Die Kritik von Bundespräsident Joachim Gauck an der Linkspartei und einem möglichen Ministerpräsidenten aus ihren Reihen sei klar formuliert gewesen, wenn auch persönlich begründet. "Er hat auf die Erfahrungen einer ganzen Generation aufmerksam gemacht", sagte Arnold Vaatz, Vize-Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag im Deutschlandfunk. Auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker habe immer wieder öffentlich in Debatten eingegriffen.
Es drohe die Gefahr, dass die Linkspartei einen großen Teil der Geschichte, die Thüringen geprägt habe, vergessen lassen machen wolle. Die Äußerungen von Gauck seien auch deshalb so wichtig, weil sich die Linkspartei an einer Unrechtsstaat-Diskussion nicht beteiligen wolle.
Bodo Ramelow dürfe man auf keinen Fall glauben, unterstrich der ehemalige DDR-Bürgerrechtler. Es mache ihn fassungslos, wie viele Westdeutsche sich auf die Seite denjeniger gestellt hätten, die die Mauer gebaut haben. Dazu gehöre auch Herr Ramelow. Wörtlich sagte Vaatz: "Herr Ramelow hat sich aus freien Stücken dieser Partei angeschlossen, das macht mich fassungslos."
Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Arnold Vaatz:
Tobias Armbrüster: Wird Bodo Ramelow der erste deutsche Ministerpräsident, der von der Linkspartei gestellt wird? Die Frage wird möglicherweise heute schon beantwortet, denn die SPD in Thüringen wird heute das Ergebnis ihres Mitgliederentscheids bekannt geben. Darin geht es um die Frage, ob die SPD in Thüringen offiziell Koalitionsverhandlungen mit der Linken und mit den Grünen beginnen soll.
Wir haben es gehört: Bundespräsident Joachim Gauck hat sich am Wochenende noch einmal mit ungewöhnlich deutlicher Sprache zu einem möglichen linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow geäußert. Die Debatte darüber hält an. Wörtlich hatte Gauck ja gesagt: "Menschen, die die DDR erlebt hätten und in seinem Alter seien, die müssten sich anstrengen, um dies", also einen linken Ministerpräsidenten, "zu akzeptieren." Die Wahlentscheidung sei zwar zu respektieren. Dennoch bleibe die Frage, ob die Linkspartei von den Vorstellungen der SED tatsächlich schon so weit weg sei, dass ihr vertraut werden könne. Die Debatte über Joachim Gauck hält also an und vor allen Dingen über die Frage, ob er mit diesen Äußerungen über die Stränge geschlagen hat. - Am Telefon ist jetzt der CDU-Fraktionsvize im Deutschen Bundestag und ehemalige DDR-Bürgerrechtler Arnold Vaatz. Schönen guten Morgen!
Arnold Vaatz: Hallo! Schönen guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Vaatz, hat Präsident Gauck da eine Grenze überschritten?
Vaatz: Keinesfalls. Das ist genau das, was ich vom Bundespräsidenten erwarte. Er hat in die Wahlen ja nicht irgendwie eingegriffen vorher, sondern er hat hinterher ein zentrales Gut in die Waagschale geworfen, was meines Erachtens zur politischen Kultur unseres Landes gehört, und das ist der Begriff Vertrauen. Die Frage, mit wem man koalieren will nach einem Wahlergebnis, ist n erster Linie eine Frage des Vertrauens zu diesem Partner, und das hat er in Erinnerung gerufen. Und er hat auf die Erfahrung einer ganzen Generation aufmerksam gemacht hier in Ostdeutschland, die allmählich weniger wird, weil natürlich viele Ältere allmählich aus der öffentlichen Wahrnehmung ausscheiden, und Dinge in Erinnerung gerufen, die übrigens Herr Ramelow auch bestätigt hat gerade.
Und um noch mal eine Bemerkung zu Herrn Ramelow zu machen: Man muss, oder sagen wir mal so, man darf in Kirchen nicht anders reden als im täglichen Leben. Das ist ein Gebot der Ehrlichkeit und nicht irgendwie eine Restriktion des Ortes.
Armbrüster: Ja. Aber, Herr Vaatz, klar ist auch: Der Bundespräsident hat mit diesen Äußerungen eingegriffen in einen laufenden Mitgliederentscheid bei der SPD zu dieser ganz zentralen politischen Frage.
Vaatz: In einen laufenden Mitgliederentscheid hat er nicht eingegriffen, sondern er hat lediglich eine Größe in die Debatte zurückgeholt, die man beachten muss, und das ist die Größe des Vertrauens. Niemand hätte ihm einen Vorwurf machen können, wenn er auch das Vertrauen zu bestimmten politischen Kandidaten im Vorfeld einer Wahl als wesentliche Größe angemahnt hätte. Das betrachte ich als einen Versuch zur Bewahrung der politischen Kultur und das erwarte ich von meinem Bundespräsidenten, dass er das macht.
Armbrüster: Was sind das denn eigentlich, Herr Vaatz, ...
Vaatz: Im Übrigen!
Armbrüster: Ja bitte! Im Übrigen?
Vaatz: Im Übrigen hat ja der Bundespräsident von Weizsäcker, wenn Sie sich erinnern, mehrmals öffentlich auch in Debatten eingegriffen, die innerparteilich entschieden werden mussten, beispielsweise als es um seinen Nachfolger ging.
Armbrüster: Wir bleiben aber jetzt erst mal bei diesem Bundespräsidenten, Herr Vaatz.
Vaatz: Ja, aber das ist damals kaum kritisiert worden.
Vaatz: Großer Teil der Linkspartei-Wähler will sich nicht an der Unrechtsstaat-Diskussion beteiligen
Armbrüster: Was sind das denn eigentlich für Gefahren, die den Menschen in Thüringen da drohen mit diesem rot-rot-grünen Bündnis, dass sie solche Warnungen des Bundespräsidenten brauchen?
Vaatz: Die Gefahr ist, dass ein großer Teil der Geschichte, die Thüringen geprägt hat und die verantwortlich dafür ist, dass es noch große Abstände zwischen Ost und West gibt, die verantwortlich dafür ist, dass dieses Land derart auf Transferleistungen angewiesen ist wie alle ostdeutschen Länder, dass diese Ursache nach und nach vergessen wird. Die Ursache liegt genau bei der Partei, in deren Rechtskontinuität die Linkspartei steht. Und es ist außerdem so, dass ein großer Teil der Linkspartei-Wähler, wenn man mit ihnen spricht, sich überhaupt nicht in irgendeiner Weise an der Unrechtsstaat-Diskussion beteiligen wollen, sondern die DDR in allen Belangen verteidigen, die noch heute sagen, sie haben jetzt erst kürzlich in einer Schule in Bochum gefeiert, die noch heute sagen, dass die Leute, die an der Mauer erschossen worden sind, alle selber daran schuld gewesen seien, dass die Mauer notwendig war, dass die DDR ein Sozialstaat war, wie es keinen besseren gegeben hat, und so weiter und so fort. Wenn diese Position sich durchsetzt, dann ist das ein Geschichtsrevisionismus, der ein ganzes Land zugrunde richten kann, und zwar nicht materiell, sondern im Kopf.
Armbrüster: Jetzt hat sich Bodo Ramelow, ein demokratisch gewählter Politiker, genau gegen diese Haltung, genau gegen diese Äußerungen ausgesprochen, und wir haben es ja gerade gehört, ganz klar gesagt, diese Debatte, die brauchen wir jetzt, die brauchen auch die Menschen in Thüringen. Warum soll man ihm das nicht glauben?
Vaatz: Man darf es ihm auf keinen Fall glauben, und zwar aus einem ganz einfachen Grund, weil es sich hier um ein taktisches Manöver handelt. Die SED hat sich auch schon mal vor über 20 Jahren bei den Ostdeutschen für das angerichtete Unrecht entschuldigt - angeblich!
Armbrüster: Aber, Herr Vaatz, Herr Ramelow ist kein ehemaliger SED-Politiker, sondern ein westdeutscher SPD-Politiker, der nach '89 in den 90er-Jahren zur Linkspartei gestoßen ist. Man kann ihm auf keinen Fall einen Vorwurf machen in Sachen SED!
Vaatz: Nein! Man kann ihm was anderes als Vorwurf machen, und das mache ich vielen Westdeutschen. Es macht mich fassungslos, dass nach den Ereignissen, die sich in der DDR abgespielt haben, so viele Westdeutsche, nachdem dieser Staat weg war, sich auf die Seite von denjenigen gestellt haben, die die Mauer gebaut haben, und nicht auf die Seite von denjenigen gestellt haben, die sie weggerissen haben, und dazu gehört auch Herr Ramelow. Er hat keinerlei Grund. In Ostdeutschland sind sehr viele in diese Partei hineingenötigt worden. Die möchte ich gerne exkulpieren. Aber Herr Ramelow hat aus freien Stücken sich dieser Partei angeschlossen, und diese Entscheidung macht mich fassungslos.
Armbrüster: Was müsste denn die Linkspartei tun, damit sie auch für Sie und für die Union ein Gesprächspartner werden könnte auf Landesebene? Wohl gemerkt: es gibt ja schon Bündnisse zwischen Linkspartei und Union auf kommunaler Ebene.
Vaatz: Ja, das kann schon sein. Ich kann Ihnen sagen, was sie tun könnte. Sie sollte einen Verein gründen, einen eingetragenen Verein aus SED-Mitgliedern, der fünf Prozent seines Einkommens jeden Monat in einen Fonds zahlt, und von diesen fünf Prozent soll ein Fonds wie gesagt aufgefüllt werden, der SED-Opfern, die zu DDR-Zeiten irreparable Schäden erreicht haben, oder erleiden mussten, eine bessere Zukunft in Deutschland gewährleistet. Das sollen sie mal machen! Was sie machen? Sie rufen auch nach Wiedergutmachung, aber diese Wiedergutmachung verstehen sie nicht etwa als eine Aufgabe von sich aus, sondern immer als eine Aufgabe vom Staat, also genau von dem Staat, der im Augenblick für alles das aufkommt, was sie zu DDR-Zeiten angerichtet haben. Das wäre zum Beispiel mal eine klare Wendung, die mich beeindrucken würde. Alles andere ist Taktik.
Armbrüster: Ich höre da bei Ihnen jetzt ein großes Unbehagen angesichts dieser Diskussion und ich würde gerne noch zum Schluss wissen, wie groß denn eigentlich Ihr Unbehagen ist, wenn Sie sich ansehen, heute noch mal, 25 Jahre danach, wie bereitwillig Ihre Partei, die CDU, Mitglieder der ehemaligen Blockparteien aufgenommen hat?
Vaatz: Ich bin enttäuscht über die Diskussion darüber, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, weil jeder, der die Frage so stellt, zeigt, dass er nicht zwischen Opfern und Tätern unterscheiden kann. Es ist ein großer Unterschied, ob eine Partei andere Parteien unterworfen hat und gleichgeschaltet hat, oder ob eine Partei von einer anderen Partei unterworfen worden ist und gleichgeschaltet worden ist. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Ich habe mich damals erkundigt bei denjenigen, die schon 1945 in die damalige CDU eingetreten sind und ein Leben lang mit sich gehadert haben, ob sie den Platz dort freimachen wollen und dem Druck der SED nachgeben wollen, oder ob sie in dieser Partei bleiben wollen. Sie haben teilweise über 40 Jahre, 45 Jahre dort durchgehalten, und davor habe ich großen Respekt.
Armbrüster: ..., sagt hier bei uns im Deutschlandfunk der Unions-Fraktionsvize Arnold Vaatz zur aktuellen Debatte um Joachim Gauck und seine Kritik an Bodo Ramelow, dem möglichen nächsten Ministerpräsidenten in Thüringen. Vielen Dank, Herr Vaatz, für dieses Gespräch.
Vaatz: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.