielleicht sei es aber auch möglich, dass sich CDU und CSU einen entsprechenden Kandidaten vorstellen könnten. "Die Offenheit, die hier von allen Seiten auch signalisiert wurde, muss man sich durchaus aneignen", sagte Mattheis. Außerdem findet Mattheis, es sei an der Zeit, dass eine Frau in das höchste Amt des Staates gewählt werde.
Die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, hatte die SPD aufgefordert, einen gemeinsamen rot-rot-grünen Kandidaten zu benennen. SPD-Chef Sigmar Gabriel will dagegen zunächst einen Vorschlag von Kanzlerin Angela Merkel abwarten.
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Bundespräsident Joachim Gauck hat heute Vormittag mehr Engagement für Klimaschutz und die Energiewende angemahnt. Er hat in der Sache damit genau das gemacht, was er gestern angekündigt hat, als er seinen Verzicht auf eine zweite Amtszeit öffentlich gemacht hat, aber auch gesagt hat, er werde sein Amt bis zum 17. März weiter ausüben. Er macht jetzt weiter, als wäre nichts gewesen, aber die Parteien, die müssen natürlich anfangen, die Kandidatenfrage zu sortieren. Denn je früher die geklärt ist, desto weniger überlagert sie den beginnenden Bundestagswahlkampf.
Den Stand an Tag eins nach der Erklärung Gaucks fasst aus Berlin Gudula Geuther zusammen: (Beitrag von Gudula Geuther zum nachhören)
Am Telefon ist jetzt Hilde Mattheis, SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21. Guten Tag!
Hilde Mattheis: Guten Tag.
Schulz: Werden die Sozialdemokraten den Vorschlag aufgreifen, der ja von der Linken kommt, mit einem rot-rot-grünen Kandidaten in die Bundesversammlung zu gehen?
Mattheis: Aber wie sollten Sie von mir da eine abschließende Antwort erwarten können? Das ist ein Prozess und ich glaube, dass man die Offenheit, die hier von allen Seiten auch signalisiert wurde, sich durchaus aneignen muss. Wie die Konstellation jetzt sein wird, das wird man im Laufe des Herbstes sicherlich auch erst mal aus den Reaktionen der CDU/CSU spüren können. Ich würde ungern irgendetwas ausschließen. Dass eine Persönlichkeit, die vor allen Dingen auch die sozialen und die Gerechtigkeitsthemen repräsentiert, mir am Liebsten wäre, das will ich gar nicht verhehlen.
Schulz: Aus der Parteispitze, aus der SPD-Parteispitze, da kommt jetzt aber eher dieses Signal, wir warten jetzt erst mal ab, was die anderen machen. Finden Sie das richtig?
Mattheis: Ich glaube, dieses Signal, so wie das jetzt geäußert wurde, ist etwas, was sicherlich hinter den Kulissen keine Rolle spielt. Ich bin sicher, dass jeder damit verantwortlich umgeht.
Schulz: Dann versuche ich es noch mal. Was die SPD letztendlich macht, das wissen Sie heute natürlich nicht. Aber Sie müssten uns ja sagen können, was Sie für richtig halten.
Mattheis: Ja.
Schulz: Soll es einen rot-rot-grünen Kandidaten geben?
Mattheis: Ich hielte es für richtig, wenn in dieser Zeit der großen Konflikte, wenn in dieser Zeit, wo die Armuts- und Reichtumsschere so weit auseinandergeht, wo viele Leute auch Angst haben, abgehängt zu werden, wenn wir eine Persönlichkeit bekämen, die im Prinzip genau diesen Punkt aufgreifen würde und die gesellschaftliche Debatte mitbestimmen würde. Das hielte ich für richtig.
Schulz: Also einen rot-rot-grünen Kandidaten?
"Das ist ein Annäherungsprozess"
Mattheis: Ich kann mir vorstellen, dass ein rot-rot-grüner Kandidat das am besten repräsentieren würde. Ich weiß nicht, ob nicht die CDU/CSU auch bereit ist, an diesem Punkt zu sagen, die gesellschaftlichen Konflikte sind so groß, in dieser Richtung können wir uns eine Kandidatin, einen Kandidaten vorstellen.
Schulz: Aber was wäre denn das für ein Gauck-Nachfolger, wenn wir jetzt auf die Inhalte schauen? Der rot-rot-grüne Kandidat, für den Gedanken, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, haben Sie ja große Sympathie. Das müsste dann jemand sein, der, wie die Linkspartei es ja fordert, sagt "raus aus der NATO, wir holen alle Truppen zurück". Das wäre in der Sache ja ein Anti-Gauck. Das wäre die Idee?
Mattheis: Da will ich mich überhaupt nicht anschließen und auch gar nicht in diese Schublade packen lassen. Überhaupt nicht, sondern da müssen alle Parteien, die sich da auf den Weg machen, so eine Person miteinander zu suchen und festzulegen, über die eine oder andere Hürde springen. Das glaube ich schon. Ich glaube nicht, dass bei einer Koalition für eine Person des Bundespräsidenten da eine Partei besonders ihre Duftmarken setzen könnte. Das ist für mich dann auch ein Beleg dafür, ob etwaige andere Gespräche und Debatten dann in aller Ernsthaftigkeit geführt werden könnten in Bezug auf 2017. Ich glaube, dass niemand dort in seinen Ansprüchen sich alleine durchsetzen sollte, sondern das ist ein Annäherungsprozess.
Schulz: Da verstehe ich Sie inhaltlich jetzt, ehrlich gesagt, nicht, Frau Mattheis. Das sind ja nun unverbrüchliche Positionen der Linken. Die wollen raus aus der NATO und die wollen, jetzt sehr stark verkürzt gesagt, alle Bundeswehrtruppen zurückholen. Jetzt sprechen wir über einen Bundespräsidenten-Kandidaten, der nun ausgerechnet das nicht verkörpern soll, oder ist das jetzt doch das Plädoyer, nicht mit einem gemeinsamen Kandidaten an den Start zu gehen?
Mattheis: Das habe ich nicht gesagt, sondern ich habe gesagt.
Schulz: Dann erklären Sie es noch mal.
Mattheis: Sehr gerne. Sondern ich habe gesagt, wenn sich Rot-Rot-Grün für einen Kandidaten entscheiden würde - und die parlamentarische Mehrheit hätte Rot-Rot-Grün ja im Bundestag; die Bundesversammlung muss man sehen, das ist richtig -, dann wäre im Prinzip das auch ein Annäherungsprozess, den alle drei Parteien leisten müssten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man da nicht kompromissbereit wäre und seine politischen Forderungen, die ja nicht unmittelbar mit einer Person des Bundespräsidenten zu verbinden wären, in Reinkultur umsetzen wollen würde, weil das ist wirklich naiv.
"In diesem Land gibt es sehr viele verantwortungsvolle Männer und Frauen"
Schulz: Dann müssen wir vielleicht doch versuchen, es noch konkreter zu machen. An welche Namen denken Sie denn, die all das verkörpern könnten?
Mattheis: Wir hatten eine Kandidatin vor einiger Zeit, Gesine Schwan. Ich halte Gesine Schwan immer noch für eine Person, die hoch integrationsfähig ist. Die Jutta Allmendinger wird genannt. Die Reihe kann man fortsetzen, beliebig fortsetzen. In diesem Land gibt es sehr viele verantwortungsvolle Männer und Frauen, die dieses Amt, dieses repräsentative Amt sehr gut ausfüllen könnten.
Schulz: Muss es eine Frau werden?
Mattheis: Ach, ich fände das jetzt mal ganz schön, weil ich glaube, dass wir auch damit ein Signal setzen würden für dieses Amt. Aber ich sage mal, an dem Punkt ist es sicherlich vor allen Dingen eine Frage der Persönlichkeit, und da, sage ich, gibt es viele gute Frauen, viele gute Männer.
Schulz: Was ist denn mit dem Punkt, auf den möglicherweise die Linken auch großen Wert legen werden, nämlich ein Migrationshintergrund? Den haben die beiden von Ihnen gerade genannten Frauen, soweit ich weiß, nicht. Deswegen versuchen wir das doch noch mal fortzuspinnen.
Mattheis: Ich bitte Sie! Das habe ich natürlich nicht abschließend gemeint. Wer sollte das in diesem Stadium der Diskussion abschließend meinen? Sondern ich habe beispielhaft genannt, welche Personen in meinen Augen dafür in Frage kämen, und die sind ja auch schon in etwaigen Runden genannt. Von daher glaube ich, dass das ein Prozess sein wird, den man jetzt in den nächsten Monaten sehr mitgestalten sollte, und ich kann mir gut vorstellen, dass da viele Menschen auch dabei sind, die Migrationshintergrund haben.
"Lasst uns so ein gesellschaftliches Aufbruchsignal setzen"
Schulz: Frau Mattheis, ich würde jetzt gerne noch mal den Schritt zurück, machen und noch mal aufs große Ganze schauen. Wir sind ein, sagen wir mal, gutes Jahr vor der Bundestagswahl. Die SPD ist im Moment bei knapp 20 Prozent und muss sich entscheiden, ob und mit welchem Profil sie in diese Bundestagswahl geht, ob und wie sie sich weiter kleinmachen lässt von der Union. Sie sind jetzt eine dezidierte Vertreterin des linken Flügels. Wieso hören wir auch von Ihnen heute Mittag nicht das klare Plädoyer für einen rot-rot-grünen Bundespräsidenten-Kandidaten?
Mattheis: Weil ich glaube, dass ein Bundespräsident etwas ist, was im Prinzip die Bestimmung oder die Einigung ein Prozess ist. Mir würde sehr gut gefallen, wenn diese Person im Prinzip vor allen Dingen die Themen der sozialen Gerechtigkeit in den Fokus rücken würde. Das, glaube ich, wäre schon eine gute Geschichte, die man über die drei Parteien, die Sie genannt haben, sehr gut mehrheitsfähig machen könnte. Ich glaube, dass in diesem Bereich wirklich eine rot-rot-grüne Konstellation vor allen Dingen, weil die Schnittmenge sehr groß ist beim Thema soziale Gerechtigkeit, dass diese Schnittmenge gut repräsentiert würde. Das ist der Punkt. Und in diesem Prozess, glaube ich, muss man vor allen Dingen die Persönlichkeit von Bundespräsidenten im Blick haben, von Bundespräsidentinnen im Blick haben, und da bin ich sicher werden wir in den nächsten Monaten noch Etliches zu diskutieren haben. Ich habe eine große Neigung, das so zu sagen: Lasst uns so ein gesellschaftliches Aufbruchsignal setzen und genau in diesem Bereich quasi auch einen Schwerpunkt setzen. Die Neigung habe ich schon.
Schulz: Ja, Frau Mattheis. Jetzt habe ich es verstanden. - Das war die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, linke Sozialdemokratin, hier heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Danke Ihnen für das Gespräch.
Mattheis: Sehr gerne.
Schulz:
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