Zehntausende Menschen kamen am Samstag in London zusammen, in der europäischen Metropole, die nach dem Brexit-Referendum im Fokus der Aufmerksamkeit steht wie keine andere. Doch sie gingen nicht auf die Straße, um gegen den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union zu demonstrieren. Sie feierten den diesjährigen "Gay Pride", einen von vielen Umzügen weltweit in diesen Monaten, mit denen Schwule und Lesben für ihre Rechte eintreten.
In London wurden sie von Bürgermeister Sadiq Khan willkommen geheißen. In Istanbul dagegen war einen Tag zuvor die für den heutigen Sonntag geplante Veranstaltung von den Veranstaltern abgesagt worden, nachdem sie zuvor vom Gouverneur der Millionenmetropole unter Verweis auf Sicherheitsgründe verboten wurde; eine ultrarechte nationalistische Gruppe hatte den Schwulenmarsch bedroht.
Der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir bringt die unterschiedliche Willkommenskultur beider Städte bei Twitter so zusammen:
Festnahmen in Istanbul
Özdemirs Parteikollege Volker Beck, der vor fast genau zehn Jahren in Moskau vor laufender Kamera bei einer Schwulendemonstration verprügelt wurde, reiste trotz der Absage nach Istanbul - und wurde dort bei der verbotenen Abschlusskundgebung vorübergehend festgenommen, als er gemeinsam mit anderen Aktivisten versuchte, die Festnahme eines Mitstreiters zu verhindern, der eine Erklärung abgeben wollte. Die Polizei ließ den deutschen Bundestagsabgeordneten nach kurzer Zeit wieder frei. Neben Beck wurden auch drei weitere deutsche Grünen Politiker in Gewahrsam genommen.
Auf der zentralen Einkaufsmeile Istiklal Caddesi setzte die Polizei Tränengas gegen friedliche Unterstützer der Schwulen- und Lesben-Bewegung ein und nahm zahlreiche türkische Aktivisten fest. Polizisten versuchten, die Berichterstattung ausländischer Medien zu verhindern. "Verschwindet von hier", brüllten Sicherheitskräfte, und drohten den Einsatz von Wasserwerfern an.
Beck kritisierte, es habe keinen Anlass für das harte Vorgehen gegeben. "Die Polizei hat mir meinen Pass entrissen und mich geschubst", sagte er. "Es isr ein massiver und willkürlicher Polizeieinsatz, den wir hier gesehen haben." Schon vor der abgesagten Parade hatten der Politiker und andere Beobachter dokumentiert, wie Sicherheitskräfte und Wasserwerfer in Stellung gebracht wurden:
Schon die 13. Istanbuler Gay Pride im verganenen Jahr war von Gewalt überschattet worden. Die türkische Polizei hatte mit Tränengas und Wasserwerfern die Parade unterbunden und ihr Vorgehen damit begründet, dass diese zeitlich in den Ramadan fiel.
Und auch am Sonntag vergangener Woche löste die Polizei einen kleineren, untersagten Marsch von Transsexuellen in Istanbul mit Tränengas auf.
Weltweite Solidarität
Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) hatte die Absage der "Gay Pride" in Istanbul scharf kritisiert: "Ich bin fassungslos und von unserer Partnerstadt tief enttäuscht", sagte sie. Homosexuellen-Verbände riefen zu einer Protestkundgebung vor der türkischen Botschaft in Berlin auf. In den Sozialen Netzwerken schwenken viele Menschen symbolisch die Regenbogenfarbe, um sich solidarisch zu zeigen.
In den Monaten Juni und Juli werden weltweit Märsche und Paraden organisiert, die an den Aufstand von Lesben, Schwulen, Bisexuellen sowie transgeschlechtlichen Menschen in der New Yorker Christopher Street im Jahr 1969 erinnern.
(jasi/bor/fwa)