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Gaucks Amtszeit
"Auf einem schmalen Grat mit sicherem Schritt"

Joachim Gauck habe als Präsident verstanden, "um alle Fettnäpfchen herum zu tanzen", sagte der ehemalige Intendant des WDR, Friedrich Nowottny, im DLF. Er habe sich als ehemaliger Bürger der DDR immer als Teil des Ganzen verstanden. Das könne auch Vorbild sein für andere.

Friedrich Nowottny im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Friedrich Nowottny kurz vor seinem 85. Geburtstag
    Friedrich Nowottny kurz vor seinem 85. Geburtstag (dpa / picture-alliance / Oliver Berg)
    Der Journalist Friedrich Nowottny sagte, Gauck werde sein Amt mit der Würde weiterführen, die er "uns unendlich oft demonstriert hat". Seine Ankündigung, nicht wieder anzutreten sei ein starker Abgang gewesen, ebenso stark wie seine Amtsführung.
    Gauck habe heikle Themen angesprochen, ohne jemandem zu nahe zu treten und ohne sich in die Politik einzumischen, ob in der Flüchtlingsfrage oder im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Er habe sich auf einem schmalen Grat mit sicherem Schritt bewegt.
    Gauck ein Vorbild für ehemalige DDR-Bürger
    Gauck habe die Tatsache, dass er ein Mensch aus der ehemaligen DDR ist, nicht "überzogen dargestellt". Er habe sie für selbstverständlich hingenommen und sei damit anderen ehemaligen DDR-Bürgern ein positives Beispiel gewesen.
    Der Bundespräsident habe "die Bürde, das Land und die Politik zu repräsentieren". Jeder Bundespräsident habe versucht, dem Amt seinen Stempel aufzudrücken. Ob Weizsäcker, Herzog, oder Rau. Auch Christian Wulff habe mit seinem Ausspruch, dass der Islam zu Deutschland gehöre, einen Satz geliefert, der bleibe.
    Welche Auswirkungen die Bestimmung der Kandidaten für die Gauck-Nachfolge auf die Bundespolitik habe, sei nicht zu beantworten, sagte Nowottny. Die politische Landschaft verändere sich grundlegend, auch angesichts rechter Tendenzen. "Wir werden ungeheure Geschichten erleben."

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Es ist auch heute Morgen in den Zeitungen das Topthema, die Absage von Joachim Gauck an eine zweite Amtszeit als Bundespräsident. Die Planspiele in Berlin für die Zeit nach Gauck, die laufen bereits auf Hochtouren. Am Telefon ist jetzt der Journalist Friedrich Nowottny, Kenner der Bundespolitik mit jahrzehntelanger Erfahrung und außerdem ehemaliger Intendant des WDR. Schönen guten Morgen, Herr Nowottny.
    Friedrich Nowottny: Ich grüße Sie, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Nowottny, ein paar Monate im Amt hat Joachim Gauck ja noch. Ist er jetzt eine "lahme Ente"?
    Nowottny: Das kann man nicht sagen. Er führt sein Amt weiter und er führt es mit der Würde aus, die er uns unendlich oft demonstriert hat. Auch sein Abgang, ein starker Abgang, muss man sagen, wie seine Amtsführung in den letzten Jahren ja auch.
    Armbrüster: Sie haben da ja ein bisschen Überblick. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten jede Menge deutsche Bundespräsidenten kennengelernt und über sie berichtet. Im Vergleich, war Joachim Gauck tatsächlich ein so politischer Bundespräsident?
    Nowottny: Er war ein großartiger Präsident. Er hat es verstanden, um alle Fettnäpfchen herumzutanzen und eine Position darzustellen, die der Würde des Amtes, den Erwartungen der Bevölkerung und der Politik an das Amt entsprochen hat.
    "Er hat auch heikle Themen angesprochen"
    Armbrüster: Zum Beispiel? Können Sie da ein Beispiel nennen, was besonders in Erinnerung bleiben wird?
    Nowottny: Na ja. Er hat auch heikle Themen angesprochen, ohne jemandem zu nahe zu treten, ohne sich in die Politik einzumischen. Er hat auch in der Flüchtlingsfrage das Wort ergriffen. Er hat gesagt, unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt oder so ähnlich. Er hat zu der Bündnisfrage Stellung genommen und er hat darauf hingewiesen, dass Russland nach diesen Ukraine-Besetzungen, nach Sewastopol, wenn man so will, im Auge behalten werden müsse. Das hat dazu geführt, dass er noch nicht in Russland war, ganz selten, dass ein Bundespräsident nicht in Moskau einen Besuch abgestattet hat. Er war ein Präsident, der es geschafft hat, auf einem schmalen Grat mit sicherem Schritt zu gehen.
    Armbrüster: Aber ist da nicht etwas dran? Ich meine, es gab ja einige Kritik an ihm für diese teilweise auch durchaus offenen Worte. Ist da nicht etwas dran, wenn man sagt, ein Bundespräsident sollte sich möglichst raushalten aus diesen politischen Geschichten und tatsächlich eher repräsentieren?
    Nowottny: Das steht nirgendwo in den Absätzen des Artikel 54 und der folgenden Artikel, dass er sich heraushalten soll. Er ist ein Repräsentant des ganzen Volkes. Er wird vom Bundestag und von den Länderparlamenten gewählt. Er hat die Bürde, wenn Sie so wollen, und die Aufgabe, die Bevölkerung, das Land, die Politik zu repräsentieren, und das hat er getan.
    Nachfolger darf "nicht erst zu versuchen, in die Fußstapfen zu treten"
    Armbrüster: Er ist ja auch gestartet als ein Bundespräsident aus Ostdeutschland, ein Bundespräsident mit DDR-Erfahrung. Hat er die eingebracht in das Amt, oder ist das etwas zu kurz gekommen, dieser Ost-West-Aspekt, dieser mögliche, dieses Potenzial für eine Einigung?
    Nowottny: Er ist angetreten als ein Kandidat, der aus dem Osten kam und der eine Ostvergangenheit hat, übrigens wie die Bundeskanzlerin. Vielleicht mochte sie ihn deshalb auch nicht. Sie hat ja dafür gesorgt, dass er schon mal nicht angetreten ist und dass dann der bekannte Herr Wulff angetreten war und auch gewählt worden ist, allerdings erst im dritten Wahlgang, eine ganz, ganz schwierige Operation, an der ich auch noch teilgenommen habe, die Verwirrung gestiftet hat, wie der Bundespräsident Wulff ja ohnehin Verwirrung gestiftet und hinterlassen hat. Er hat die Tatsache, dass er ein Mensch aus der ehemaligen DDR war, nicht überzogen dargestellt. Nein, er hat sie für selbstverständlich hingenommen und er hat den Bürgern aus der ehemaligen DDR, aus den neuen Ländern, wie wir immer wieder sagen, klar gemacht, dass es gut wäre, wenn sie sich ebenso verhalten würden, wenn sie sich ebenso als Teil des Ganzen empfinden würden, wie er es selbstverständlich getan hat. Er hat da eine Rolle gespielt.
    Armbrüster: Wie schwer wird es denn für seinen Nachfolger, in diese Fußstapfen zu treten?
    Nowottny: Schwer! Die Schuhgröße ist 46, nehme ich an, oder vielleicht noch mehr. Wer danach kommt, der muss sicheren Schrittes sein und er tut gut daran, nicht erst zu versuchen, in die Fußstapfen zu treten. Er muss eine eigene Spur hinterlassen.
    "Die Frage, wer Bundespräsident wird, wird hochstilisiert"
    Armbrüster: Hat Joachim Gauck dieses Amt möglicherweise auch neu definiert?
    Nowottny: Nein, das hat er nicht. Ich glaube, er war der elfte. Er hatte ja schon zehn Vorgänger und da hat es viele Definitionen des Amtes gegeben und jeder hat diesem Amt versucht, einen Stempel aufzudrücken. Denken Sie an Richard von Weizsäcker, denken Sie an Heuss, ja denken Sie sogar an Lübke und Heinemann, denken Sie an Walter Scheel und Karl Carstens. Das waren alles Männer, die, Rau eingeschlossen, Köhler, selbst Wulff. Schauen Sie mal: Was hat Wulff hinterlassen? Diesen Satz, diesen unendlich oft definierten Satz und interpretierten Satz, dass der Islam zu Deutschland gehört. Ein Irrtum, wie ich finde, aber immerhin ein Satz, der bleibt, der umstritten ist, der der neuen Partei AfD heute Munition liefert für alles Unheil, das da gelegentlich angerichtet wird.
    Armbrüster: Herr Nowottny, Sie haben da jetzt schon einige der großen Namen der vergangenen Jahrzehnte genannt und mit diesen Bundespräsidenten verbinden sich natürlich auch immer die entsprechenden politischen Kampagnen im Vorfeld des Suchens nach Mehrheiten. Da wird jetzt bei solchen Präsidentenwahlen immer viel hineininterpretiert. Da ist immer von Weichenstellung die Rede, von neuen Konstellationen, die sich da andeuten bei diesen Wahlen in der Bundesversammlung. Ist an so was wirklich was dran, oder ist das nur Legendenbildung?
    Nowottny: Ich glaube, das ist Legendenbildung und dient der Beschäftigung der Medien, und die beschäftigen sich wahnsinnig gern mit diesem Thema. Ich weiß ja, wovon ich rede. Die Frage, wer Bundespräsident wird, wird hochstilisiert bis zum geht nicht mehr. Am Bundespräsident hängt die nächste Koalition, ja, und man kann das auch beweisen. Am Bundespräsident hängt der nächste Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin. Das kann man nicht beweisen, aber man kann beweisen, welcher Bundeskanzler und welche Bundeskanzlerin gegen den gegenwärtigen Präsidenten ist, und so weiter und so weiter. Eine nicht endende Story ist das. Wenn das Amt beginnt, zählt die Persönlichkeit und zählt das, was diese Persönlichkeit einzubringen hat in die Diskussion des Landes, in die politische Auseinandersetzung, in die internationale Darstellung des Landes und die Hervorhebung der Bedeutung eines Landes und die Zurückführung überspannter internationaler Erwartungen auf die Realität. Das ist ein schwieriges, ein tolles Amt mit unendlich vielen Möglichkeiten.
    "Wir werden ungeheure Geschichten erleben"
    Armbrüster: Das heißt, Sie glauben nicht, dass hier jetzt in den kommenden Wochen die Weichen gestellt werden für eine weitere Koalition, möglicherweise eine andere Koalition in Berlin oder die bestehende Große Koalition?
    Nowottny: Die politische Landschaft in der Bundesrepublik verändert sich so grundlegend, dass diese Frage heute überhaupt nicht zu beantworten ist. Was wissen wir über die nächste Wahl, über die nächsten Konstellationen, die zu einer neuen Bundesregierung führen? Wir wissen nichts! Was wissen wir, was die Rechten in Deutschland zustande bringen bei der nächsten Bundestagswahl? Nichts wissen wir. Wenn man heute darüber redet, Schwarz und Grün, jawohl, Herr Kretschmann - sicherlich wäre Kretschmann ein großartiger Bundespräsident, aber der ist ja beschäftigt, auch wenn Herr Özdemir jetzt immer schon den feinen Anzug anzieht, um zu zeigen, dass er auch Baden-Württemberg regieren könnte, um nur ein Beispiel zu nennen. Also ich kann Ihnen sagen, wir werden ungeheure Geschichten erleben, wie ich und wie viele Bürger dieses Landes sie schon in der Vergangenheit erlebt haben.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Friedrich Nowottny, der Journalist und ehemalige Intendant des Westdeutschen Rundfunks. Vielen Dank, Herr Nowottny, für Ihre Einschätzungen.
    Nowottny: Ich danke Ihnen, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.