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Gaza-Krieg
"Das Gebiet wird zum Friedhof"

Scharfe Kritik am Vorgehen Israels im Gazastreifen äußerte der luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn im Interview mit dem Deutschlandfunk. Die wiederholten Bombardierungen von Schulen der Vereinten Nationen nannte Asselborn ein Verbrechen: "Ich finde kein anderes Wort dafür."

Jean Asselborn im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Israels Regierung nehme sich im Gaza-Krieg Rechte heraus, die gegen internationale Vereinbarungen verstoßen, sagte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn. Das ginge nicht. Die wiederholten Bombardierungen auf Schulen der Vereinten Nationen im Gazastreifen seien unerträglich. Sie könnten auch nicht mit dem Recht auf Selbstverteidigung seitens Israel begründet werden.
    Asselborn fordert von Europa einen "hörbaren Ausruf", der die Gewalt beider Konfliktparteien im Gaza-Krieg verurteile. Die dauerhafte Beilegung der militärischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten liegt nach Ansicht Asselborns in den Händen Israels. Dort müsse ein Umdenken im Umgang mit den Palästinensern stattfinden. Palästina brauche einen eigenen Staat, sonst gebe es keinen Frieden, sagte Asselborn.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Weltweites Entsetzen über das, was im Gazastreifen geschieht, die Angriffe Israels auf Gaza, umgekehrt die Raketen, die weiter von der Hamas auf Israel abgefeuert werden. Jetzt will Israel seine Bodentruppen zurückziehen, das könnten erste Anzeichen sein, dass der Krieg zu Ende geht. Heute wird es auch eine Waffenpause geben, aber das alles ist noch mit erheblicher Vorsicht zu registrieren. Jean Asselborn ist der Außenminister Luxemburgs, ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Asselborn!
    Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr Meurer!
    Meurer: Die Bilder, die wir am Wochenende wieder gesehen haben, der Angriff auf eine Schule, über den ich gerade mit dem Kollegen Torsten Teichmann in Tel Aviv geredet habe, wie wirkt das auf Sie?
    Asselborn: Also ich finde, es ist unerträglich. Es ist abstoßend, es ist unmenschlich, was in Gaza geschieht. Israels Regierung, das muss man klar sagen, Israels Armee maßen sich Rechte an, die gegen jede internationale Standards verstoßen. Sie haben das ein paar Mal erwähnt, das sagen wir als Europäer auch immer, das Recht, sich zu schützen gegen Raketenangriffe aus Gaza steht ja außer Frage, auch militärisch dagegen vorgehen, das Recht hat Israel. Aber das Recht, dabei Zivilisten aus einer Pufferzone zu vertreiben, sie dann zu bombardieren, wenn sie in UNO-Schulen sind, das ist ein Verbrechen - ich kenne kein anderes Wort dafür. Das ist nicht das erste Mal, das sind jetzt drei Schulen, die in acht Tagen anvisiert waren. Es sind dabei Dutzende Kinder gestorben, Dutzende Kinder gestorben - in Dschabalia, Beit Hanun und dann gestern auch in Rafah. Das ist eine Situation, die ist sehr schwer zu verarbeiten.
    "Hier muss ein Aufschrei kommen auch aus Europa"
    Meurer: Die israelische Seite verteidigt sich ja jetzt damit, bei diesem Angriff am Wochenende, der Angriff habe Männern auf einem Motorrad gegolten, nicht der Schule selbst. Entlastet das Israel?
    Asselborn: Wissen Sie, ich war Ende März dieses Jahres in Gaza und habe selbstverständlich auch diese Schulen ... Einige Hoffnungsschimmer in Gaza sind diese UNRWA-Schulen, die UNO-Schulen. Die wurden von vielen europäischen Ländern auch gebaut, und ohne die UNRWA wäre Israel nicht in der Lage, seit sieben Jahren auch Gaza in diesem Blockadezustand zu lassen. Und ich finde, alle Ausreden oder alle Vorkommnisse zu erklären, Gaza ist jetzt bis vor einigen Tagen, bevor der Krieg wieder begann, ein Gefängnis gewesen, und das wird jetzt zum Friedhof, wo die elementarsten Menschenwürden begraben werden, und ich glaube, hier muss ein Aufschrei kommen auch aus Europa, ein viel verständlicher, ein hörbarer Aufruf aus Europa, dass dies enden muss.
    Gaza-Krieg: Palästinensische Kinder suchen Zuflucht in einer UNO-Schule
    Palästinensische Kinder suchen Zuflucht in einer UNO-Schule - drei solcher Schulen hat Israel beschossen. (picture-alliance / dpa / Mohammed Saber)
    Meurer: Israel verweist darauf, man hat jetzt schon mehrmals eine Waffenpause angesetzt, und es habe immer die Hamas dann diese Waffenpause durchbrochen. Wie soll sich Israel anders zur Wehr setzen?
    Asselborn: Ich glaube, das muss man ja tiefer sehen. Israel ist ein Staat, ist ein UNO-Mitglied, die Hamas ist eine Organisation, die auf der Philosophie der Muslimbrüder beruht, mit einem militärischen Rahmen, der verantwortlich ist für sehr viel Leid und sehr viel Brutalität. Und genau da muss man ja ansetzen. Es ist unverständlich, dass Israel, die israelische Regierung seit Monaten eine Einheitsregierung Palästinas ablehnt, wo dann durch die Verbrüderung und durch eine Einheitsregierung Hamas nicht mehr eine Frontstellung hat. Und ich glaube, dieses Umdenken muss kommen. Es muss ein radikales Umdenken in Israel kommen, dass Palästina einen Staat braucht, sonst lebt Israel ja nicht in Sicherheit. Die Palästinenser müssen auch eine Chance bekommen zu existieren, nicht zu vegetieren. Und darum, alle Bemühungen, die jetzt gemacht werden, Feuerpause ja, ich hoffe, dass Ägypten auch da etwas hinbekommt mit allen Parteien, sollen ja in Kairo sein, auch die Israelis, hoffe ich, und dass man endlich zur Feuerpause kommt. Aber das genügt lange nicht.
    Meurer: Geht die Entwicklung im Moment da in eine ganze andere Richtung, nämlich in Israel haben die Hardliner Aufwind bekommen durch den Krieg und die Hamas umgekehrt genauso.
    Asselborn: Ja, ich glaube, dass es trotzdem in Israel anfängt, dass man einsieht, welche Schäden entstehen. Wissen Sie, hier wird mit westlichen Waffen - denn Israel wird dem Westen zugeschrieben - wird auf Menschen geschossen, die sich nicht wehren können, die wirklich eingepfercht sind. Und wenn ich Tzipi Livni zum Beispiel, was mir noch eine Politikerin scheint in Israel, die aber fühlen kann, die Menschlichkeit auch ausstrahlt, dass sie sagt, es genügt nicht, dass wir jetzt wieder endlich zu einer Feuerpause kommen, und dann nach zwei Jahren - sehen Sie, '08/'09 war Krieg, '12 war Krieg, jetzt '14 ist wieder Krieg - nach zwei Jahren wieder in der Situation sind. Wir müssen umdenken und Gaza öffnen. Diese sieben Jahre lange Blockade, die muss ein Ende bekommen. Und darum bin ich ja auch froh, dass auch Frank-Walter Steinmeier und andere, auch Tzipi Livni sogar, dass man sich wieder damit beschäftigt, wie kann man die Radikalität oder die Perspektivlosigkeit der Menschen in Gaza, wie kann man die bekämpfen. Rafah öffnen wäre eine Lösung.
    "Ohne die Europäische Union würde Gaza überhaupt nicht funktionieren"
    Meurer: Das ist die Idee, um das kurz zu erläutern, Herr Asselborn. Frank-Walter Steinmeier und andere, wie Sie sagen, schlagen vor, Rafah zu öffnen, Grenzübergang im Süden zu Ägypten, und die Europäische Union übernimmt mit Sicherheitskräften, mit Beamten, Zöllnern die Überwachung, die Kontrolle, dass keine Waffen für die Hamas in den Gazastreifen geschmuggelt werden. Hat dieser Vorschlag Aussicht auf Realisierung?
    Asselborn: Ich sage nur - ich bin ja schon etwas länger dabei -, 2005 hat das existiert in Rafah. Die Europäische Union war damals zur Stelle und hat diese ganze, diese Übergangsprozedur organisiert, zusammen mit Ägypten, zusammen auch mit Israel. Man muss sich vorstellen, jeder, der einmal in Gaza war, diese Machtlosigkeit, da zu entfliehen, weder über das Meer, was stark kontrolliert ist, noch die Grenzen zu Israel noch die Grenzen zu Ägypten, das muss aufhören. Und wenn wir als Europäische Union den Menschen in Gaza diese Gelegenheit geben könnten, dass sie sich sicher sind, dass wenn sie medizinisch verpflegt werden müssen, wenn sie auf die Universität gehen müssen ins Ausland, oder wollen, dass sie dann auch rauskommen. Und dass das wieder machbar wäre, auch von der Europäischen Union wäre das ja ein Zeichen, dass man bei den Menschen ist. Wissen Sie, ohne Europäische Union würde Gaza überhaupt nicht funktionieren, so wie es heute ist, und auch ohne UNO würde das nicht zustande kommen. Und ich glaube, hier muss auch Israel einsehen, dass man mit Radikalität, dass man nur mit militärischen Waffen, dass man nur das Gegenteil provoziert. Man muss ja die Verbrüderung der Palästinenser gut finden, man muss Wahlen in Palästina gut finden, und man muss auch wissen, dass man wieder einen ernsten Friedensprozess braucht. Die Kerry-Initiative, Herr Meurer, hat als Folge, dass eine expansive Siedlungspolitik Israels die Antwort war, und darum musste das scheitern.
    Meurer: Ist im Moment leider relativ wenig Bewegung bei der Kerry-Initiative, vielleicht funktioniert der Vorschlag von Frank-Walter Steinmeier mit den EU-Kontrollen am Gazastreifen. Herr Asselborn, die Zeit ist uns da ein bisschen davongelaufen, danke schön für das Gespräch! Das war Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Wiederhören!
    Asselborn: Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.